Kino

Britischer Überraschungshit "Alles koscher" - Herrlich respektlos

Nicht vom einfallslosen deutschen Filmtitel abschrecken lassen: "Alles koscher" ("The Infidel") hat das Zeug zum Sommerkinohit.

Nicht vom einfallslosen deutschen Filmtitel abschrecken lassen: "Alles koscher" ("The Infidel") hat das Zeug zum Sommerkinohit.

Mahmud Nasir liebt seine Familie, Fußballtrikots und 80er-Jahre-Elektropop. Die Definition eines guten Moslems legt er weit aus. Dann stürzt ihn eine zufällige Entdeckung ins Chaos: Er ist nicht nur adoptiert, sondern auch noch Jude. Der Film "Alles koscher" ist eine witzige, liebevolle Antwort auf die Frage, was Identität eigentlich ausmacht.

Zum Verrücktwerden: Sein Geheimnis bringt Mahmud Nasir alias Solly Shimshillewitz in arge Bedrängnis.

Zum Verrücktwerden: Sein Geheimnis bringt Mahmud Nasir alias Solly Shimshillewitz in arge Bedrängnis.

"Kaum erfährt man, dass man Jude ist, kommt ein Typ in Uniform und führt einen ab – das ist doch absurd!" Mahmud Nasir versteht die Welt nicht mehr. Eben noch war das Leben des britischen Moslems in bester Ordnung. Ein Taxifahrer mit Reihenhaus, schöner Ehefrau und zwei Kindern, dessen schlimmstes Vergehen es bisher war, dass er auch schon mal in die Lieblingstasse seiner Frau Saamiya gepinkelt hat, wenn er in der Halbzeit zu faul war, um vom Sofa vor dem Fernseher aufzustehen. Aber jetzt hat er in der Wohnung seiner verstorbenen Mutter eine Urkunde gefunden, die ihm als Adoptivkind ausweist und erfahren, dass sein Geburtsname Solly Shimshillewitz ist. Mahmud ist in Wirklichkeit ein Jude.

Wegen seiner temperamentvollen Reaktion aus der örtlichen Behörde für Familienangelegenheiten hinausgeworfen, weiß Mahmud nicht wohin und sucht Hilfe in der Moschee. Doch dort deutet der verständnisvolle Imam die Nöte seines Schützlings falsch und glaubt, dass sich Mahmud als schwul outen will. Seiner Familie kann er es auch nicht erzählen, denn sein verliebter Sohn hat ihm gerade klargemacht, dass es wichtiger denn je ist, ein guter Moslem zu sein. Rashid will seine Freundin Uzma heiraten und deren Stiefvater ist der fanatische Prediger Arshad Al-Masri, der der Hochzeit nur unter der Bedingung zustimmt, dass Uzma in eine strenggläubige Familie einheiratet. Um seinen vermeintlichen Vater, Izzy Shimshillewitz, im jüdischen Altersheim besuchen zu können, muss Mahmud wiederum dem Rabbiner der Einrichtung beweisen, dass er etwas vom Judentum versteht.

Plötzlich ist in Mahmuds Leben mehr Religion denn je. Schon mit der Aufgabe, ein guter Moslem zu sein und auch dem kleinsten Nippen an einer Bierdose abzuschwören, überfordert, hat er nicht die leiseste Idee von Judentum. Der einzige Jude, den Mahmud kennt, ist der Taxifahrer Lenny, mit dem ihm eine innige Feindschaft verbindet. Aber Mahmud hat endlich mal wieder Glück: Lenny ist bereit, dem Verzweifelten zu helfen und ihm jüdische Bräuche beizubringen. Das Doppelleben beginnt.

Erfrischend unkorrekt

Mit "Alles koscher" schenken uns Autor David Baddiel und Regisseur Josh Appiganesi eine erfrischende Komödie, in der die Identitätssuche nicht bei den Religionen, sondern nur beim Menschen selbst fündig wird, und die ebenso liebevoll wie ironisch den Kampf der Kulturen aufs Korn nimmt.

Jüdisches Tanzen: Mahmud beim Nachhilfeunterricht.

Jüdisches Tanzen: Mahmud beim Nachhilfeunterricht.

