Wollust, Schlemmerei und Mord Mit Trenchcoat in die Hölle
31.07.2011, 06:21 Uhr
Im dritten Höllenkreis: "Der Gestank des Regens aus Fäkalien ist schrecklich; die Schlemmer müssen zur Strafe in dem Morast liegen."
(Foto: Knesebeck 2011)
Wenn man wie Humphrey Bogart aussieht, lernt man in der Hölle den Teufel kennen und trotzt Sex, Gewalt und Prasserei. In den Himmel kommt man trotzdem. Und wenn man D'Artagnan heißt, vergeht man sich an einer intriganten Blondine und pfeift auf einen machtgeilen Kardinal.
Seymour Chwast – "Dantes Göttliche Komödie"
Darf man das denn? Die "Göttliche Komödie", eines der wichtigsten literarischen Werke des Mittelalters, in einer Graphic Novel verarbeiten? Die Lyrik Dantes in Striche und Bilder übersetzen? Man darf. Mit ansehnlichem Ergebnis. Der US-amerikanische Illustrator Seymour Chwast hat sich darangemacht, den Dichter durch Hölle, Läuterungsberg und Paradies zu folgen, begleitet von Vergil, Mathilde und Beatrice, vorbei an etlichen Zeitgenossen, historischen und mythischen Gestalten, an Sündern und Heiligen bis hin zum himmlischen Paradies vor Gottes Angesicht.
Für heutige Leser ist Dantes Werk vom Beginn des 14. Jahrhunderts, das zu den Klassikern der italienischen und der Weltliteratur zählt, eine schwierige Angelegenheit. Das liegt nicht nur an Sprache und Reimform, sondern auch den vielen auftretenden Figuren, die heute nur vage oder gar nicht bekannt sind. Hinzu kommen christliche Symbolik und historische Anspielungen, die wohl nur noch von Experten verstanden werden. Insofern ist es überaus mutig von Chwast, sich dieses Werkes anzunehmen.
Das Buch sprudelt geradezu über vor grafischen Ideen. So tritt Dante mit Trenchcoat, Hut und Pfeife auf – ganz im Stile der Paraderollen Humphrey Bogarts. Und auch sonst entsprechen Figuren und Setting immer wieder dem Film Noir der 30er und 40er Jahre. Da taucht Vergil mit Spazierstock und Melone auf, bekämpfen sich die Guelfen mit Maschinenpistolen und ähnelt Mathilde einer Jazzsängerin aus einem Club in Harlem. Äußerst vielseitig sind auch die ganz in Schwarz-Weiß gehaltenen Zeichnungen. Auf Panels wird fast ganz verzichtet. Stattdessen gehen die Bilder ineinander über, überlappen sich oder füllen ganze Doppelseiten aus. Der Ideenreichtum verwundert wenig, schließlich ist Chwast einer der einflussreichsten Grafiker unserer Zeit, der unzählige Plakate, Cover und Illustrationen schuf.

Seymour Chwast: "Dantes Göttliche Komödie" ist bei Knesebeck erschienen, hat 128 Seiten (schwarz-weiß) im gebundenen Großformat und kostet 19,95 Euro (D).
Doch bei aller zeichnerischen Meisterschaft, die das Buch zu einem visuellen Erlebnis macht: Die "Göttliche Komödie" ist am Ende einfach zu komplex, um sie als Comic auf 128 Seiten zu verwirklichen. Chwasts vielgestaltige Zeichnungen wirken eher wie aneinandergereihte Illustrationen denn wie eine erzählende Comicgeschichte. Dafür gibt es zu viele Figuren, zu viele (symbolische) Ebenen, zu viele Details, die erklärt werden müssen. Die Poesie Dantes geht dabei verloren. So wird die Adaption zu einem kurzen Abriss des Originalwerks. Der Gang durch die Kreise von Hölle, Fegefeuer und Paradies, vorbei an den Wollüstigen, den Gewalttätigen und den Liebenden ist aber trotzdem ein großes Vergnügen. Schließlich lernt man viel über Dante, seine Zeitgenossen und die christliche Mythologie vom Jenseits. Vom Spaß an den wunderbaren Zeichnungen ganz zu schweigen.
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Nicolas Juncker – "Die drei Musketiere"
Ein nicht minder riskantes Wagnis ist der Franzose Nicolas Juncker eingegangen. Und das nicht, weil es in seinem Werk mitunter auch um Wolllust, Schlemmerei und Gewalt geht. Vielmehr hat er "Die drei Musketiere" zu einem Comic verarbeitet. Doch was kann man dieser Geschichte schon hinzufügen, die man - selbst wenn man das Buch von Alexandre Dumas nie zur Hand genommen hat - aus etlichen Verfilmungen in- und auswendig kennt. Zu kennen glaubt! Denn Juncker schafft eine spannende und kurzweilige Geschichte. Die bedeutendste Änderung ist dabei, dass diese nicht von einem Erzähler, sondern streng aus der Perspektive D'Artagnans dargestellt wird.

Vier Männer im Regen: Portos, D'Artagnan, Athos, Aramis (v.l.).
(Foto: Carlsen Verlag, Hamburg 2011)
Der erste Blick lässt freilich zögern. Die Zeichnungen wirken teilweise unausgegoren, die Gesichter unfertig. Große Augen und Grimassen erinnern an Mangas. Doch das wird aufgewogen durch ungewöhnliche Perspektiven, die vielseitige Panelaufteilung und durch einige zeichnerische Einfälle - etwa, dass Gedankengänge als Schwarzweiß-Zeichnungen die eigentlichen Panels hinterlegen und ergänzen. Vor allem aber gewinnt die Handlung schnell an Fahrt, so dass man das dicke, 260 Seiten starke Buch kaum mehr zur Seite legen mag. Hinzu kommt natürlich das Wiedersehen mit den altbekannten Figuren von den vier Helden über Lady de Winter bis zu Kardinal Richelieu.

