"Hello, Barbie!" Kid Rock ist so verdammt pc
11.11.2010, 18:08 Uhr
Still rockin' ... (Fotos: Clay Patrick McBride)
Er weiß zwar nicht, wer Peter Fox ist, doch er hat dieselben Träume wie der deutsche Sänger: Ein Haus am See, Bäume im Garten, eine schöne Frau an seiner Seite, ein paar Enkelkinder zu seinen Füßen im Schaukelstuhl und - still rockin' ... Ein Gespräch mit einem äußert politisch korrekten Mann aus Detroit.
Am 12. November erscheint Kid Rocks neues Album "Born Free", das er mit seinem Kumpel Rick Rubin in einer zweiwöchigen Session eingespielt hat. Natürlich ist der Rocker nun auf Promo-Tour in Germany, wo er mit seinem letzten Album "Rock'n Roll Jesus" wochenlang die obersten Chart-Plätze belegte, unterwegs. Ich treffe ihn im Berliner Hyatt Hotel.
Lächelnde Blondinen
Seine Begrüßung: "Hello Barbie!" Ich dreh' mich um, hinter mir weit und breit keine Blondine. Ich lächle, wie das von Blondinen so erwartet wird und sage: "Hello, Mr. Rock!" Er runzelt mit einer Augenbraue und bittet mich aufs Sofa, die Zigarre qualmt und er macht es sich gemütlich. Bevor wir anfangen, schmeißt er aber noch einen telefonierenden Mitarbeiter raus: "Ey, get out of the room, you're talking f***ing too loud german", dann wendet er sich mir mit einem fast Bambi-haften Augenaufschlag zu: "Let's start!" Eines mal vorneweg: Das waren die härtesten Sachen, die für heute aus Kid Rocks Mund gekommen sind, im weiteren Gespräch gibt sich der Hutträger Friedensnobelpreis-würdig, sein Album kommt dieses Mal ohne "Parental Advisory"-Sticker aus. Doch zuerst ein kurzer Exkurs aus Berlin nach Köln.
Jim Beam bis zum Abwinken
Dort gibt der Mann mit der markanten, heiseren Stimme ein "Geheimkonzert". So geheim nun auch wieder nicht, denn wir sind nicht ganz allein, die "Halle, Tor 2" ist voll. Viele Kölner im Kid-Rock-lookalike-Look sind hier, Bier und Jim Beam fließt in Strömen. Als der Meister dann beginnt, verwerfe ich den Gedanken mit dem Friedensnobelpreis gleich wieder, denn Kid Rock geht ab wie Schmidts Katze, sowohl musikalisch als auch in seinen Erzählungen. Vieles hat mit "explicit words" zu tun, aber es ist witzig. Der Mann hat die Meute im Griff.
Wer denkt, dass er jetzt nur Songs von seinem neuen Album spielt, der irrt. Der Mann gibt alles, heizt dem Publikum mit bekannten Songs wie "Rock'n Roll Jesus", "All Summer Long" und "Cocky" ein und ist ein absoluter Stimmungsbolzen. Die Kölner und die Angereisten sind begeistert, 16 Stücke liefert der "Man on a Mission" mit seiner absolut überragenden Twisted Brown Trucker Band ab und die Zugabe, "Born Free", soll nur zu einem vorläufigen Höhepunkt werden.
Der Kollege mit der Ukulele
Wie am Abend zuvor von Stefan Raab in "TV Total" angedroht, kommt der Multi-Entertainer tatsächlich auf die Bühne, um mit seinem, man möchte inzwischen sagen: "Kumpel", best of Kölsch abzuliefern: "Hey Kölle, do bes e Jeföhl!" Allerfeinste Karnevalsstimmung, gepaart mit Erstaunen darüber, dass der Typ aus Detroit tatsächlich den Text kann (oder es zumindest wirklich versucht und sich dabei selbst totlacht), um dann auch noch für alle Oktoberfestliebhaberinnen "Viva Colonia" zu schmettern. Hach, nee, war das schön.
Wieder in Berlin: Der Mann kann singen. Der Mann ist freundlich. Der Mann ist total beherrscht und weiß ganz genau, was er sagt. Er wirkt ganz anders als in früheren Presseberichten, die ihn als dauertrunkenen, randalierenden Rocker skizzieren, der er sicher auch mal war, der er aber ganz sicher nicht mehr ist. "Hey, ich werde auch älter", sagt er fast milde und fragt: "Soll ich dir mal erzählen, wie egal mir das ist, was andere über mich denken und wie schön spießig ich mir mein Leben so vorstelle?" Ich nicke etwas verunsichert - will ich das wirklich wissen oder will ich mein hartes Bild von ihm im Kopf behalten? Zu spät, er redet bereits davon, wie er sich auf der Veranda, in einem Schaukelstuhl (Rockingchair!!) sieht, ein Kaltgetränk in der Hand, ein paar Kinder, die im Garten tollen, Frauen ungeklärten Alters um ihn versammelt, die entweder seine Frau sein könnten oder seine Enkelin oder seine Schwiegertochter, also auf jeden Fall eine Menge gutaussehende Frauen. "Still rockin'", lächelt er. "Na klar", sage ich, und: "Kennst du Peter Fox?" Nee, kennt er nicht, aber wer das denn sei. Ich erklär's ihm und er sagt, dass der Typ interessant klingt. Ja, sag' ich, der hat ähnliche Fantasien ("Haus am See") und Kid Rock meint, den googelt er mal.
