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"Frau im Schatten" Omas schwarze Seele

Irgendwann erlebt man den Moment, in dem einem klar wird, dass Eltern nicht allmächtig sind, dass Großeltern auch einmal jung waren und dass überhaupt das Bild, dass wir uns von unseren Vorfahren gemacht haben, mehr unsere Interpretation, als ihr tatsächliches Leben ist. Diesen Vorgang nennt man Erwachsenwerden und nicht selten ist er äußerst schmerzhaft.

Für Dorinde van Oort beginnt dieser Prozess nach dem Tod der geliebten Großmutter. Oma Annetje ist hochbetagt gestorben. Sie war kinderlos geblieben, hatte sich jedoch als Krankenschwester rührend um andere gekümmert. Schon in ihren 50-ern heiratete sie schließlich doch noch und wurde eine rührende Stiefmutter und Oma. Nur fallen die Trauerreden seltsam aus, ihr Lieblingssohn weigert sich zu sprechen und in den schließlich gesprochenen Worten ist eine Ambivalenz spürbar, die van Oorts alter Ego Emma kaum mit der Oma in Verbindung zu bringen vermag.

Ihr Vater Lepel hat einen Karton mit dem Nachlass Annetjes mitgenommen, beide wollen den Inhalt gemeinsam sichten, doch als Emma zum Vater kommt, liegen die ersten Papiere bereits verbrannt im Kamin. Emma nimmt sie an sich und sammelt in der ganzen Familie Fotos, Briefe und Urkunden zusammen, um das Leben der Großmutter zu rekonstruieren.

Immer wieder stößt sie auf Ungereimtheiten, angefangen von einer rätselhaften Krankheit, für die sie die Schwesternausbildung unterbrechen muss und die sich schließlich als Schwangerschaft entpuppt. Die kinderlose Oma war nicht kinderlos, nur durfte das niemand wissen. Auch ihr geliebtes Haus Vosseveld, ein Familienheiligtum, ist offenbar auf unehrenhafte Weise in ihren Besitz gelangt. Und dann ist da noch der plötzliche Tod ihres Ehemannes.

Van Oort hat aus ihrer privaten Suche beinahe eine Kriminalgeschichte gemacht. Dagegen spricht eigentlich nichts, doch ist dieses Puzzle aus verschiedenen Briefen und Erzählungen für Nicht-Familienmitglieder etwas schwer zu durchschauen. Ein Stammbaum hilft zwar die wichtigsten Personen zuzuordnen, doch es bleibt ein Gefühl der Ratlosigkeit.

Familiengeschichten sind meist spannend, diese erzählt eine besondere Frauengeschichte des 20. Jahrhunderts, Annetjes Scheitern an unmenschlichen Moralvorstellungen, die schließlich auch sie immer skrupelloser werden lassen. Van Oort hat lange als Journalistin gearbeitet, das spürt man an ihrem Text. Manchmal scheint ihr die Sprache zu fehlen für ihre Familientragödie.

Dorinde van Oort „Frau im Schatten – Eine Familiengeschichte“ dtv München, Juni 2008, 360 Seiten, 14,90 Euro

Quelle: ntv.de

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