Zeitreise durch ein Terrornetzwerk Irrtum RAF
17.12.2004, 11:00 UhrBeinahe 30 Jahre lang hielt die Rote Armee Fraktion mit ihren Aktionen, Banküberfällen, Morden und Prozessen die Bundesrepublik in Atem. 61 Tote, 230 Verletzte, 31 Banküberfälle mit einer Beute von sieben Mio. D-Mark. Dazu kommen konspirative Wohnungen, gestohlene Autos und Waffen, gefälschte Ausweise und Führerscheine und über 1.000 rechtskräftig verurteilte Terroristen und Unterstützer.
Dem Phänomen RAF kommt man mit diesen Zahlen kaum näher. Der Jurist Butz Peters hat sechs Jahre nach der offiziellen Auflösungserklärung der RAF den Versuch unternommen, die Geschichte der Terrororganisation akribisch nachzuzeichnen. Ausgangspunkt für den letztlich untauglichen Versuch einer Revolution in Deutschland ist nach Peters der "Ideensteinbruch" der Studentenbewegung. Hier entstand aus zunächst durchaus kreativen Ideen die Bereitschaft zur Gewalt.
Zeitreise durch Papier
Peters hat auf fast 900 Seiten Unmengen von Fakten zusammengetragen, aus 250 Gerichtsentscheidungen, Schilderungen ehemaliger RAF-Mitglieder und RAF-Fahnder, RAF-Papieren, Unterlagen der Ermittler von Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft und des Ministeriums für Staatssicherheit rekonstruiert er akribisch deutschen Alltag im Zeichen der RAF.
Die Namen der Opfer
Sein größtes Verdienst liegt vielleicht darin, dass er jedem Opfer ein Gesicht und eine Geschichte gibt. Es sind eben nicht nur die prominenten Wirtschaftsführer wie Hanns-Martin Schleyer oder Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder, die die RAF "eiskalt hinrichtet". So bekommen auch der niederländische Polizist Arie Kranenburg, die Hausfrau Edith Kletzhändler und der GI Edward Pimental ihren Platz auf der Opferliste der RAF.
Jurist mit Zweifeln
Peters, Journalist und Jurist, fragt auch immer wieder kritisch nach der Reaktion des Staates und der Rolle von Anwälten. Dass bis heute Anti-Terror-Gesetze Bestand haben, die unter dem Druck der RAF-Fahndung geschrieben wurden, stört ihn ganz offenbar. Dass es Anwälte waren, die Waffen und Kassiber nach Stammheim brachten, kränkt ihn in seiner eigenen Anwaltsehre.
Drei Generationen
In drei Generationen ging die Saat der Gewalt auf. Die führenden Köpfe der ersten Generation waren Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Zusammen gehen sie in den Untergrund, später auch in die Trainingscamps der Palästinenser und noch später in den Knast und den Tod.
In dieser Gruppe werden wesentliche Mechanismen und Vorgehensweisen der RAF geprägt. Nach der Terror-Logistik-Formel M - Motorisierung, G - Geld, W - Waffen, M - Munition, S - Sprengstoff handelt die RAF Zeit ihres Bestehens.
Während der Kern der Gruppe im Gefängnis Stammheim sitzt, organisiert sich die zweite Generation. Peters Chronologie des Verbrechens listet einen Fall nach dem anderen auf und dringt dabei tief in das Beziehungsgefüge der Gruppen ein, zeigt Machtstrukturen, Krankheit und Versagen. Die dritte Generation der RAF formierte sich Mitte der 1980er Jahre. Diese Gruppe arbeitet laut Peters Einschätzung am professionellsten: Die Täter hinterließen keine Spuren, die meisten von ihnen blieben unbekannt. Nur zwei Mitglieder wurden gefasst.
Blutspur ohne Reue
Keine andere politische Vereinigung hat nach dem Zweiten Weltkrieg so sehr die staatliche Ordnung in Deutschland bedroht wie die "Rote Armee Fraktion". Zwar wurden die Gründer der RAF alle verhaftet, aber die Gewalt ging weiter. Fast drei Jahrzehnte lang führten so genannte Stadtguerilleros Krieg gegen Repräsentanten des Staates. Fakten um Fakten reiht Peters aneinander: "Ich verstehe mich als Dokumentarist. Mir war es wichtig, alles an Fakten zusammenzustellen, was heute gesichert ist. Es gibt genug Mythen und Legenden. Mir ging es darum, für diejenigen, die die Geschichte, so wie sie sich zugetragen hat, interessiert, das Faktenmaterial zur Verfügung zu stellen."
1989 nach dem Ende der DDR werden einige RAF-Rentner unter den Fittichen der Stasi entdeckt und zu eher geringen Strafen verurteilt. 1998 erklärt die RAF ihre Auflösung. Und selbst danach bleiben noch viele Fragen offen, ihnen widmet Peters noch ein eigenes Kapitel. In den 510 Zeilen der Auflösungserklärung hat die RAF kein einziges Wort für ihre Opfer, keine Entschuldigung bei den Angehörigen - für Peters ein "armseliger Abgang", so wie das ganze Unternehmen RAF ein "tödlicher Irrtum" war.
Solveig Bach
Butz Peters, "Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF", Argon-Verlag, 863 Seiten, 24,90 Euro
Quelle: ntv.de