Kino

Marillion und Stranglers Drei Editionen, drei Bands?

Mit den jüngst veröffentlichten CD-Boxen der UK-Bands Marillion und Stranglers liegen Anthologien zweier Bands vor, die eigentlich drei sind. Von Punk über Bombast bis hin zu ProgRock gestatten die Veröffentlichungen einen tiefen Einblick in tolle, manchmal auch nicht so tolle Musik.

Was wäre wohl aus Genesis geworden, wenn nach dem Weggang von Peter Gabriel 1975 nicht Phil Collins, sondern Derek William Dick aka Fish dessen Platz als Leadsänger eingenommen hätte? Sicherlich das, was aus Marillion wurde, als Fish 1988 die ein knappes Jahrzehnt zuvor im englischen Aylesbury gegründete Band verließ und durch Steve Hogarth ersetzt wurde. Die Box mit dem Wichtigsten der Fish-Ära von 1982 bis 1988 dokumentiert eine Gruppe, die ebenso wie Genesis der Gabriel-Ära zur Crème de la Crème des Progressive Rock gehörte. Anleihen bei Klassik, Jazz und Folk ergeben - wenngleich komplizierte - in sich aber geschlossene Klangbilder. Beispiel: "Three Boats Down From The Candy", von der B-Seite des 1998 remasterten Albums "Fugazi". Da findet sich eine kongeniale Replik auf Griegs Bergkönighalle. Dazu kommt Fishs Stimme, die ähnlich dramatisch wie die von Gabriel war und ist. Steve Rothery spielt eine kratzige Gitarre, Mick Pointer, ab 1984 Ian Mosley, ein wuchtiges Schlagzeug und Mark Kelly, der einzige Ire unter den Engländern, ein überzeugendes Keyboard. Fish übrigens ist bei Edinburgh geboren, mithin der einzige Schotte der Band, was sich auf seinen späteren Soloplatten noch stärker widerspiegeln sollte als bei den Marillion-Produktionen.

Das Geheimnis des Erfolgs

Ab 88 wurden die Band - die unter Sänger Steve Hogarth eigentlich eine völlig neue war - zu einer sahnigen Popkapelle, die gleichwohl bei den unverbesserlichen Fans unverändert Anklang fand. Es progrockte nicht mehr. Aber es poppte. Commerce oblige. Und chartete. Besser als vorher. Die vorliegende Ausgabe enthält die interessantesten Tracks aus den zwischen 1989 und 1995 veröffentlichten Alben, darunter auch Livemitschnitte ihrer auch heuer noch gut besuchten Konzerte. Alles klingt bombastischer, vielfach auch tanzbarer. Vielleicht liegt darin das Geheimnis der Erfolgssträhne.

Bei den Stranglers war alles anders. Sie bürsteten von Anfang an gegen den Strich und gehören unbestritten zur Crème de la Crème des Punkrock. Sie hätten sich wohl nie vorstellen können, Jahrzehnte nach ihrer Gründung 1974 einmal Objekt der Begierde eines Box-Herausgebers zu werden. Die vorliegende Edition vereint A- und B-Seiten ihrer Singles. Dazu kommen alternative Mixe ihrer größten Hits, die - wie "Golden Brown" - natürlich auch in ihrer bekannten Version präsentiert werden. Die Stranglers fühlten sich dem traditionellen Rock and Roll offensichtlich mehr verbunden denn Marillion. So enthält die Box auch den Song "Fools Rush Out", was durchaus als Anknüpfung an Rick Nelson verstandene werden darf, der 1959 den Uraltoldie "Fools Rush In" zum R & R-Standard machte.

Was reimt sich auf "heroes"?

Die Gruppe um Sänger Hugh Cornwell verstand sich zugleich stets als Teil eines Protestes gegen die bestehenden Zustände. In "No More Heroes", das hier auch als etwas rauer Radio Edit vorliegt, beklagen sie den Tod des auf Stalins Befehl ermordeten Kommunisten Lew Dawidowitsch Trotzki, der als Gründer der Roten Armee entscheidenden Anteil am Sieg der Roten im postrevolutionären Russland hatte. Textlich wagen sich die Stranglers sogar an Wortschöpfungen heran: Wenn sich, wie in ihrem Song "No More Heroes", nichts auf "heroes" reimt, erfinden sie halt das Kunstwort "shakesperoes".

Fazit: Wer sich durchaus kontrastierende Musik der 70er, 80er und 90er kompakt zu Gemüte führen will, hat mit den drei Boxen genau das Richtige im CD-Spieler.

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Quelle: ntv.de

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