Respektlos und liebevoll Miles Davis: Lichtjahre voraus
27.11.2011, 12:49 UhrMiles Davis ist einer der großartigsten Jazzmusiker überhaupt. Nun erscheint eine Box mit 20 Alben, die eine Art Schlüssel zu dessen Gesamtwerk darstellt. Frei nach Benjamin Britten: ein "Beginner’s Guide to Modern Jazz".
Miles Davis war einer der begnadetsten Musiker des vergangenen Jahrhunderts. Und in diesem Jahrhundert gibt es – noch? – keinen, der ihm den Bourbon reichen könnte. Die vorliegende CD-Ausgabe ermöglicht den perfekten Einstieg in das komplexe Werk des 1926 in Alton im US-Bundesstaat Illinois geborenen Sohns einer gutsituierten Zahnarztfamilie.
Die 20 Alben spiegeln die Breite und die Tiefe seines Schaffens wider. "Round About Midnight" (1957) knüpft schon im Titel an den Klassiker "Round Midnight" von Thelonious Monk an und entstand, wie einige seiner weiteren Aufnahmen, unter Mithilfe des kongenialen John Coltrane auf dem Tenorsaxophon. Bebop vom Feinsten, aber auch Variationen von Ray Hendersons "Bye Bye Blackbird". Das Faszinierende an Miles' Musik ist der respektlose und zugleich liebevolle Umgang mit den Vorlagen. Die Ungebundenheit des Bebop, der Anfang der vierziger Jahre entstanden war und den Ausgangspunkt des Modern Jazz bildete, nutze Miles wie nur wenige andere.
Verbindung von Symphonik und Jazz
Mit "Miles Ahead", gleichfalls 1957 veröffentlicht, beweist der Mann, der die Finger weder vom Alkohol noch von den Tasten seiner Trompete lassen konnte, dass er seiner Zeit nicht nur Meilen, wie der Titel der Schallplatte suggeriert, sondern Lichtjahre voraus war. Eingespielt wurde das Album mit der Big Band des Kanadiers Gil Evans, der übrigens einem seiner beiden Söhne den Vornamen Miles gab. Sicher: Die Verbindung von Symphonik und Jazz war damals Mode. Davis, diesmal am Flügelhorn, und Evans bringen den Trend aber zur Perfektion.
Überhaupt verstand es der mittlerweile zum Avantgardisten Avancierte wie nur wenige außer ihm, Trends rasch zu erfassen, sie durch das eigene Genie entscheidend zu beeinflussen und so zu eigentlichen Trendsetter zu werden. Das Doppelalbum "Bitches Brew" aus 1970 vereint Jazz und Rock, woraus dann später Fusion entstand. Einer, wenngleich nicht der einzige Grund dafür, dass Davis 2006 posthum in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurden. Mit von der Partie sind Musiker, die ihrerseits Größen ihres Genres sind: Wayne Shorter am Sopransaxophon, John McLaughlin an der Gitarre und Chick Corea am elektrischen Piano.
"Porgy And Bess" für Anfänger
Wer sich nicht gleich an die Synkope und andere komplexe Musizierweisen an Miles Davis herantraut, der mag sich "Porgy And Bess" (1959) anhören. Aufgenommen wiederum mit der Gil Evans Big Band, arbeitet sich Davis hier an einem der bedeutendsten und schönsten Themen der nordamerikanischen Musikgeschichte ab. "Summertime", das sicher zu den am meisten gecoverten Stücken des George Gershwin gehört, empfindet Davis einfühlsam nach. Die Schönheit des Stücks, an der sich sogar britische Beatbands wie The Zombies – erfolgreich – versuchten, kommt hier besonders gut und eben auch ohne Gesang zum Tragen. Das gilt auch für "It Ain't Necessarily So", einer weiteren, gern nachgespielten Komposition von Gershwin.
Miles wagte sich auch an ihm eigentlich fremde Kulturkreise heran: "Sketches Of Spain" (1960) enthält fünf Tracks, deren Wurzeln in Spanien liegen. Der schönste ist zweifellos das "Concierto de Aranjuez" von Joaquín Rodrigo, arrangiert und ein weiteres Mal mit Gil Evans' Orchester aufgenommen. Von Evans stammt auch die "Saeta", bei der er sich vom Klagegesang der Karwochen-Prozessionen von Sevilla inspirieren lässt.
Die anderen Alben der Box: "1958 Miles" (1974), "Kind Of Blue" (1959), "Someday My Prince Will Come" (1961), "Seven Steps To Heaven" (1963), "Miles In Berlin" (1965) "ESP" (1965) "Miles Smiles" (1967), "Nefertiti" (1968), "Filles de Kilimanjaro" (1969), "In a Silent Way" (1969), "A Tribute To Jack Johnson" (1971), "On The Corner" (1972), "We Want Miles" (2CDs, 1982) "Star People" (1983) und "Decoy" (1984).
Davis verstarb 1991. Mithin und wie gesagt: Ein Miles-Davis-Kompendium, eine "kurze" Einführung in das Oeuvre des Meisters, das insgesamt 67 Studioalben, 57 Konzertmitschnitte, 58 Kompilationen, drei Remix-Alben, 15 Box-Sets und drei Soundtrack-Alben, zudem noch ungezählte Schellackplatten und Singles.
Quelle: ntv.de