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CD-Tipp Klassisches Indien

Von Manfred Bleskin

Es gibt Geschichten, die werden auch durch –zigfache Wiederholung nicht wahr. So wie die, dass George Harrison der erste "westerner" war, der indische Instrumente, namentlich die Sitar, in den Rock and Roll einführte. Es ist vielmehr so, dass der Leadgitarrist der Beatles bei einem Besuch 1965 in den USA von seinem Freund David Crosby von den Byrds auf den zauberhaften Klang der östlichen Instrumente aufmerksam gemacht wurde. Wobei die Byrds dann nicht die Originale einsetzten, sondern die zwölfsaitige Rickenbacker von Frontmann Roger McGuinn auf Sitar trimmten, während auf Drängen von George Harrison in John Lennons "Norwegian Wood" von dem im selben Jahr veröffentlichten Album "Rubber Soul" die Urversion zum Zuge kam.

Wie auch immer: Wahr ist wohl, dass die indische Musik ohne das Engagement von Beatles und Byrds nicht d i e Aufmerksamkeit erfahren hätte, die ihr seither zuteil wird. Bei allem Respekt vor der Zusammenarbeit Yehudi Menuhins mit dem Sitarmeister Ravi Shankar, die zweifellos das ihre geleistet hat.

Die vorliegende CD des auf Weltmusik spezialisierten Londoner Verlags Arc Music bietet die klassische Vorlage, an der sich britische und US-Rock and Roller wie russische Ausnahmeviolinisten orientiert haben. Schon beim allerersten Akkord weiß der geneigte Hörer: Hier hat George Harrison für sein "Within You, Without You" vom Epoche machenden 1967er Beatles-Album "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" abgeschrieben. Sehr zum Wohle der indischen Ragas, wie gesagt.

Die Ragas - von Sanskrit rāgah - bilden die melodische Grundstruktur der klassischen indischen Musik. Baluji Shrivastav gehört weltweit zu den renommiertesten Interpreten des Genres: Auf der Scheibe meistert er in perfekter Weise jene Instrumente, welche die Ragas, sein Leben und seine Musik ausmachen: Da ist zunächst die besagte Sitar, eine Art Laute mit drei bis vier Spiel- , drei Bordun - und elf bis dreizehn Resonanzsaiten. Die Sitar führt als Melodieträger durch den Raga. Shrivastav spielt auch die Surbahar selbst, eine Art Bass-Sitar. Die Surbahar kommt in der modernen indischen Musik leider kaum noch zum Einsatz. Der "Bass" bleibt aber nicht nur ergänzendes Beiwerk. Shrivastavs Soli auf dem eigenwilligen Instrument sind – sagen wir’s einmal so – einfach eine Wucht. Damit nicht genug: Auch die Dilruba beherrscht der in dem Dorf Usmanpur im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh Geborene. Die Dilruba ist ein eine Kreuzung aus Sitar und Sarangi, einem Streichinstrument, das über mehrere Spiel- und eine Reihe von Resonanzsaiten verfügt, die über einem ausgehöhlten Holzkörper und einem darüber gezogenem Fell gespannt sind. Was wäre ein Raga ohne Perkussion? Sanju Sahais Finger wandern über die Tabla, das typische Schlaginstrument der südasiatischen Musik, das aus zwei kleinen Pauken besteht.

Erstaunlich, dass Shrivastav ein solches Album – beileibe nicht sein erstes – zustande bringt, obwohl er in frühester Kindheit erblindete, weil seine Eltern kein Geld hatten, eine Behandlung zu bezahlen. Durch Fleiß und ein unglaubliches Gefühl für die Musik gelang es ihm, zum Begleiter des Indischen Nationalballetts zu werden. Musik hat keine Sprache, sagt er, Musik i s t die Sprache. Wer’s nicht glaubt, sollte einen gut sortierten Plattenladen aufsuchen, die CD erstehen und sich anschließend 74 Minuten und acht Sekunden lang davon überzeugen.

Baluji Shrivastav: "Shadow of the Lotus - Classical Indian Ragas”, CD, Arc Music

Quelle: ntv.de

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