Kino

"Am Sonntag bist du tot" Die dunkle Seite Irlands

Charakterkopf Brendan Gleeson ("The Company You Keep", "The Guard") wieder als zerrissene Figur.

Charakterkopf Brendan Gleeson ("The Company You Keep", "The Guard") wieder als zerrissene Figur.

(Foto: imago/David Heerde)

Bei der Beichte erfährt ein irischer Priester, dass er nur noch sieben Tage zu leben hat. Ein Missbrauchsopfer sinnt auf Rache. Das Drama "Am Sonntag bist du tot" wagt sich mit einem moralischen Dilemma an die Themen Sünde und Vergebung.

Irland ist eine Sehnsuchtsinsel der Deutschen. Spätestens seit dem 1957 erschienenen "Irischen Tagebuch" Heinrich Bölls übt die grüne Insel hierzulande eine besondere Faszination aus. Doch hinter der heimeligen Fassade aus Guinness, Torffeuern und Harfenmusik verbergen sich unsagbare und über Generationen hinweg verübte Verbrechen. 2010 kam eine Kommission zu dem Schluss, dass allein in katholischen Kinderheimen und Waisenhäusern zwischen 1914 und 2000 rund 35.000 Kinder von Priestern und Mönchen misshandelt und vergewaltigt worden waren. Unzählige Kinder wurden von Gemeindepriestern missbraucht, die Täter von ihren Vorgesetzten geschützt. 2014 wurde in der westirischen Ortschaft Tuam ein Massengrab mit fast 800 Kinderskeletten entdeckt. Nonnen eines Heims für "gefallene" Frauen hatten dort fast 40 Jahre lang an Unterernährung und Vernachlässigung gestorbene Kinder entsorgt.

Diese dunkle Seite Irlands abseits von IRA und Freiheitskampf wurde mehrmals im Kino thematisiert. Meist aus Sicht der Opfer, etwa in Peter Mullans "Die unbarmherzigen Schwestern" ("The Magdalene Sisters") oder zuletzt in "Philomena" mit Judi Dench – der wahren Geschichte eines unehelich schwanger gewordenen Mädchens, das von Nonnen wie eine Sklavin gehalten und deren Baby an Adoptiveltern verkauft wird. Regisseur John Michael McDonagh war während der Dreharbeiten zu seiner schwarzen Komödie "The Guard" die Idee für einen Film über das Thema gekommen. Allerdings wollte er keinen Päderasten in Soutane zeigen. Sein Held sollte ein wahrhaft guter Priester sein. 

Gottesmann mit Vergangenheit

James Lavelle (Brendan Gleeson) ist allerdings kein Heiliger. Langmut und Vergebung fallen dem leicht aufbrausenden Mann schwer, seine göttliche Berufung steht für ihn aber außer Frage. Lavelle hatte einst ein ganz normales Leben geführt. Nach dem Tod seiner Frau schwor er den Priestereid und kümmert sich nun in einer Kleinstadt an der wilden irischen Westküste um das Seelenheil seiner Gemeinde. Die zeigt sich aber meist widerwillig oder offen feindselig: In der einstigen katholischen Hochburg Irland stehen die Zeichen der Zeit auf Abkehr von der Kirche, jeder Priester steht automatisch unter dem Verdacht, ein Kinderschänder zu sein.

Ein schuldiger Priester?

Ein schuldiger Priester?

Eines Sonntags wird Lavelle im Beichtstuhl Schreckliches offenbart. Der hinter der Trennwand verborgene Mann berichtet, als Siebenjähriger von einem Priester vergewaltigt worden zu sein. Das Martyrium dauerte fünf Jahre an. Das Opfer sinnt auf Rache. Sein Peiniger ist aber gestorben und wen würde es schon scheren, wenn ein schuldiger Priester getötet würde? Aber einen guten Priester zu töten, das wäre ein Schock. Der Mann fordert den Geistlichen auf, in den nächsten sieben Tagen seine Angelegenheiten zu ordnen. Denn am nächsten Sonntag werde der Priester zu seiner eigenen Hinrichtung am Strand erwartet.

