Analyse statt Selbstbespiegelung Keine Angst vorm Drachen
01.06.2007, 12:07 UhrAn Büchern, welche den ökonomischen Aufstieg der VR China und die sich aus ihm ergebenden Folgen für den Rest der Welt thematisieren, herrscht wahrlich kein Mangel. In der Regel zeichnen dort Wirtschaftsjournalisten mit einem stark ins Anekdotenhafte gleitenden Stil ein mehr oder weniger ausgeprägtes Jubel-bzw. Schreckensszenario.
Vorherrschende Methode ist dabei die lineare Extrapolation. Risiken und gegenläufige Tendenzen werden schlicht ausgeblendet, die Frage nach der Validität der vorliegenden Daten erst gar nicht gestellt. Auf derartig fragwürdiger Basis werden sodann Patentrezepte zum Besten gegeben, die von der Abschaffung des kontinentaleuropäischen Sozialstaatsmodells bis zur Errichtung einer unüberwindbaren protektionistischen Abwehrmauer um die Länder des Westens reichen.
Notwendig: Umfassender Ansatz
Warum also sollte man nun ein weiteres China-Buch lesen? Ganz einfach: Weil "Globale Rivalen" einer der raren Versuche ist, das Thema mit der dafür notwendigen Ernsthaftigkeit zu bearbeiten. Was Eberhard Sandschneiders Buch von anderen abhebt, ist, dass es einen systematischen Zusammenhang zwischen dem Aufstieg Chinas und weltpolitischen Strukturveränderungen herstellt. Mehr noch: Sandschneider, Forschungsdirektor bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), einem kleinen aber feinen Think-Tank, versucht anhand des Beispiels China einen Ansatz zur umfassenden Analyse von weltpolitischen Entwicklungen vorzulegen. Anstatt normative Wunschvorstellungen zu artikulieren, ist für den Autor ein Analyseansatz notwendig, der durch den Einbezug von Undenkbarem und Unerwartetem das Spektrum von Handlungsoptionen erweitern hilft.
Gerade in der Debatte um das aufstrebende China zeigt sich für Sandschneider aber die Tendenz des Westens, eigene Befindlichkeiten auf andere Kulturen zu projizieren. Der Widerwille, andere gesellschaftliche und kulturelle Wirklichkeiten überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, führe dann zwangsläufig dazu, dass von einer adäquaten Strategie zur Begegnung dieser Herausforderung nicht die Rede sein kann. Sandschneiders zentrale These lautet denn auch, dass der Westen für den aufziehenden strategischen Wettlauf mit China denkbar schlecht vorbereitet ist.
Der Mangel an strategischer Weitsicht offenbart sich für ihn beispielsweise darin, dass in Europa und den Vereinigten Staaten stark divergierende Wahrnehmungen bezüglich der Qualität der Herausforderung vorherrschen. Werden auf der amerikanischen Seite die Befürchtungen überakzentuiert, so hat sich auf der europäischen ein Hang zur Verharmlosung breit gemacht. China nutzt die hieraus entstehende Uneinigkeit gnadenlos aus und setzt, genau kalkulierend, die jeweils Erfolg versprechenden Instrumente pragmatisch an.
Die Binnenorientierung und mangelnde Koordination des Westens hat vor allem dazu geführt, dass China schlagartig vom Markt zum Wettbewerber avanciert ist – begünstigt nicht zuletzt durch den von westlichen Firmen selbstverschuldeten Verlust bei der Führerschaft von Hochtechnologien.
Gefragt: Gemeinsames Vorgehen
Da eine abgestimmte Strategie die künftige Entwicklung Chinas zumindest tendenziell antizipieren muss, zeichnet Sandschneider eine Reihe von Szenarien. Unter dem Hinweis, dass Sozialwissenschaftler prinzipiell nicht in der Lage sind, Entwicklungen vorauszusehen, hält er dasjenige für am wahrscheinlichsten, dass von einem abgeschwächten oder gar krisenhaft unterbrochenen Wachstum bei zunehmenden inneren Verwerfungen ausgeht. Auch wenn sich der Zeitpunkt einer solchen Entwicklung kaum abschätzen lässt, so sind die strukturellen Voraussetzungen für erhebliche Stabilitätsprobleme jedenfalls nicht zu übersehen.
Die Möglichkeiten des Westens auf die innere Entwicklung Chinas Einfluss zu nehmen sind dabei objektiv betrachtet äußerst gering. Die Mahnungen des Westens, die Menschenrechtslage zu verbessern, sind für die Pekinger Führung völlig irrelevant und spiegeln einmal mehr dessen Wunschvorstellungen von der Universalität der Werte Freiheit und Demokratie wieder. Zumal auch sehr zweifelhaft ist, ob eine längere, ausgangsoffene Transformationsphase in China wirklich im Interesse des Westens wäre. Was bleibt, ist vielmehr eine realistische Bestandsaufnahme vorzunehmen, die kühl und rational Vor- und Nachteile gegeneinander abwiegt und dann durch ein gemeinsames Vorgehen zu versuchen, die eigenen Interessen zu schützen und mögliche Destabilisierungen zumindest abzumildern. Sandschneiders Buch zeigt hierzu einen praktikablen Ansatz auf.
Daniel Müller
Eberhard Sandschneider, Globale Rivalen. Chinas unheimlicher Aufstieg und die Ohnmacht des Westens, Carl Hanser Verlag, München 2007, 248 Seiten, 19,90 Euro
Quelle: ntv.de