Respektvoll und realistisch Robert Crumbs "Genesis"
18.03.2010, 08:00 Uhr
Gegen die guten Sitten: die Zerstörung von Sodom und Gomorra.
(Foto: Robert Crumb / Carlsen Verlag 2009)
Robert Crumb ist durch anstößige Comics über Sex und Gewalt bekannt geworden. Nun hat er auf großartige Weise das Erste Buch Mose adaptiert. Die Themen bleiben die gleichen.
Robert Crumb wäre sicher die letzte Wahl, wenn der Vatikan nach einem Illustrator für die Bibel suchen würde. Denn der Zeichner ist für seine expliziten Darstellungen von Sexualität, Gewalt und Drogenkonsum bekannt. Vor allem mit seiner legendären Comicserie "Fritz the Cat" erregte der Künstler die Gemüter, denn der dauergeile Kater war nun wirklich kein Engel.
Mit seinen satirischen wie anstößigen Geschichten wurde Crumb in den 60er Jahren zur Ikone der Underground-Comic-Bewegung. Er tat alles, um sich und sein Werk nicht zu kommerzialisieren, veröffentlichte vor allem in kleinen Magazinen und scherte sich nicht um den Massengeschmack. Seinen Helden Fritz ließ er denn auch sterben, nachdem er in einem Film aufgetreten war. Zudem widerstrebte es Crumb wohl, aus der Figur eine Endlosserie machen zu müssen. Im Vatikan würden seine damaligen Werke jedenfalls ganz sicher im hintersten Giftschrank landen.
Inzwischen hat sich Crumb allerdings anderen Themen und Beschäftigungen zugewandt: Er arbeitete an einer Theaterproduktion mit, zog mit seiner Familie nach Frankreich und spielt Banjo in einer Band. Außerdem verwandelte er – sehr erfolgreich – einige der Kurzgeschichten und Erzählungen von Franz Kafka in Comics.
Wortgetreu und ungekürzt
Dass ausgerechnet dieser Robert Crumb sich vier Jahre lang intensiv mit der Bibel auseinandersetzt und das gesamte Erste Buch Mose, die 50 Kapitel der "Genesis", als Comic adaptiert, verwundert im ersten Moment durchaus. Allerdings erzählt die Bibel eben auch eine faszinierende Geschichte. Es "ist ein fulminantes Werk, dessen vielfältige Bedeutungsebenen tief in unserem kollektiven Bewusstsein – oder in der Kulturgeschichte des Menschen – verwurzelt sind", schreibt Crumb in der Einführung.
Die Textvorlage war ihm so wichtig, dass er sie möglichst "wortgetreu und ungekürzt" übernahm, wie er schreibt. Orientiert sich die englische Version an der King-James-Bibel und Robert Alters "The Five Books Of Moses" von 2004, liegt der deutschen Version, die im Carlsen Verlag erscheint, die Lutherbibel von 1912 zu Grunde.
Dass es sich Crumb nicht leicht gemacht hat mit diesem Mammutwerk, sieht man auf jeder einzelnen Seite. Phantasiereich und detailliert erzählt er von der Schöpfung, von Adam und Eva, Kain und Abel, von Noah und den Erzvätern, bis hin zu Joseph und seinen Brüdern. Auch die ausführlichen Stammtafeln, die von den meisten Bibellesern überblättert werden, spart Crumb nicht aus. Faszinierend ist die Gestaltung so vieler unterschiedlicher Gesichter, bei der Crumb sein gesamtes zeichnerisches Können aufbietet.
Ein schnelles Durchblättern des Buches ist einfach nicht möglich. Unweigerlich bleibt man hängen, liest sich fest an den längst bekannten Geschichten, die man hier jedoch mit anderen Augen sieht – die Zeichnungen hauchen dem Text wieder Leben ein. Zwar ist Crumbs Strategie, den Text nicht zwanghaft zu modernisieren, absolut richtig. Doch ausgerechnet die antiquierte Sprache ist auch der Schwachpunkt des Buches. So sind es die Bilder, die eine dröge Bibellektüre verhindern und den Leser immer tiefer in die Geschichte hineinziehen. Nicht zuletzt wird dies durch die exzellente Aufmachung des gebundenen Buches in Halbleinen und mit sehr guter Papierqualität unterstützt.
Respektvoll und realistisch
Das Leben zur Zeit Abrahams versucht Crumb realistisch darzustellen, in seinem unverwechselbaren Stil bekommt man tatsächlich ein Gefühl für Zeit und Umstände, in der die biblischen Begebenheiten spielen. Dazu gehört auch, dass Adam und Eva nackt durch den Garten Eden streifen – man fragt sich, wie ein konservativer Zeichner die Unschuld des Paradieses dargestellt hätte. Hinzu kommt, dass die Welt des Alten Testaments eine männlich dominierte Gesellschaft ist.
Crumb, der die Bibel für eine von Menschen erfundene Dichtung hält, verweist in der Einführung auf bewusste Verfälschungen und Umdichtungen, die der Priesterkaste Einfluss und Macht sichern, aber auch das Patriarchat religiös begründen sollten. Dadurch seien etliche Stellen und Einzelheiten verloren gegangen, wodurch das, "was heute in die Bibel hineingedeutet wird, lediglich auf einer Mischung aus wissenschaftlichen Erkenntnissen und Vermutungen" beruht.
Crumb lässt sich trotzdem darauf ein – und er gewinnt. Respektvoll, aber realistisch illustriert er eines der wichtigsten Bücher der Kulturgeschichte. Seine "Genesis" ist als Erst- oder Wiederentdeckung sehr zu empfehlen. Doch Achtung! Er schließt nicht aus, dass das Buch Leser schockieren oder in ihren Gefühlen verletzen könnte. Kein Wunder, immerhin drehen sich die ersten Kapitel der Bibel um Sündenfall und Brudermord, Sintflut und Turmbau zu Babel, Sodom und Gomorra. Schlimmer war "Fritz the Cat" auch nicht.
Robert Crumb: "Genesis", Carlsen Verlag Hamburg, Hardcover Halbleinen 224 Seiten, 29,90 Euro (D), ISBN 978-3-551-78637-1
Quelle: ntv.de