Heute schon gepinkelt? Caine, Keitel und die Glocken auf der Alm
27.11.2015, 18:59 Uhr
Regisseur Paolo Sorrentino verwöhnt die Kino-Zuschauer mit unvergesslichen Bildern und intelligenten Dialogen.
"Hast du mit ihr geschlafen?" "Ich kann mich leider nicht mehr daran erinnern." Michael Caine und Harvey Keitel spielen in "Ewige Jugend" zwei ältere Herren, deren Alltag aus Prostataproblemen und pornösen Phantasien besteht. Das machen sie allerdings großartig.
Wir alle wollen alt werden - aber dann alt sein? Das ist die große Herausforderung!! Vor der stehen wir, und zwar wie die Kuh vorm neuen Tor. Mit großen Augen gucken wir uns dann anscheinend an und fragen unser, höchstwahrscheinlich gleichaltriges, Gegenüber: "Warst du heute schon pissen?" Der oder die sagt dann: "Ja, so zwei, drei Mal ..." und wenn wir ein alter Mann sind, dann fragen wir noch mit diesem wissenden Unterton: "Und wie viele Tropfen?" In Harvey Keitels Fall sind es drei bis vier. Michael Caine sagt daraufhin nichts.
Man kann es als alter Mensch schlechter antreffen als diese beiden: Sie kuren auf dem "Zauberberg", in einem Hotel in den Davoser Alpen, das sicher schon bessere Zeiten gesehen hat, aber auch viele schlechtere. Alte Menschen in solchen Hotels, die dort Rekonvaleszenz betreiben und ärztlich gecheckt werden (um dann die Diagnose zu bekommen: "Sie sind topfit") haben es deswegen gut, weil sie über genug Kleingeld verfügen, sich so etwas überhaupt leisten zu können.
Während andere Altersgenossen also die karge Rente mit Pfandflaschen sammeln und Kinder hüten bei Fremden aufbessern, dürfen diese Herren hier über das Leben im Allgemeinen und im Besonderen sinnieren. Und das machen sie ohne viele Worte (denn Freunde in der "Ewige Jugend"-Definition erzählen sich nur die angenehmen Dinge, wissen aber trotzdem, wann es dem anderen schlecht geht) und sie machen es optisch ansprechend, philosophisch und äußerst gepflegt.
Ding Dong
Sie gehen in den Bergen spazieren, kaufen Kleinigkeiten im örtlichen Kuckucksuhr-Laden, dirigieren die Glocken der Kühe und haben - mit Verlaub - doch nichts anderes im Sinn als ihre eigenen "Glocken". Fred Ballinger, ehemaliger Stardirigent und gespielt vom stoisch-wunderbaren, 82-jährigen Michael Caine, fragt seinen Freund, den alternden, sechs Jahre jüngeren Regisseur Mick Boyle (Harvey Keitel) zum Beispiel: "Erinnerst du dich an Gilda, Gilda Black? Ich hätte zwanzig Jahre meines Lebens gegeben, um einmal mit ihr ins Bett gehen zu dürfen." Mick: "Das wäre bescheuert, sie war nicht einen einzigen Tag wert!" Woher weißt du das, hast du mir ihr geschlafen?" "Ich kann mich nicht daran erinnern." Und Ballinger dann, nach einem kurzen Moment: "Und ich kann mich nicht an meine Familie erinnern, an die Dinge, die ich ihr angetan habe."
Großartige Dialoge sind das, die der italienische Regisseur Paolo Sorrentino den beiden alten Meistern da auf den hinfälligen Leib geschrieben hat. Zum Glück hat Ballinger aber seine wunderschöne, jedoch kreuzunglückliche Tochter dabei, die ihrem alten Herrn da gern auf die Sprünge hilft - indem sie ihn wissen lässt, was für ein Versager er in familiären Dingen war. Rachel Weisz spielt diese leicht überspannte Frau, und sie ist leider ein wenig klischeehaft geraten, aber das macht nichts, denn der ganze Film des "Fellini-Nachfolgers" Sorrentino spielt mit den Klischees, als wäre das Leben eine einzige Oper.
