Keine Anleitung zum "Spitzenfußballer" Lahm bleibt Antwort schuldig
03.09.2011, 14:14 Uhr
Philipp Lahm, Kapitän der Nationalmannschaft.
(Foto: AP)
Schon vor der Veröffentlichung sorgte Philipp Lahms "Der feine Unterschied" in der deutschen Fußballwelt für erhitzte Gemüter. Der Kapitän der Nationalmannschaft sagt, er wolle in seinem Buch lediglich zeigen, wie der Profifußball tickt. Gelungen ist ihm das nicht. Eine Nachlese.
In der zurückliegenden Woche befand sich Philipp Lahm auf einer Gratwanderung – Rechtfertigung auf der einen, Entschuldigungen auf der anderen Seite. Eingebrockt hatte ihm das ausgerechnet das Blatt, das er sich nach eigenem Bekunden jeden Tag zu Gemüte führt. Mit exklusiven Auszügen aus Lahms Buch "Der feine Unterschied" entfachte die "Bild"-Zeitung einen Sturm der Entrüstung in der deutschen Fußballwelt – schließlich schoss der Kapitän der Nationalmannschaft in den Passagen scharf gegen seine ehemaligen Trainer.
Spekulationen rankten sich vor allem um die Motivation für Lahms Trainerschelte. Von Minderwertigkeitskomplexen und Geltungsdrang war die Rede. Und natürlich wurde auch daran erinnert, dass sich pikante Inhalte schlichtweg besser verkaufen. Derweil rieten die Besonnenen unter den Diskussionsteilnehmern dazu, das literarische Experiment doch erst einmal zu lesen. Knapp 250 Seiten später steht zumindest eines fest: Lahms Abfälligkeiten würzen ein Buch, dessen Unterhaltungswert gegen Null tendiert.
Dabei mutet der Untertitel des Bestsellers durchaus vielversprechend an: "Wie man heute Spitzenfußballer wird", will uns ein eben solcher erklären. Im Vorwort legt er nach: "Dieses ist ein Buch, wie ich es selbst gerne gelesen hätte, als ich ein junger Fußballer war. Es ist ein Buch darüber, wie Spitzenfußball heute funktioniert." Klingt spannend. Darf der Leser etwa mit Systemkritik rechnen? Nein, darf er nicht.
Kraftverschwendung und verpasste Chancen
Vielmehr verschwendet Lahm einen beträchtlichen Teil der ersten 13 Kapitel dafür, seine wichtigsten Turniere Revue passieren und versucht mit Spielberichten die Stimmung von 2006, 2008 und 2010 wieder aufleben zu lassen. Kleine Kostprobe? Viertelfinale der Weltmeisterschaft 2006, Deutschland gegen Argentinien: "Einwurf von links, Michael Ballack, etwa dreißig Meter vor dem Tor, ich spiele ihm den Ball zurück, Balle flankt hoch in den Strafraum, der lange Borowski legt den Ball weiter, und dann sieht Miro Klose zum ersten Mal in diesem Spiel einen Ball gegen diese Defensive, und diesen Ball köpft er zum Ausgleich ins Tor." Schilderungen von Toren, die man gefühlte einhundertmal gesehen hat, finden sich zuhauf in Lahms Buch. Allenfalls schwelgt die Leserschaft nun in Erinnerungen an die Meilensteine der jüngeren Nationalmannschafts-Geschichte. Aber sollte sie nicht eigentlich erfahren, wie man heutzutage Spitzenfußballer wird?
Vielleicht gibt ja Kapitel sieben Aufschluss darüber. Darin widmet sich Lahm nämlich dem Thema Leidenschaft. Sein Fazit klingt plausibel: "Glück und Zufall lassen sich nicht steuern. Leidenschaft hingegen ist die Eigenschaft, die im ausgeglichenen Wettkampf den Unterschied machen kann." Weiter heißt es: "Der leidenschaftliche Spieler gibt einen Ball, der verloren scheint, nicht auf, sondern sprintet ihm nach, und wenn er Glück hat, erreicht er ihn noch, hält ihn im Spiel, in der Mannschaft, und er erobert damit nicht nur den Ball für das Team, sondern er setzt auch ein Zeichen." Kein C-Jugendtrainer dieser Nation hätte es besser ausdrücken können. Und der Leser ist nun endlich um eine Erkenntnis reicher: Ohne Leidenschaft kein Spitzenfußball. Sehr erhellend.
Hochspannung verspricht hingegen Kapitel neun, auch wenn schnell Klarheit darüber herrscht, dass potenzielle Weltstars erneut auf die versprochenen Karrieretipps verzichten müssen. Immerhin greift Lahm mit dem Thema Integration ein ganz heißes Eisen auf. Doch was zunächst tatsächlich Lust auf mehr macht – der Autor erinnert sich an einen denkwürdigen Pressetermin mit seinem türkischen Mannschaftskollegen Hamit Altintop und sinniert über den Einfluss der Politik auf den Fußball – mündet in eine Laudatio auf Bundeskanzlerin Angela Merkel, einem wahren "Fan der Mannschaft". Lahms abschließende Reflektionen über den Migrationshintergrund der deutschen Nationalkicker Mesut Özil und Sami Khedira wirken zwar schlüssig, könnten jedoch genauso gut aus einem Schüleraufsatz stammen.
Erhellung erst im Schlussspurt
Philipp Lahm liefert insgesamt gesehen nur wenig Tiefgründiges. In aller Kürze geht er auf die Trainingsrevolution in der deutschen Nationalelf ein, spricht von einer zerstrittenen 2008er EM-Elf und davon, wie ihm eine Verletzung im Finale die Tränen in die Augen trieb. Ansonsten stopft er 80 Prozent seines Werkes voll mit Floskeln, Spielberichten und Stimmungsbildern, von denen sich jeder schon am heimischen TV-Gerät hatte überzeugen können.
Ein Hauch von Substanziellem weht erst durch die letzten drei Kapitel. Da erklärt Lahm zunächst, wie wichtig es für eine Vereinsführung sei, der Mannschaft eine Philosophie zu verpassen und rekapituliert die Auseinandersetzung mit den Bayern-Bossen über ein entsprechendes Interview. Er äußert sich zum Thema Homosexualität im Profifußball und nennt endlich die medialen Tücken. die die Gladiatoren der Neuzeit erwarten.
Im Schlussakt klärt Lahm die Kernfrage seines literarischen Exkurses, nimmt dem Bücherwurm die Illusion, "dass eine Mannschaft aus elf Freunden besteht", beschreibt den Fußball als "permanente Konkurrenz" und fordert von angehenden Profis "Lernbereitschaft". Handelt es sich hierbei um eine Zusammenfassung der Lehren der vorangegangenen Kapitel? Wenn ja, ist sie bitter nötig. Denn Spieldetails, Phrasen und ein Schuss Trainerschelte trüben den Blick für das, was Jungliterat Philipp Lahm seinen Lesern eigentlich mitteilen wollte: Wie man zum Spitzenfußballer wird.
Quelle: ntv.de