Der mehrfach ausgezeichnete Comedian und Schauspieler Omid Djalili spielt den verzweifelten Mahmud so charmant, dass die besonders gerne in Deutschland gestellte Frage nach dem "Darf man das?" nicht eine Sekunde lang aufkommt. Egal, ob er typisch jüdische Seufzer vor dem Spiegel übt, um dann am "Oy vey" zu scheitern, oder ob er bei einer Pro-Palästina-Demonstration seine aus Versehen zum Vorschein gekommene Kippa aus Panik demonstrativ anzündet, um nicht enttarnt zu werden - brenzlige Situationen werden einfach weggelacht.

Und so darf die kleine Filmtochter Nabi auch ungestraft mit ihrem Spielzeugschwert permanent den Dschihad ausrufen und die beste Freundin von Ehefrau Saamiya in einer schwarzen Burka zum Joggen vorbeikommen. Und wenn Lenny in seinem Taxi vorbeifährt, ertönt aus dem Inneren natürlich die "Hatikwa", die israelische Nationalhymne.

Moslems spielen Juden und umgekehrt

Nicht nur Omid Djalili spielt also meisterhaft mit den Klischees. Die britische Schauspielerin Archie Panjabi, hierzulande vor allem als schicke indische Schwester in dem Kinohit "Kick it like Beckham" oder als toughe Ermittlerin Kalinda Sharma in der US-Fernsehserie "Good Wife" bekannt, spielt die perfekte muslimische Ehefrau – in ihrer modernsten Form: Sportfanatisch, schlagkräftig und immer noch so sehr in ihren "Bären" verliebt, dass seine Heimlichtuerei für sie nur bedeuten kann, dass sich eine andere ihren Schatz gekrallt hat. Der US-Schauspieler Richard Schiff als Lenny gibt den klassischen vom Leben enttäuschten jüdischen Zyniker, der aber immer noch einen Sinn für die Komik in der Situation seines neuen Freundes Mahmud hat.

Sinn für Humor hat das nach eigenen Aussagen muslimisch-jüdisch-christlich-atheistisch-buddhistisch-bahaistische Filmteam auch bei der Wahl des Schauspielers für die Rolle des fanatischen Islam-Predigers Arshad Al-Masri bewiesen: Der israelische Schauspieler Igal Naor konnte dem Drehbuch nicht widerstehen. Naor hat schon viel Erfahrung mit solchen Figuren, in der Mini-Serie: "Die Husseins: Im Zentrum der Macht" spielte er die Rolle des Saddam Husseins.

Liebevoll bis ins Detail

Die perfekte muslimische Familie. Oder?

Die perfekte muslimische Familie. Oder?

Die Komik in "Alles koscher" ist mal laut, mal leise. Und wenn die schmerzenden Lachmuskeln einem die Zeit geben, lohnt es sich, auch auf die liebevolle Ausstattung des Films zu achten. In Mahmuds muslimischer Welt stechen die Farbtöne grün und orange hervor, in der jüdischen blau, Silber und hier und da ein kräftiger gelber Tupfer. Und auch die Inneneinrichtung gibt hier und da subtile Hinweise auf den Gemütszustand Mahmuds. Das Kissen mit der Aufschrift "Life is full of surprises", auf dem der erschöpfte Neu-Jude einschläft, ist da nur ein Beispiel. Die Filmmusik steuerte unter anderem Erran Baron Cohen, der Bruder von Comedian Sacha Baron Cohen, bei, für den Titelsong liehen sich die Filmemacher George Michaels Klassiker "Faith".

"Alles koscher" ist ein Film für alle, die über die menschliche Natur, religiös oder nicht, lachen können. Auch wer selbst weder jüdisch noch muslimisch ist, wird Mahmud, seine Familie und seine Freunde ins Herz schließen, stehen sie in Sachen Charme den Figuren aus Independent-Filmen wie zum Beispiel "Little Miss Sunshine" in nichts nach. Und besonders wichtig: Niemand sollte sich von dem wieder einmal einfallslosen deutschen Titel "Alles koscher" von einem Kinobesuch abhalten lassen. Nein, auch wenn das Thema ähnlich ist, das ist kein Fortsetzungsfilm von Dani Levy. Und es geht um viel mehr als um die Frage Jude oder nicht. "The Infidel", der Ungläubige, heißt der Film im Original und stellt damit den Menschen in den Vordergrund – nicht die Religion.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen