Nur ein Schwein im Menschenkörper H"Artpop"(pen) mit Lady Gaga
08.11.2013, 12:15 Uhr
Ihre von ihr "Little Monsters" genannten Fans tragen sie: Lady Gaga.
(Foto: Lastnightsparty.net / Universal Music)
Dada war Frau Gaga ja irgendwie schon immer. Doch nun will die Lady die Kunstgeschichte abermals von hinten aufrollen. "Artpop" heißt ihr neues Album in Anspielung auf die Popart Andy Warhols. Stellt sich nur die Frage: Ist das wirklich Kunst oder kann das weg?
"Faschistoide Bumsmusik" … So, jetzt ist es raus. Das waren die Worte eines Kollegen, als es in der Redaktionskonferenz um das neue Album von Lady Gaga ging. Jedenfalls wurde es so überliefert. Wer nicht direkt neben ihm saß, konnte seine Worte bei all dem Gemurmel und Gekicher nämlich nicht genau verstehen. Er selbst beteuert inzwischen ja, er habe "faschistoide Rumsmusik" gesagt. Aber ändert das wirklich was? "Bumsmusik" klingt doch irgendwie cooler, zumal man das ja nicht nur versaut verstehen kann. Ein Rums kann schließlich auch ein Bums sein, sonst gäbe es ja den Ausdruck Rumsbums nicht.
Ohnehin ist zu bezweifeln, dass sich die Sängerin an "Bumsmusik" mit sexueller Konnotation wirklich stören würde. "Do what you want with my body", singt sie etwa im Duett "Do what u want" mit R'n'B-Star R. Kelly. "Do you wanna see me naked, lover?", fragt sie im ersten "Artpop"-Song "Aura", während bei "Swine" dann eigentlich keine Fragen mehr offen bleiben: "I know you want me, you're just a pig inside a human body". Das hängt doch irgendwie alles nicht nur musikalisch mit Poppen zusammen und klingt dabei auch nicht gerade nach Blümchenvariante.
Schon eher ist da eigentlich zu befürchten, dass sich Lady Gaga tatsächlich an der anderen Lesart stören würde - egal, ob nun von "Rums-", "Bums-" oder "Rumsbums-Musik" die Rede ist. Schließlich hat sie das Album ja nicht ohne Grund "Artpop" getauft. Die 27-Jährige versteht sich als Gesamtkunstwerk. Das schließt nicht nur sie, ihre Tattoos, Maskeraden und Auftritte, sondern selbstredend auch ihre Musik mit ein. Die Aussage, dass sie jedoch ausgerechnet bei ihrer Hauptprofession als Musikerin, Songwriterin und Sängerin über ein Bum-Bum-Bum-Niveau nicht hinauskommt, dürfte ihr deshalb ganz sicher ebenso wenig gefallen wie der Zusatz "faschistoid". Kunst lebt schließlich von Freiheit und nicht von Gleichschritt. Und dass die Lady sich wie kaum ein anderer als Freigeist definiert, liegt ja nun wirklich auf der Hand. Deswegen wird ihr diese Aussage auch ganz sicher nicht gerecht.
Da wummert der Bass
Es sei denn vielleicht, man reduziert "faschistoid" auf den Gedanken an Marschmusik - um sozusagen den Anwurf der "Bumsmusik" noch einmal mit einem richtig heftig-fiesen Rumsbums zu unterstreichen. Denn auch wenn Lady Gaga sich nach Kräften bemüht, ihrem neuen Album einen kunstvollen Anstrich zu verleihen, lässt sich nicht von der Hand weisen, dass sie darauf vor allem knietief in wummernden Synthie-Bässen badet. Die ersten fünf Songs auf "Artpop" behelfen sich samt und sonders mit Dubstep-Anleihen, auch wenn "Jewels N' Drugs" mit der Unterstützung von T.I., Too $hort und Twista natürlich einen starken Rap-Einschlag hat. Erst bei Lied Nummer 6 traut sich die Lady, das Terrain wabernder Elektrosounds zu verlassen und mit "MANiCURE" Rockgefilde aufzusuchen.
Klar, bei "Do what u want" mit R. Kelly im Gepäck, der Ballade "Dope" und dem sich von sanften Klaviertönen zum Tanzflächenfüller aufschwingenden "Gypsy" zeigt Frau Gaga auch noch einmal eine andere Seite von sich. Doch summa summarum bleibt sie der Musik treu, die sie auch schon auf ihren ersten beiden Alben zelebriert hat und die manch einer abfällig auch als "Kirmestechno" verspottet.
Mit einem Unterschied: Aufgrund der eher düsteren Dubstep-Einflüsse kommen viele Songs längst nicht mehr so geschmeidig daher wie etwa ihre früheren Hits "Born This Way", "Bad Romance" oder selbstredend "Poker Face". Wollte man dies positiv wenden, könnte man sagen, dass Lady Gaga mit dieser "Hartpop"-Variante der von ihr bereits ausgetretenen Pfade in gewisser Weise wirklich Kunst betreibt - die Kunst der Dekonstruktion. Doch geht sie dabei nicht weit genug. Viele werfen ihr deshalb vor, sich in Wahrheit auch beim dritten Album nicht wirklich weiterentwickelt zu haben. In den USA wurde "Artpop" von den meisten Kritikern regelrecht zerrissen.
"Satanistische Pop-Schlampe"
Doch das ist schon geradezu eine philosophische Diskussion, die bei einem schnöden Popalbum übertrieben anmutet. Ans Bein gebunden hat sie sich allerdings die Lady mit ihrem überhöhten Kunst-Anspruch selbst. Man kann es auch ganz einfach auf den Punkt bringen: "Artpop" mangelt es im Vergleich zu den ersten Werken der Sängerin an einer größeren Anzahl veritabler Hits. Schon die erste Single "Applause" entpuppte sich nicht gerade als Überflieger. Und sonst? Sonst haben vielleicht gerade mal noch "MANiCURE" und "Gypsy" das Zeug zum Gassenhauer.
Ja, die Messlatte bei Lady Gaga liegt hoch. Auch weil sie sie selbst so hoch legt und dem nicht wirklich gerecht werden kann. An Anfeindungen ist sie dabei schon aus der Vergangenheit gewöhnt. Schließlich wurde sie zum Beispiel von Nina Hagen auch schon mal als "satanistische Pop-Schlampe" bezeichnet, die "Pop-Prostitution" betreibe. Auch das stimmt natürlich nicht. Anders als etwa Miley Cyrus bekommt es der Paradiesvogel mit dem bürgerlichen Namen Stefani Germanotta durchaus gebacken, sich bestimmte Dinge zu erlauben, ohne dabei komplett billig zu wirken. Hagens Äußerungen tilgen wir deshalb ebenso ganz schnell wie das Wörtchen "faschistoid". Was bleibt, ist die Sache mit der Bums- und Rums-Musik. Schlimm ist das nicht - wer hat schon etwas gegen ein wenig Rumsbums? Aber wahre Kunst klingt anders.
Quelle: ntv.de