Nicolas Juncker: "Die drei Musketiere" ist bei Carlsen erschienen, hat 264 Seiten, ist farbig und gebunden und kostet 24,90 Euro (D).
Juncker spielt den Vorteil des Comics voll aus: Die Figuren sind hier vielschichtiger und tiefgründiger als in den Filmen. Weil Juncker sich Zeit für die Charakteristik lässt, etwa durch Rückblenden. Weil er die Freundschaft der vier Haudegen sich langsam entwickeln lässt. Und weil Athos, Porthos und Aramis jeweils ganz eigene Wesenszüge offenbaren, die bei anderen Adaptionen zu schnell untergehen. Diese Tiefe macht das Buch mitreißend und sehr lesenswert und gibt dem vielfach verwendeten Stoff einen neuen Reiz. Es ist also eine gute Vorbereitung auf die mit Spannung erwartete 3D-Verfilmung von Paul W.S. Anderson mit Logan Lerman, Orlando Bloom, Milla Jovovich und Christoph Waltz als Kardinal Richelieu, die am 1. September in die deutschen Kinos kommt.
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Vargas und Baudoin – Die Tote im Pelzmantel
Die Französin Fred Vargas ist mittlerweile nicht nur in ihrer Heimat eine etablierte und erfolgreiche Krimiautorin, vielleicht, weil es die studierte Archäologin reizt, im Privatleben anderer Menschen zu graben. Mit dem preisgekrönten Zeichner Edmond Baudoin legt sie nun bereits zum zweiten Mal eine illustrierte Version ihrer Geschichten vor. Nach "Das Zeichen des Widders" ist es diesmal "Die Tote im Pelzmantel", eine kurze Geschichte, die als Text bereits unter dem Namen "Fünf Francs das Stück" erschien.

Fred Vargas/Edmond Baudoin: "Die Tote im Pelzmantel" ist bei Aufbau erschienen, hat 96 Seiten, ist schwarz-weiß und gebunden und kostet 14,95 Euro (D).
Die Story handelt von einem Obdachlosen, der Naturschwämme verkauft - oder es zumindest versucht. Eines Nachts wird er Zeuge eines Mordversuchs an einer Frau. Doch der Polizei möchte er lieber nicht zu viel verraten. Da hilft auch Druck nicht. So versucht Kommissar Adamsberg, ihn über ein intensives Gespräch zum Reden zu bringen. Und dabei lernt er viel über diesen Pi, aber auch über sich selbst.
Baudoin hat diese Geschichte auf 50 Seiten in Bilder umgesetzt. Mit dickem, schwarzem Strich zeichnet er ein düsteres, drohendes Bild von Paris. Die Gesichter sind gezeichnet von der Anstrengung – sei es das Leben auf der Straße, sei es die Arbeit als Kommissar. Streckenweise ist der Band dabei sehr textlastig. Dabei sind gerade jene Bilder ohne Text besonders ausdrucksstark, weil sie die Figuren alleinlassen in der Dunkelheit. Hier wird ihre Last besonders spürbar. An diesen Stellen läuft dieses interessante und überzeugende, vielleicht aber etwas zu kurz geratene Experiment zu großer Form auf. Ergänzt wird der Band durch die gezeichnete Kurzgeschichte "Die Stadt zeichnen" von Baudoin, ein Nachwort über die Vargas-Baudoin-Kollaboration und eine Leseprobe aus Vargas' "Der verbotene Ort".
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Andreas Dierßen – "Die besten Zeiten"
Der neue Band von Andreas Dierßen ist keine Literaturadaption. Aber vielleicht wird der Band ja irgendwann selbst eine Vorlage für andere Künstler. Jedenfalls wirkt die Geschichte wie ein Episodenfilm - nur eben als Graphic Novel. Dierßen verfolgt über einen Tag lang mehrere Menschen, die sich im Großstadtdschungel zurechtfinden müssen. Sie sind auf der Suche nach Liebe, nach Anerkennung oder nach dem schnellen Geld. Nur ein Mann hat auch etwas zu geben: Man muss nur an männliche Feen glauben und sich was wünschen.

Andreas Dierßen: "Die besten Zeiten" ist bei Carlsen erschienen, hat 160 Seiten, ist schwarz-weiß und gebunden und kostet 19,90 Euro (D).
Für die meisten Menschen freilich sind die "besten Zeiten" vorbei. Da muss man die Rente eben mit Taschendiebstählen aufbessern. Dierßen strickt mehrere Erzählstränge und lässt seine Protagonisten mehrmals aufeinandertreffen. Dabei gibt es dann kleine Nettigkeiten, viel mehr noch aber kleine Gemeinheiten. Oder erhobene Zeigefinger, die das Leben mitunter anstrengend machen können. Dierßens Stärke sind dabei die genauen Beobachtungen im menschlichen Miteinander.
Nur hätte man manchmal gerne etwas mehr gewusst über die Menschen und ihre Motivationen. Warum wird ein Mädchen entführt und getötet? Warum muss ein Mann unbedingt nach Ährenkamp? Und wieso lässt sich ein anderer dann doch auf ein Blind Date ein? Hier bleiben die Charaktere leider zu oft im Vagen.
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Quelle: ntv.de