Porträt des Propheten als Judas Mit Dylan auf Tour
07.09.2008, 13:10 Uhr
Alle Bilder entstammen dem besprochenen Band.
(Foto: Barry Feinstein)
Dylan hat seine Fans verärgert. Der Folkie ist zum Rocker geworden. Er gibt sich scheu und abweisend - die Sonnebrille wird zum Markenzeichen. Nur wenige Freunde kommen ihm noch nahe. Einer davon ist Fotograf - und der zeichnet ein intimes, unbekanntes Bild des Musikers.
"Judas" haben sie ihn geschimpft. Ein Verräter an der Sache, weil er die falsche Gitarre in der Hand hält. "I don't believe you. You're a liar", hat er zurückgebrüllt. Und ein "play fucking loud" hinterher geschoben, kurz bevor "Like A Rolling Stone" lospoltert.
Bob Dylan 1966: Ein Konzert in Manchester - jahrelang fälschlicherweise als "Royal-Albert-Hall-Concert" tituliert und erst 1998 offiziell veröffentlicht - macht den Bruch deutlich, den Bob Dylan in den Monaten zuvor vollzogen hatte. Aus dem Folkie ist der Rockmusiker geworden.
Drei Alben für die Ewigkeit
Und was für einer: Dylan befindet sich in einer seiner kreativsten Phasen. Mit "Bringing It All Back Home" und "Highway 61 Revisited hat er 1965 zwei wegweisende Alben herausgebracht. Am Nachfolger "Blonde On Blonde" arbeitet er mehrere Monate. Es wird zum ersten Doppel-Album der Rockgeschichte und - ironischerweise - am Tag vor dem Manchester-Konzert im Mai 1966 veröffentlicht. Zwischen den verschiedenen Aufnahmesessions tourt Dylan ausgedehnt durch Amerika, Australien und Europa.
Mit dabei hat er einen Fotografen, der Dylan so nahe kommt, wie kaum ein anderer in dieser Zeit. "Manche Leute sehen gewissen Dinge, schreibt Dylans Tour-Manager Bob Neuwirth über diesen Barry Feinstein. Und der bekommt als einer der wenigen die Möglichkeit, diese Dinge zu sehen. Vom gegenseitigen Vertrauen schreibt Feinstein, von Respekt und Freundschaft zu Dylan. "Mit gefiel seine Arbeit, ihm gefiel meine." Der sonst so scheue Rocker lässt ausgerechnet einen Fotografen an sich ran.
Die "gewissen Dinge" - für Feinstein sind das Momente, die "etwas aussagen", wie er schreibt - "wahre Momente". Und so verwundert es nicht, dass ein gewaltiger, vieldeutiger Bildband seiner Dylan-Fotografien "Real Moments - Bob Dylan 1966 - 1974" heißt, in exzellenter Aufmachung im Großformat erschienen im Berliner Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf .
Der Interview-Schreck
Gewaltig - und tänzelnd. Dylan, der Riese, aus der Froschperspektive fotografiert (Feinstein findet noch heute, dass "die Leute nicht wissen, wie sie es interpretieren sollen"). Und Dylan graziös balancierend vor einer verfallenen Lagerhalle in Liverpool. So entspannt hat man ihn in dieser Zeit selten gesehen. In der Öffentlichkeit ist er der abweisende Musiker, der Interview-Schreck, der kryptische Antworten gibt und Verwirrung stiftet - für ihn ein Heidenspaß, wie schon die 1965er Tour-Doku "Don't Look Back" von D.A. Pennebaker zeigt.
Auch ein Jahr später versteckt sich Dylan hinter seiner Sonnenbrille, hinter der schwarzen Kleidung und dem Lockenkopf - kein Junge mit Gitarre aus Minnesota mehr, kein politischer Kämpfer, kein Prophet in Newport, der er ohnehin nie sein wollte - das Cover des Bildbandes spricht Bände. Er ist ein Rocker, der die Brille auch nicht abnimmt, als er sich in Liverpool mit Straßenkindern fotografieren lässt. Er ist die Personifizierung des Cool, einer Popkultur, die hier ihren Anfang nimmt.
Die Intimität zwischen Fotograf und Musiker kommt nicht von ungefähr. Barry Feinstein hat Dylan früher schon abgelichtet, beide kennen sich seit Anfang der 60er, sind Freunde geworden. Drei Jahre, bevor er ihn auf der Europa-Tour 1966 begleitet, schießt Feinstein "eine der schnellsten und einfachsten Fotosessions, die ich jemals gemacht habe", wie er schreibt. Das Produkt: das Cover für Dylans Album "The Times They Are A-Changin'".