Born, aber so was von free
Kid Rock ist nachdenklich geworden: "Haben wir nicht ein wahnsinniges Glück, dort geboren worden zu sein, wo wir geboren wurden? Ich meine, Detroit ist zwar eine Stadt am Rande des Nervenzusammenbruchs, aber es hätte schlimmer kommen können." Er will wissen, wo ich geboren wurde. "In Berlin!" "Auf welcher Seite?" Ich sage es ihm. "Siehst du, du warst frei, nur ein paar Meter weiter, und dein Leben wäre ganz anders verlaufen." Er hat Recht, und darüber habe ich auch schon oft nachgedacht. Kid und ich philosophieren noch ein wenig weiter. Kid Rock: "Ich habe so viele Orte auf der Welt gesehen, bin so viel gereist, aber was mich am meisten beeindruckt hat ist Nord- und Südkorea. Das ist doch verrückt da! Aber erst, wenn man sich solche Situation vor Augen hält, so wie auch eure Zeit hier mit der Mauer, wird einem klar, wie dankbar man sein kann für eine gewisse Freiheit." Fast möchte ich "Amen" sagen, aber der Mann aus Michigan meint es ernst. "In meiner Heimat ist vieles auch nicht perfekt, aber man hat immer noch die Wahl. If you work hard in America, you can get a free education. Okay, you really have to work your butt off, but in the end you can get what you want! Das ist, was zählt! Hier könnt ihr sogar umsonst zur Universität gehen!" Kid ist gut informiert. Sein Bruder ist Lehrer, und er will jetzt eine Schule in Detroit gründen, in einem der ärmsten Stadtviertel, denn den staatlichen Institutionen wird nicht mehr getraut.
God save the queen, rutscht mir fast heraus, aber das passt ja nicht so ganz, und Mr. Rock ist auch noch nicht fertig: "Die Möglichkeit eine Wahl zu haben ist wichtig!" Und: "Wenn man kann, dann sollte man etwas tun gegen die Probleme der Welt. Ich habe ein Stipendien-Programm in Detroit initiiert, da mache ich viel Charity, denn die Stadt ist wirtschaftlich am Boden. Da haben im letzten Jahrhundert noch zwei Millionen Leute gelebt und gearbeitet, jetzt sind es nur noch 900.000 und der Bürgermeister saß im Knast." (Anm.d. Red.: Nicht der aktuelle)
Die Frage, ob er ihn, den Bürgermeister, dort kürzlich getroffen habe, stelle ich mal lieber nicht, sonst ist unsere gemütliche Plauderei sicher gleich beendet. Ich frage statt dessen lieber: "Is this the new Kid Rock?" "Ja, ich hab' einiges gelernt und sehe vieles anders als zu der Zeit, in der der ich 16, 17 war und mich nur für Autos und Mädchen interessiert habe." Und jetzt, interessiert er sich nicht mehr dafür? "Natürlich, aber da gibt's eben noch mehr." Wichtig sind ihm seine Besuche bei den amerikanischen Truppen in der Ferne und seine Stiftungen: "Es ist wichtig, Zeit mit deinen Liebsten zu verbringen, aber auch mit denen, die niemanden haben!"
Mehr Text als Beats
"Born Free", ein Album mit Seele, es gibt diesmal weder Rap noch Metal, aber wieviel Beastie Boy steckt noch in ihm? "A lot", kommt es wie aus der Pistole geschossen. "Aber HipHop hat mich eine Weile schon nicht mehr so richtig inspiriert!" Auf dem Konzert klang das zum Glück ganz anders! Jetzt steht er mehr auf Country und Rock ("Good, genuine, honest Rock'n Roll"), und das ist für ihn, den Kantigen, manchmal vielleicht etwas arrogant Wirkenden, auch eine Art Rebellion: "Mich interessieren jetzt viel mehr die Texte als die Beats!" Aber beides zusammen wäre doch am besten, oder? "Ja klar, aber ein Beat kann keine Geschichte erzählen!" Da hat er jetzt auch wieder Recht. Und er will auch nicht jedem gefallen. "Ich unterhalte die Leute gerne, und wenn sie sich durch meine Musik gut fühlen, fühle ich mich gut, aber ich mache immer nur das, was ich will!" Ich hab' nichts anderes erwartet.
Er liebt die Musik der Eagles, von Linda Ronstadt, und das merkt man dem neuen Album auch an. Er ist sehr gut befreundet mit Sheryl Crow, ihre gemeinsame Version von "Collide" mit Bob Seger am Piano klingt wie Harmonie pur, sie ganz klar, er sehr tough: "Ja, wir sind wie eine Familie, ich will bald ein paar Songs mit ihr aufnehmen." Da freuen wir uns, denn sein Stück mit Crow handelt von Liebe, die anderen Songs auf "Born Free" sind tatsächlich fast alle sozialkritisch und setzen sich mit dem Problemen der ganz normalen Leute auseinander. "Ja, ich kenne diese Probleme, denn ich kenne diese Leute. Sie sind in meiner Stammkneipe, meiner Straße, und keiner sieht in mir einen Star, sondern nur den Typen aus ihrer Straße, der mit jedem ein Bier trinkt." Das Image, das in den Medien existiert, stimmt also gar nicht? "No, that's not me," antwortet er mit dem Ausdruck aufrichtigen Entsetzens im Gesicht. Wichtig sind ihm seine Leute, auf Hollywood pfeift er. "Meine Freunde wissen, wie ich bin. Und das ist das einzige, das zählt!" Und ich weiß es jetzt auch ein bisschen mehr!
Quelle: ntv.de