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In Diensten der Stasi Verrat und kein Vergessen

2009 beantragten über 100.000 Menschen Einsicht in die Stasi-Akten. 20 Jahre nach der Erstürmung der Ost-Berliner Stasi-Zentrale ist die Erkenntnis über das Ausmaß der staatlichen Bespitzelung noch immer ungeheuerlich. Hinzu kommt die Tatsache des tausendfachen privaten Verrats, die in ihrer persönlichen Dimension kaum zu erfassen ist.

Inga Wolfram erzählt in "Verraten" die Geschichte von Täuschung und Bedrohung, die sie miterlebt hat. Wolfram studierte in den siebziger Jahren an der Ost-Berliner Humboldt-Universität Philosophie. In ihrem Studium lernt sie nicht zuletzt ihren späteren Mann kennen. Und der ist der Kopf einer Oppositionellengruppe. Diese jungen Intellektuellen wollen einen anderen Sozialismus, sie lehnen die vorgekauten Weisheiten der Hochschullehrer und des Staatsapparates ab, wollen sich selbst ein Bild machen.

Akribische Nacharbeit

Doch während die jungen Leute versuchen, die wichtige Literatur im Original zu lesen und den intellektuellen Diskurs darüber suchen, hat die Stasi längst einen der ihren zu einem der ihren gemacht. Nach jedem Treffen liefert der ausführliche Berichte, die Stasi ist immer auf dem Laufenden.

Auch nach Jahren hat bei Wolfram die Empörung über diesen Verrat nicht nachgelassen. Doch das ist nicht die Stärke des Buches. Interessant ist Wolframs akribische Nacharbeit von Stasi-Akten, eigenen Erinnerungen und denen anderer Beteiligter:

Wie sich die Staatssicherheit Schritt für Schritt der Gruppe nähert, um strafrechtlich relevantes Material gegen die einzelnen Mitglieder zusammenzutragen. Wie die Festnahme nur an einer Kleinigkeit scheitert. Wie jedes Gruppenmitglied schließlich auf andere Weise diszipliniert wird, nicht zuletzt um den Spitzel zu schützen. Der so oft beschriebene Eingriff in DDR-Biographien bekommt hier gleich mehrere Gesichter. Wolfram hatte ursprünglich zu dem Thema eine TV-Dokumentation gemacht, deshalb ergänzen transkribierte Interviews das Buch. Wem das Thema Stasi abgeschlossen scheint, der lese hier nach, wie es ist, wenn Moral Verhandlungssache wird.

Pünktlich zum Jubiläum des Mauerfalls war viel über "die DDR" zu hören und zu lesen. Doch wenn dieses Gänsefüßchenland auch klein und überschaubar war, homogen oder gar überall gleich war die DDR nicht. Das ist eine Nebenerkenntnis beim Lesen von Wolframs Buch.

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Quelle: ntv.de

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