Dylan beim Einkaufsbummel
Die Zusammenarbeit setzt sich fort und ist von gegenseitigem Respekt geprägt. "Er wusste, dass ich ihn interessant aussehen lassen würde - weil er interessant war. Ich wusste, dass ich mit einem Genie unterwegs war", schreibt Feinstein über Dylan.
Ist das ein Genie? Dylan beim Einkaufsbummel in der Carnaby-Street - der prüfende Blick in den Spiegel. "Die Frisur war in jenen Tagen das Wichtigste", erinnert sich Feinstein. Der Band lebt von diesen intimen Momenten, ob nun im Backstage-Bereich oder auf tristen und grauen englischen Straßen. Kleine Details oder Szenen - "wahre Momente", die überraschen, das bekannte Dylan-Bild erweitern.
Aber es gibt auch Inszenierungen - ob freiwillig oder zufällig. Ein Abendessen mit der Tour-Crew am langen Tisch mit weißem Tischtuch wird zum Abendmahl. Dylan, der Erlöser? Der Schein täuscht: "Das war das schlimmste Essen meines Lebens, das Ekelhafteste, was ich jemals gegessen habe", so Feinstein. Ein zweites Bild wenig später - Dylan ist erschöpft, die Brille ist weg.
Unterbrochen werden diese Momente von den Konzertbildern aus England, Frankreich, aus Irland, Schottland und Wales. Hier ist Dylan ganz der Rocker - die Posen begleiten Musiker nun seit über fünfzig Jahren. Auch die Flucht vor den Fans und den Fotografen - dies ist der bekannte Dylan.
Unfall und Rückzug
"Bob Dylan 1966 - 1974". Nach der Tour 1966 taucht Dylan unter. Kurz nach der Rückkehr aus Europa hat er einen schweren Motorradunfall. Es folgen der Rückzug ins Familienleben, die Country-Rock-Alben "John Wesley Harding" und "Nashville Skyline", einige schwache Platten, wenige Konzerte, Dylans Auftritt in Peckinpahs "Pat Garrett jagt Billy The Kid". Auch in diesem Band klafft diese Lücke. Und doch wird sie geschlossen - durch die Veränderungen, die die Bilder von 1974 offenbaren.
In diesem Jahr ist Feinstein wieder dabei, auf der Tour, die mit dem Album "Before The Flood" dokumentiert ist - Dylan in Begleitung von The Band. Im nächsten Jahr wird Dylan eines seiner besten Alben aufnehmen, das grandiose "Blood On The Tracks", und schließlich mit dem Wanderzirkus "Rolling Thunder Revue" - und mit Allen Ginsberg im Schlepptau - Amerika bereisen.
1974 - ein neuer Dylan
Auf Seite 136 ist es ein wacher, klarer, neugieriger, fordernder Blick Dylans, der das neue Kapitel einleitet. Kein schmaler, schwarz gekleideter junger Mann mehr, sondern ein erwachsener, ausgeglichener, so scheint es. Die Zeiten haben sich geändert - das Rockkonzert findet nun im Stadion statt - und auch Dylan ist ein anderer geworden: "'Ich gehe erst weg, wenn du lächelst', und Bob lächelte", erinnert sich Feinstein.
Nach dieser Tour verabschiedet sich der Fotograf von Dylan. Er wollte "nie wieder bei einer anderen Tour dabei sein (?), weil keine so fantastisch sein würde wie diese". Finanziell ist die Tour tatsächlich ein Riesenerfolg. Künstlerisch ist Dylan aber unzufrieden. Dabei folgt nun eine weitere höchst kreative Phase.
Doch zwei für Dylans Entwicklung wichtige Touren reichen wohl auch aus, um eine Ikonographie dieses Jahrhundertkünstlers zu erstellen. Der vorliegende Band leistet zwar keine vollständige, aber eine hervorragende Arbeit - einige Motive sind bekannt, einige kehren später wieder. Und doch zeigt sich ein intimer, seltener Dylan, wie er sich erst seit wenigen Jahren ab und zu öffnet.
Der Bildband reiht sich so perfekt in eine Serie von Veröffentlichungen ein: Vom Dokumentarfilm "No Direction Home" von Martin Scorsese (dessen DVD-Cover ebenfalls von Feinstein stammt), über die Dylan-Zeichnungen und Aquarelle bis zur Autobiographie "Chronicles" - der einst so öffentlichkeitsscheue Künstler öffnet sich und "Real Moments" leistet dazu einen exzellenten Beitrag.
"Real Moments" Bob Dylan 1966-1974. Fotografien von Barry Feinstein. Mit einem Vorwort von Bob Neuwirth. Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, 160 Seiten, 100 Abbildungen, Premium-Hardcover im Riesenformat, EUR 49,90 (D).
Quelle: ntv.de