Ein Reisetagebuch in Bildern Kleist in Kuba
29.11.2008, 14:06 UhrComic-Autor Reinhard Kleist hat Kuba besucht. Die Fragestellung war einfach: Wie ist der Sozialismus a la Kuba? Doch am Ende konnte er die Frage nicht wirklich beantworten. Dafür hat er ein spannendes Mosaikbild eines Landes im Wandel vorgelegt.
"Und, wie ist er nun, der Sozialismus la Kuba?" Das fragt sich Kleist nach seiner Reise. Eine klare Antwort bleibt der Autor der überaus erfolgreichen Johnny-Cash-Comic-Biographie "I see a Darkness" (2006 bei Carlsen) allerdings schuldig. Dabei war die Motivation eindeutig: "Weil es gerade ein spannendes Land ist", wollte er es bereisen, schreibt Kleist schon im Vorwort. Und der Klang nach Abenteuer, Fernweh, Glücksspiel, Untergang habe ihn insgeheim ebenfalls auf die Insel getrieben.
Doch zu widersprüchlich sind die Eindrücke, die er gesammelt und in seinem exzellenten Comic-Band "Havanna - Eine kubanische Reise" (Carlsen-Verlag) festgehalten hat. So widersprüchlich, dass die Bilder, die Skizzen und Porträts nie das gesamte Bild der kubanischen Gesellschaft widerspiegeln können, nur Ausschnitte zeigen. Wobei Kleist die schwierige Gratwanderung gelingt, beide Seiten der Medaille zu zeigen und so das spannende Mosaikbild eines Landes im Wandel entstehen zu lassen.
Seine Erkundung der Insel beginnt Kleist in den Straßen der Hauptstadt. Das quirlige, für Europäer ungewohnte Havanna "erschlägt" ihn zunächst: Der "allgegenwärtige Lärm, die benzin- und rußgeschwängerte Luft, (...) das Rufen und Zischeln der pausenlos organisierenden, diskutierenden, feilschenden Menschen, die Musik und das fortwährende Gehupe, all das verbindet sich zu einer die Sinne betäubenden Kakofonie".
Mangelwirtschaft
Und noch eins zeigt sein Spaziergang durch die Stadt: Das Land leidet an der Mangelwirtschaft. Die verfallenden Häuser, oft genug Villen aus der langen Kolonialgeschichte, sind einsturzgefährdet, die US-amerikanischen Straßenkreuzer veraltet - immerhin, so Kleist, habe Kuba die besten Automechaniker der Welt. Auch der manchmal abenteuerliche öffentliche Nahverkehr taucht immer wieder auf.
"Pittoreske Armut"
"Pittoreske Armut, was anderes scheint euch Europäer ja nicht zu interessieren", lässt er jedoch Fidel Castro spöttisch von einer Propagandatafel herunterrufen. Dabei gebe es doch das Gesundheitswesen, die sozialen Programme, die fortschrittliche Energiewirtschaft, freies Schul- und Bildungswesen. "Wie soll man das denn bitteschön zeichnen?", fragt Kleist zurück - und versucht trotzdem zu zeigen, welche Fortschritte Kuba seit der Befreiung von der Diktatur 1959 gemacht hat.
Dies ist jedoch kein leichtes Unterfangen. So begegnet er zwar einer Frau, die den Alphabetisierungsbrigaden angehört hat und so mit den Grundstein für das moderne, kostenlose Bildungssystem gelegt hat. Von deren Freundin erfährt er jedoch, dass ein Überleben mit den Lebensmittelzuteilungen nicht möglich ist und letztendlich nur der Schwarzmarkt bleibt - oder Diebstahl. Kleist zeigt außerdem die Schwierigkeiten, einen Internetanschluss zu bekommen und das zweigeteilte Währungssystem mit dem wertlosen "Peso Nacional" und dem für Kubaner fast unerschwinglichen "Peso Convertible".
Zufrieden mit Raúl
Auch die allgegenwärtige Polizei und willkürliche Verhaftungen, die Kleist ohnmächtig miterlebt, klingen an. Die Begegnung mit einer Dissidentin führt zu einem bitteren Zwiegespräch Kleists mit einem imaginären Fidel. Und so ist natürlich auch die Politik ein wiederkehrendes Thema: die vielen Propagandabilder an den Straßen, der Besuch einer "etwas langen" antiamerikanischen Demonstration vor der US-Botschaft und auch die Frage: "Und Raul? Ist er ein guter Präsident?" Die Antwort ist überraschend: "Sicher, wir sind sehr zufrieden. Er macht, dass Kuba stabil bleibt".
So begegnet Kleist immer wieder einer positiven Grundstimmung, die sich vielleicht nur zum Teil mit karibischer Leichtigkeit erklären lässt. Ebenso die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen, der er auch in der kubanischen Provinz begegnet, beeindrucken ihn.
Menschen, Autos, Fassaden
Kleist kombiniert Straßenszenen, Porträts und Skizzen aus dem kubanischen Alltag mit ganzseitigen Bildern, Panoramadarstellungen und kleinen Comic-Geschichten. Erstere sind spontane Eindrücke - Menschen, Autos, Fassaden, Hinterhöfe - teils unvollendet, manchmal nur schemenhaft und meist schwarz-weiß. Letztere halten Geschichten und Geschichte fest, erklären Hintergründe oder erzählen witzige Anekdoten. Beide Formen sagen dabei manchmal mehr über den Zustand Kubas aus als ganze Abhandlungen. Dazu tragen auch die kurzen Erklärungen bei, die teils als Sprechblase, teils als Prosatext eingefügt sind.
Gesellschaftliches Panorama
Hervorzuheben ist natürlich nicht zuletzt die warme und starke Farbgebung. So entstehen kleine Gemälde, wie etwa die Darstellung der Hafenpromenade, die starke atmosphärische Eindrücke hinterlassen.
Das Unterfangen eines Comic-Reiseberichts ist keineswegs neu. Bereits Craig Thompson verarbeitete seine Erlebnisse einer Reise durch Frankreich und Marokko als exzellenten Comic ("Tagebuch einer Reise", erschienen 2005 bei Reprodukt). Doch wo der US-Amerikaner Thompson sehr subjektiv bleibt, geht Kleist mit einem anderen Ziel ans Werk: Aus den persönlichen Erlebnissen und Eindrücken soll sich ein gesellschaftliches Panorama ergeben. Und dies gelingt ihm außerordentlich gut. Der Comic ist somit eine Empfehlung, die sich nicht nur an Lateinamerika- oder Comic-Fans richtet.
Kleist hat seine Reise zudem im Internet in einem Blog dokumentiert und dort auch einige Bilder aus dem Buch eingestellt (siehe den externen Link).
Reinhard Kleist: "Havanna. Eine kubanische Reise", 80 Seiten, Hardcover, 19,90 Euro (D), ISBN 978-3-551-73434-1
Quelle: ntv.de