Spielberg und Jackson stemmen ein Megaprojekt "Tim und Struppi" sind nicht Indiana Jones
27.10.2011, 10:44 Uhr
Hat die Argumente auf seiner Seite: Kapitän Haddock.
(Foto: Sony Pictures)
Ein Schatz, zwielichtige Gestalten, Mord und Entführung: Die Comic-Helden "Tim und Struppi" bekommen es mit allerlei Problemen zu tun. Retten kann sie erst ein saufender, fluchender Kapitän. Der Film, den Steven Spielberg und Peter Jackson vorlegen, ist unterhaltsam, witzig, digital und zu brav. Frauen kommen in dieser Welt gar nicht erst vor.
Brave Reporter gehen auf den Trödelmarkt. Man weiß ja nie, welche Geschichte einem vor die Füße fällt. Oder welche Abenteuer hinter all den alten Fundstücken lauern. Tim (dargestellt von Jamie Bell aus "Billy Elliot – I Will Dance") hat Glück. Er entdeckt ein altes Schiffsmodell der "Einhorn". Doch schnell wird klar: Auch andere, zwielichtige Personen haben ein bemerkenswertes Interesse an dem Segelschiff. Tim jedoch widersteht den Drohungen und wird unweigerlich in das Geheimnis des Schiffes und seine Geschichte hineingezogen.
Denn im Mast des Modells ist – wie in den zwei weiteren identischen Modellen – ein Pergament versteckt, das auf einen ungeheuren Schatz verweist. Einen Mord und eine Entführung später findet sich Tim mit seinem Hund Struppi auf einem Schiff wieder. Er ist Gefangener von Iwan Iwanowitsch Sakharin (kaum wiederzuerkennen: "007" Daniel Craig), der um den Schatz weiß und ihn um jeden Preis für sich will. Glücklicherweise trifft Tim aber auf den ebenfalls gefangenen Kapitän des Schiffes – Haddock ("Gollum" Andy Serkins). Mit Hund und Kapitän kann Tim fliehen, mit dem Boot, mit dem Flugzeug, schließlich mit dem Kamel. Die verwegene Jagd nach dem Schatz des Piraten Rackham der Rote hat gerade erst begonnen.
Steven Spielberg und Peter Jackson treffen auf "Tim und Struppi". Zwei der fantasievollsten Regisseure und Produzenten des Kinos – verantwortlich unter anderem für "E.T.", "Jurassic Park" und die "Herr der Ringe"-Trilogie – treffen auf zwei Comic-Figuren, die seit Jahrzehnten weltweit Kinder und Erwachsene begeistern, immer wieder neue Fans gewinnen und deren Comics einen immensen Einfluss auf Zeichner, Autoren und Regisseure weltweit ausüben. Es ist eine Traumpaarung, die dementsprechend hohe Erwartungen heraufbeschwört. Nicht zuletzt, weil die Schatzsuche und das wohlig-nostalgische Setting an Spielbergs erfolgreiche "Indiana Jones"-Filme erinnern.
Der Wunschkandidat von Hergé
Spielberg und Jackson haben sich ein Großprojekt vorgenommen. Der nun erscheinende Film "Die Abenteuer von Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn" ist als Auftakt einer dreiteiligen Reihe gedacht, in der mehrere der 24 "Tim und Struppi"-Alben verfilmt werden sollen. Spielberg und Jackson wollen sich auf dem Regiestuhl abwechseln. Technisch setzt man voll auf Computer und Digitaltechnik: Die Filme werden im heute fast schon obligatorischen 3D und im Performance-Capture-Verfahren realisiert. Dabei werden die Bewegungen von realen Schauspielern am Rechner in Animationen umgerechnet und durch digitale Hintergründe und Spezialeffekte ergänzt.
Seit Jahrzehnten arbeitet Spielberg an der Verfilmung der Comics, die er als Kind verschlungen hat. Tims Schöpfer Hergé (bürgerlich: Georges Prosper Remi) wiederum hatte Spielberg noch vor seinem Tod 1983 zu seinem Wunschkandidaten für die Verfilmung seines Werks auserkoren – schließlich hatte der Regisseur da bereits sein Händchen für abenteuerliche und phantasievolle Stoffe bewiesen. Doch die Umsetzung ließ seitdem auf sich warten. Das hat zumindest den Vorteil, dass Spielberg aufgrund der jetzigen technischen Möglichkeiten von der viel schwieriger zu realisierenden Realverfilmung absehen und sich auf das Performance-Capture-Verfahren stürzen kann. Dazu holte er den Neuseeländer Peter Jackson mit an Bord, der seit den "Herr der Ringe"-Filmen als Spezialist für digitale Spezialeffekte gilt.