Jane Fonda begeistert
Apropos Oper: Einen divenhaften Auftritt par excellence darf Jane Fonda als ehemalige Muse des Regisseurs, der noch einen richtigen Knaller-Film machen will, hinlegen. Der Regisseur ist allerdings mit uninspirierten Drehbuchschreibern gestraft, und so dümpelt das Projekt vor sich hin, bis die Diva sich aufrafft, ihm unmissverständlich die Meinung zu sagen: "Das Leben geht weiter, auch ohne diese ganze Kino-Scheiße", rotzt sie ihm vor die Füße und rauscht von dannen, nicht ohne ihn obendrein wissen zu lassen, dass er in einer Art "alpinem Gefängnis" sitzt, das sich durchaus nicht nur auf die Alpen als solche beschränkt.
Überhaupt - Jane Fonda: Die ist so großartig in ihrer Faltigkeit, weil sie Dinge weiß, die man erst im hohen Alter wissen kann und die uns, den überwiegend unter 70-jährigen Kinogängern, eines klarmacht: Wir sind in der Unterzahl, der demographische Wandel wird auch uns erledigen. Jane Fonda übrigens - Oscar-Gewinnerin, Feministin, Fitnessikone - hat kein Problem damit, zu ihrem Alter zu stehen und trotzdem der Natur etwas nachzuhelfen. Die 78-Jährige "wollte sich mit der OP etwas Zeit kaufen" und ließ sich die Tränensäcke entfernen. Ihren Chirurgen wies sie aber an, er solle die Falten bitte lassen. Abgesehen von einigen Tricksereien schwört Fonda außerdem auf gesundes Selbstvertrauen und auf ihren täglichen Wodka Martini.
"Zwanzig zu sein war qualvoll"
Auch Rachel Weisz, Ehefrau von Bond-Darsteller Daniel Craig und schon einen Oscar schwerer als der Gatte, beichtet im Angesicht des geballten Alters um sie herum: "Zwanzig zu sein war qualvoll, zumindest für mich. In den Dreißigern wird einem erst richtig bewusst, wer man eigentlich ist. Eine unglaubliche Erleichterung!" Das Beautygeheimnis der 45-Jährigen besteht zwar weniger aus alkoholischen Mixgetränken, sondern eher aus einer Mischung aus hohem Sonnenschutzfaktor und Yoga-Workouts (herrlich zu begutachten in den Poolszenen), aber auch in der rigorosen Ablehnung aller Diäten, denn: "Wer sich die Kurven weghungert, hungert sich die Weiblichkeit weg." Um die holde Weiblichkeit mit all ihren Kurven geht es in den Gedanken der beiden alten Knacker Keitel und Caine eine Menge!
Und so erlebt der Zuschauer einen extravaganten Vater-Tochter-Konflikt, in dem die Tochter schon mal gesteht, dass sie eine Granate im Bett ist, ihr Vater sagt: "Ich weiß", und sie sich dann darüber halbtot lachen. Wir bekommen aber auch Sätze wie: "Das habe ich komponiert, als ich noch liebte", und das allein schon ist den Besuch dieses skurrilen, künstlerisch anspruchsvollen Filmes wert.
"Ewige Jugend" (im Original simpel „Youth“) ist in den Kategorien "Bester Film", "Beste Regie" (Paolo Sorrentino) "Bester Darsteller" (Michael Caine), "Beste Darstellerin" (Rachel Weisz) und "Bestes Drehbuch" (Paolo Sorrentino) für den Europäischen Filmpreis 2015 nominiert, der am 12. Dezember 2015 in Berlin verliehen wird.
Neben den bereits erwähnten, Oscar-gekrönten Schauspiellegenden Michael Caine, Harvey Keitel und Jane Fonda und Rachel Weisz (nein, sie ist noch keine Legende, stimmt) spielt der smarte wie überzeugende Newcomer Paul Dano. Und wie bereits in "La Grande Bellezza" verwöhnt Sorrentino sein Publikum mit weitsichtigen, unvergesslichen Bildern und ruhigen Schnitten.
"Ewige Jugend" läuft seit dem 26.11. in den deutschen Kinos
Quelle: ntv.de