Whodunit mal andersherum

Lavelle weiß im Gegensatz zum Zuschauer, welches Mitglied seiner Gemeinde diese unglaubliche Drohung ausgesprochen hat. Er ist aber unsicher, wie er vorgehen soll und wie ernst die makabre Ankündigung zu nehmen ist. Zudem hat der Geistliche auch noch andere Sorgen. Tochter Fiona (Kelly Reilly) wollte sich mal wieder wegen eines Mannes das Leben nehmen und ist zu Besuch aus London. Die Frau des Schlachters Jack Brennan (Chris O'Dowd) läuft mit einem Veilchen durch die Gegend, das ihr vielleicht aber auch ihr dunkelhäutiger Liebhaber (Isaach de Bankolé) verpasst hat. Unterdessen lassen der neureiche Michael Fitzgerald (Dylan Moran) oder der zynische Arzt Frank Harte (Aidan Gillen aus "Game of Thrones") keine Gelegenheit aus, den Priester ihre Verachtung spüren zu lassen.

Tag um Tag verstreicht und die Anzeichen verdichten sich, dass der angehende Mörder im Beichtstuhl es todernst meint. Fliehen, kämpfen, sich für die Sünden Anderer opfern - Lavelle weiß einfach nicht, wie er sich verhalten soll. Dann kommen auch noch Dämonen seiner eigenen Vergangenheit wieder hoch.

"Am Sonntag bist du tot" ist ein gleichermaßen zutreffender wie nichtssagender deutscher Filmtitel. Im Original trägt das Drama den programmatischen Titel "Calvary", zu deutsch: Golgotha. Der Name steht nicht nur für den Ort von Jesu Kreuzigung. Er symbolisiert auch den aus freien Stücken eingegangenen Opfertod, um die Sünden Anderer zu büßen. So spiegelt die Lavelle verbleibende Woche die Stationen im Kreuzweg ab oder nach Lesart von Regisseur McDonagh auch die fünf Phasen der Trauer wider. An düsteren Augenblicken der dramatischen, aber auch komischen Art mangelt es dabei nicht.

Der verachtete Held

Für die Hauptrolle griff der Filmemacher nach "The Guard" erneut auf Brendan Gleeson zurück. Der hat es sichtlich genossen, nach all den Anti-Helden seiner Karriere (Auftragsmörder Ken in "Brügge sehen … und sterben?", Alastor "Mad-Eye" Moody aus Harry-Potter-Filmen) einmal eine wahrhaft aufrechte Figur zu verkörpern. "Es ist fast schon revolutionär, einen unbescholtenen Priester, der nur Gutes tun will, ins Zentrum zu rücken", meint der Dubliner. Für ihn behandelt der Film auch einen fundamentalen Werteverfall. Heutzutage würden Menschen, die sich dem Guten verschrieben haben, dafür sogar verachtet, sagte der Schauspieler bei diesjährigen Berlinale. Dort war sein Drama im Panorama gezeigt worden.

Bereits das äußere Erscheinungsbild eines Priesters würde heutzutage Argwohn erregen, beschrieb McDonagh auf dem Berliner Filmfestival die Stimmung in Irland. Ganz bewusst hatte er deshalb seinen Protagonisten eine altmodische Soutane tragen lassen - und das nicht nur in Anspielung an die Priester in Western von Sergio Leone.

Die zerstörerischen Folgen des institutionalisierten Missbrauchs in Irland werden nicht wortreich thematisiert, sind aber allgegenwärtig und liegen wie ein giftiger Schleier über der Gesellschaft. Von allen denkbaren Monstern in Menschengestalt trifft Lavelle ausgerechnet auf den gottesfürchtigen Kannibalen und Mädchenmörder Freddie (gespielt von Gleesons Sohn Domhnall). Der inhaftierte Psychopath zeigt dem Priester die Grenzen dessen auf, was an göttlicher Vergebung vorstellbar ist, als er fragt: "Gott hat mich erschaffen, nicht wahr? Also versteht er mich. Glauben Sie nicht auch?"

"Am Sonntag bist du tot" startet am 23. Oktober in den deutschen Kinos.

Quelle: ntv.de

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