Vorlagen stammen aus den 1940er Jahren
Die technische Umsetzung des Stoffes ist zumindest überzeugend. Zwar gelingt es auch hier nicht, die Mimik der Darsteller bis ins Detail nachzustellen, was eine gewisse Leblosigkeit zur Folge hat, aber das Verfahren hat immerhin große Fortschritte gemacht. Zudem erhält sich der Film so den Comic-haften Charakter – die Schauspieler verschwinden hinter den von Hergé geschaffenen Gesichtern und die prächtige Farbgebung wäre in einer Realverfilmung nicht so gelungen. Die Rolle von Struppi wiederum erhält durch die digitalen Effekte den gleichen Stellenwert wie in den Comics – auch das wäre in einer Realverfilmung nicht machbar gewesen. Die 3D-Effekte sind ebenfalls gut, nur tragen sie wenig zur Qualität des Films bei. Der Vorteil zu einer 2D-Version erschließt sich nicht wirklich, sieht man von der effektvolleren Vermarktung ab. Die stilbildende "ligne claire" der Vorlage geht so verloren.
Auch inhaltlich wandelt Spielberg auf eigenen Wegen. Für den ersten Teil der geplanten Reihe setzt man die 1943 und 1944 erschienenen Geschichten "Das Geheimnis der Einhorn" und "Der Schatz Rackhams des Roten" um – mit erheblichen Abweichungen in Handlung und selbst bei den auftretenden Figuren. Zum Beispiel bezogen die Autoren Szenen aus "Die Krabbe mit den goldenen Armen" von 1940 in die Handlung ein. Dies ist der Band, in dem Tim erstmals auf Kapitän Haddock trifft. Der raubeinige, saufende und fluchende Seemann ohne Schiff ist – neben den Detektiven Schulze und Schultze – aus der Welt von Hergé nicht wegzudenken.
Doch die Einführung der Figuren ist nur der eine Grund für die Abänderungen. So überzeugend die Geschichten als Comic auch sind, sie tragen nicht über einen zweistündigen Abenteuerfilm – dramaturgische Erwägungen dürften bei den Änderungen auch eine Rolle gespielt haben. Zumal der Streifen erst mit dem Auftritt von Haddock an Fahrt aufnimmt. Der Einstieg in die Geschichte gerät zu lang und ist – trotz schöner Blickwinkel, gekonnter Übergänge und vieler Anspielungen, die Tim-Fans begeistern dürften – zu langweilig. Erst mit dem Sauf- und Raufbold Haddock kommt die ausufernde Phantasie hinzu. Da fahren Schiffe durch die Wüste, wird der Kampf mit Piraten in einem französischen Militärlager ausgefochten und geraten Tim, Struppi und Haddock in eine rasante, vor Ideen sprühende Verfolgungsjagd.
"Tim und Struppi – Das Geheimnis der Einhorn" ist unterhaltsames Familienkino mit ein paar großartigen und witzigen Momenten. Der Funke springt aber nicht komplett über. Dazu ist der Film zu oberflächlich, vielleicht auch zu durchdigitalisiert. Gerade das ist ein Widerspruch zum nostalgischen Charakter der Vorlage (die etwa auch den "Indiana Jones"-Filmen eigen ist), aber auch zu den unverwechselbaren einfachen Zeichnungen Hergés. Zudem werden Schwächen der Comics aus den 40er Jahren übernommen. Die Darstellung des marokkanischen Kriminellen Omar Ben Salaad zeugt etwa von einer gewissen kolonialen Arroganz bei Hergé. Und die Abenteuer von "Tim und Struppi" sind ein großer Spielplatz für Jungs. Frauen kommen hier (im Gegensatz zum realen Leben von Hergé) nahezu nicht vor – das wäre dem sympathischen Draufgänger Indiana Jones nicht passiert.
Quelle: ntv.de