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Das Universum der Einkaufszettel Fußrubbeldings, Milch und Brokkoli

Wer seinen Zettel systematisch aufschreibt, muss am Ende nicht nochmal zurück.

Wer seinen Zettel systematisch aufschreibt, muss am Ende nicht nochmal zurück.

(Foto: picture alliance / dpa)

Man schreibt sie dauernd, für sich selbst oder andere. Sie sind nicht für die Ewigkeit bestimmt und schon gar nicht für die Öffentlichkeit. Doch Einkaufszettel sagen mehr über den Schreiber aus, als man vermuten könnte. Ehe man sich's versieht, stellt man sich die wirklich wichtigen Fragen der Menschheit: Rewe oder Aldi, Gemüse oder Lungenwurst, No Name oder Marke?

Manchmal passiert einem das: Man übernimmt einen Einkaufswagen und findet darin den Einkaufszettel des Vorbenutzers. Da kann man dann lesen, dass er Butter brauchte, Milch, Brokkoli und Zucchini in den abenteuerlichsten Schreibweisen. Einer dieser Funde brachte Sandra Danicke auf die Idee, Einkaufszettel zu sammeln und zu ergründen.

Hauptsache, man kann am Ende noch die eigene Schrift lesen.

Hauptsache, man kann am Ende noch die eigene Schrift lesen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Unter dem Titel "Fußrubbelding - Einkaufszettel erzählen vom Leben" zeigt sie ein Panorama ihrer Sammlung, begleitet von Überlegungen, wer diese Notizen gemacht haben könnte und was sie über den jeweiligen Menschen erzählen. Monatelang sammelte sie aus dem Supermarktmüll und unter den zusammengeschobenen Einkaufswagen zerknüllte Notizen auf, katalogisierte sie nach verwendetem Papier und Stift und den notierten einzukaufenden Produkten.

Deutlich wird: Viele Menschen schreiben ihre Einkaufszettel auf Post-its, jenen bunten Klebezetteln, die auch jede Rückrufbitte oder Gesprächsnotiz bereitwillig aufbewahren. Aber auch der hastig abgerissene Schnipsel ist vertreten und das sauber zugeschnittene Einkaufslistenblatt, sogar Computerausdrucke gibt es.

Zu beobachten ist auch ein mehr oder weniger verzweifeltes Bemühen, die einzukaufenden Artikel zu katalogisieren. Dabei gibt es verschiedene Ordnungstypen: Zum Beispiel sind da jene, die sich an den zu besuchenden Supermärkten sortieren. Was will ich bei Aldi, dm oder Rewe, für welchen Artikel muss ich unbedingt zu Kaiser's, Rossmann oder Fleischer Krause? Andere trennen klar nach Obst und Gemüse, Milch, Butter und Käse, Haushaltschemie und der Fleischabteilung. Sie haben die Choreographie ihrer Kaufhalle zentimetergenau auf dem Schirm und müssen demzufolge auch nicht nochmal los, weil sie am Ende doch den Kaviar vergessen haben.

Geltungssucht und Putzwahn

Es gibt den hastig hingekritzelten Zettel ebenso wie den, der nach Sichtung aller Vorräte in aller Ruhe geradezu analytisch entwickelt wurde. Manch einer mutet an wie eine Gedankenstütze, ein anderer eher wie ein nur mühsam kaschierter Befehl mit genauen Mengen- und Markenangaben. An dieser Stelle setzt Danicke ein, die verschiedenen Funde zu interpretieren.

Das Buch ist als Fischer-Taschenbuch erschienen und kostet 8,99 Euro.

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Und in der Tat kann man den Einkaufszetteln mehr entnehmen, als man zunächst meinen würde. Der einfache Teil ist sicher der, dass jemand, der Katzenstreu und Futter kaufen will, wahrscheinlich eine Katze besitzt. Vielleicht muss er aber auch die eines Freundes oder Nachbarn versorgen und weiß nicht, welche Sorte das Tier bevorzugt. Vielleicht ist ihm eine Katze zugelaufen und er schlägt sich mit der Entscheidung herum, ob er sie nun behalten oder doch lieber Zettel in seinem Viertel aufhängen soll. Einkaufen kann so kompliziert sein.

Meist lässt sich unterscheiden, ob das ein Mann seine Erwerbswünsche notiert hat oder eine Frau. Selbst Rückschlüsse auf das Alter sind möglich. Doch Danicke sieht auch Schöngeistigkeit oder Geltungssucht auf den Zetteln, Putzwahn und die Neigung zu Übersprunghandlungen. Sogar Verschwörungstheorien lassen sich zwischen dänisch geschriebenen Produkten vermuten, möglicherweise die raffiniert verborgenen Geheimzahlen eines Codes?

Wenn die Pflegekraft einkaufen geht

Danickes Assoziationen mögen manchmal recht weit hergeholt erscheinen, unterhaltsam sind sie allemal. Oft genug sind es allerdings die sehr naheliegenden Schlüsse, die den Leser nachdenklich machen. Mehr als ein Zettel wirkt so, als habe eine osteuropäische Pflegekraft oder Haushaltshilfe versucht, die Wünsche ihres wahrscheinlich älteren deutschen Arbeitgebers zu erfüllen - zur Sicherheit steht die Übersetzung in der Heimatsprache neben dem deutschen Namen. Manchmal wird dies durch eine deutlich besserwisserische Belehrung ergänz. Beispielsweise die, dass man mit Garn näht, während man Gras mäht. Da wäre man gern dabei gewesen, als dieser Zettel geschrieben wurde.

Gerade wenn die Schrift zittriger wird, finden sich auch immer wieder Medikamente in den Notizen, wenn es nicht gleich einen ganzen Absatz unter dem Einkaufzettel gibt, der sich ausschließlich noch zu besuchenden Ärzten und abzuholenden Befunden widmet. Das ist dann wohl die Vorstufe zu den oben beschriebenen Zetteln.

Tröstlich ist bei diesem soziologischen Experiment, dass auch andere Menschen lustige Dinge als Gedächtnisstütze brauchen, da kommt man sich mit seinem eigenen "für aufs Brot" nicht mehr ganz so doof vor. Auch wenn bei genauerer Betrachtung "Essen für So" ein bisschen unentschieden wirkt, geradezu entscheidungsschwach.

Und was bedeutet jener Zettel, der unter dem dazugehörigen Einkaufswagen auf der Erde lag? Er war nur ein bisschen zerknüllt, kariertes Papier von einem Notizblock, mit blauem Kugelschreiber beschrieben. Besorgt werden mussten Kakaopulver, Mangosaft, Orangen, Äpfel, Möhren, Brot, Butter, Käse, Milch, 2x Sahne. In Spalte zwei folgen süße Früchte und dann noch geradezu überraschend Fotos und DVD extern. Darüber kann man nach der Lektüre dieses Buches vergnüglich nachdenken.

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Quelle: ntv.de

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