Trauriger Vogel Jugend "Naokos Lächeln" ist ein Meisterwerk
01.07.2011, 08:25 Uhr
Achterbahnfahrt der Gefühle: Naoko und Watanabe.
(Foto: Pandora Film Verleih)
"I once had a girl, or should I say, she once had me", sangen die Beatles und stellten fest: Liebe ist radikal, sie ist sinnlich und schmerzhaft. Die Verfilmung des Bestsellers "Naokos Lächeln" erzählt die Geschichte einer alles verschlingenden Liebe in poetischen, mitreißenden Bildern.
Fünf Minuten Unbeschwertheit bleiben. Immerhin. Dann wendet sich "Naokos Lächeln", die Verfilmung des ersten Romans des Japaners Haruki Murakami, den dunklen, schwierigen Seiten des Lebens zu. Dann dichtet Kikuzi sorgsam den Innenraum des Autos ab, legt den Schlauch vom Auspuff hinein und startet den Wagen. Zurück bleiben seine Freundin Naoko und Watanabe, sein bester Freund. Für beide ist die Unbeschwertheit der Jugend dahin, nichts wird mehr sein wie es einmal war.

Watanabe trifft in Tokio Midori - und die bringt ihn gehörig durcheinander.
(Foto: Pandora Film Verleih)
Watanabe, gespielt von Kenichi Matsuyama, geht zum Studium nach Tokio. Doch die Vergangenheit lässt ihn nicht los. Während an den japanischen Universitäten die Studenten in den späten 60er Jahren rebellieren, sich lieber mit den gesellschaftlichen Verhältnissen als mit der griechischen Tragödie befassen, wendet sich Watanabe nach innen und zieht sich zurück. Doch dann begegnet er zufällig Naoko, gespielt von Rinko Kikuchi, wieder. Es ist eine sehr vorsichtige Annäherung, geprägt von Schmerz, Selbstvorwürfen, aber auch Hoffnung.
Nach einer gemeinsam verbrachten Nacht versinkt Naoko jedoch in ihrer Verzweiflung. Sie zieht sich in ein abgeschiedenes Sanatorium zurück, wo sie Watanabe regelmäßig besucht - und dort Eindruck auf Naokos Mitbewohnerin Reiko macht. In Tokio begegnet er gleichzeitig Midori, deren Aufgeschlossenheit und Lebensfreude den Studenten aus seiner Lethargie reißen. Watanabes Gefühle sind hin- und hergerissen, er steht vor der Entscheidung zwischen der schmerzhaften Vergangenheit mit Naoko und einer hoffnungsvolleren Zukunft mit Midori.
Respekt vor den Gefühlen
Regisseur Tran Anh Hung hat Murakamis millionenfach verkauftes Debüt in ein poetisches, mitreißendes Gemälde verwandelt - auch wenn Fans des Romans einige Aspekte vermissen werden. Mit bezaubernd schönen Bilderwelten und einer wunderbaren Ausstattung fängt Tran die Zerrissenheit, die Sehnsucht, die Erotik und den Schmerz seiner Protagonisten ein. Dass Buch und Film in der englischen Version nach dem Beatles-Song "Norwegian Wood" heißen, ist bezeichnend. "I once had a girl, or should I say, she once had me", singt die Band. Auch hier wird von einer Beziehung und ihrem Ende - "This bird has flown" - erzählt.
Es sei "nur eine Liebesgeschichte", schrieb Murakami über seinen Roman, als er 1987 erschien. Dabei meinte er die erste Liebe, die eine, die große. Auch Tran betont, dass ihn vor allem die "Radikalität jugendlicher Gefühle" faszinierte. Bemerkenswert ist dabei, wie respektvoll der Vietnamese seine Figuren behandelt. Er kommt ihnen auch in den intimsten Momenten sehr nahe, verrät sie aber nie. Die ersten sexuellen Erfahrungen der Jugendlichen sind emotional und leidenschaftlich, aber nie voyeuristisch.
Die Wahl des Regisseurs ist ein Glücksgriff, weil Tran wie der Japaner Murakami asiatische Elemente, japanische Distanziertheit und Tradition mit westlicher Popkultur zu verbinden versteht. Auch Tran ist ein Wanderer zwischen den Kulturen. 1962 geboren, floh der Vietnamese 1975 nach der kommunistischen Machtübernahme mit seiner Familie nach Frankreich. Sein Schaffen führte ihn freilich in sein Heimatland zurück: In dem Oscar-nominierten "Der Duft der grünen Papaya", in "Cyclo" und "Ein Sommer in Hanoi" setzt er sich mit dessen Geschichte und Gegenwart auseinander. Nach dem englischsprachigen Thriller "I come with the rain" kehrt er nun nach Asien zurück, wobei er erstmals mit einem japanischen Cast arbeitet.
Kugelschreiber, Regen, Wind
Vergleichen lassen sich die meditativen Bild- und Tonkompositionen Trans vielleicht mit den Werken des Amerikaners Terrence Malick, dem Regisseur von "Der schmale Grat" und "The Tree of Life". Stille, Beobachtung der Natur und Zeit für die Sinne flechten beide Filmautoren in ihre Werke ein. Man hört, wie der Kugelschreiber über das Papier gleitet, wie der Regen draußen plätschert, wie die Blätter im Wind rauschen. Dass Teile von "Naokos Lächeln" in der pulsierenden Metropole Tokio spielen, gerät fast in Vergessenheit.

"This bird has flown": Reiko spielt die Beatles - Naoko und Watanabe hören gerührt zu.
(Foto: Pandora Film Verleih)
Genau wie bei Malick werden dieser meditativen Atmosphäre Ausbrüche von Gewalt und Verzweiflung entgegengesetzt. Nur sind die Kontrapunkte bei dem Vietnamesen wesentlich subtiler. Sie entladen sich einerseits in knalligen Rocksongs aus den 60ern - die schöne Filmmusik stammt übrigens von Radiohead-Mitglied Jonny Greenwood. Aber genauso spiegeln sich die Widersprüche der Gefühle in aufziehenden Wolken, in Gewittern, in schroffen Felsen. Diese Natürlichkeit entspricht der Reinheit jugendlicher Gefühle, sie macht Naokos Verzweiflung nur noch greifbarer. Je weiter das Jahr fortschreitet, desto mehr versinkt sie in ihrer eigenen Welt, aus der sie schließlich auch Watanabe nicht mehr befreien kann.
"Naokos Lächeln" ist großes Kino, weil es dessen Mittel in Bild und Ton voll ausschöpft. Zwar wird der Film am Ende etwas zu pathetisch, zwar hätte man gerne mehr erfahren über die gesellschaftlichen Hintergründe des Japans der 60er Jahre, zwar wird der Aspekt der Studentenrevolten wieder viel zu schnell an den Rand gedrängt - nichtsdestotrotz legt Tran Anh Hung ein schlichtes, ein wunderbares, lange nachhallendes Meisterwerk vor - eine Geschichte über ein Mädchen und einen Jungen.
Quelle: ntv.de