"Ich freu' mich so, dass ihr da seid" Lena entgeht Desaster
14.04.2011, 09:30 Uhr
"Dankeschön, Berlin": Lena.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Katastrophe ist ausgeblieben - haarscharf. Dank geschickter Kaschierung wirkt Berlins O2-World beim Tourauftakt von Lena voller, als sie eigentlich ist. Unser Star für Düsseldorf meistert das Beinahe-Desaster erstaunlich routiniert - und sie und die, die da sind, sind happy. Irgendwie.
Mal ehrlich: Es ist wirklich spannend. Und schon allein die Neugier treibt uns hierher. Wird die im vergangenen Jahr noch als Nationalheldin gefeierte Grand-Prix-Siegerin bei ihrem Tourauftakt den von vielen Kritikern prophezeiten und von manchen Berufspessimisten geradezu herbeigesehnten Schiffbruch erleiden? Wie voll beziehungsweise leer wird das Berliner Hallen-Monster O2-World nach all den Hiobsbotschaften über den schleppenden Vorverkauf tatsächlich sein? Und schafft die Transformation von einer Casting-Show-, Wegwerf-TV- und Tralala-Contest-Sängerin zu einem "richtigen" Popstar, der eine Live-Performance über eine volle Konzertlänge trägt?
Schon als wir die Halle erreichen, macht sich Ernüchterung breit. Sind wir hier im Disney-Club gelandet? Bei der Mini-Playback-Show? Oder bei 1, 2 oder 3? Aber wo ist denn dann bitteschön Elton und welches ist das Kamerakind? Unser Kumpel, den wir mitgeschleppt haben, um uns nicht allein die Blöße dieses Konzert-Besuchs zu geben, bringt es auf den Punkt: "Die werden uns am Eingang gleich fragen, wo unsere Kids sind." Okay, wir kommen auch ohne Kinder rein, aber es ist wahr: Das Publikum hier besteht vornehmlich aus Teenagern, solchen, die es noch werden wollen und ihren Eltern. Nichts Außergewöhnliches bei der Show einer Sängerin, die selbst gerade erst 19 ist, könnte man denken. Aber angesichts der Tatsache, dass es sich hierbei um everybody's darling lovely Lena handelt, dann eben doch.
Erstmal ein Bier
Einen Vorteil hat die Altersstruktur der Konzert-Besucher: Am Bierstand ist es ungewohnt leer. Die Kinder trinken Cola oder Fanta oder - wenn sie im Schlepptau ihrer Eltern aus Berlins Öko-Stadtteil Prenzlauer Berg hierhergekommen sind - wahrscheinlich stilles Mineralwasser. Und da muss ja wohl eines dieser sauteuren Getränke am Abend reichen. Möglicherweise verfährt nach diesem Motto auch Ben Becker, der mit zwei kleinen Mädchen im Anhang - eines von ihnen vermutlich seine Tochter - die Lena-T-Shirts am Merchandising-Stand begutachtet. Aber das wissen wir natürlich nicht so genau.
Als wir schließlich die Arena der O2-World betreten, macht sich ein zweites Mal Ernüchterung breit. Der Zuschauerandrang hier ist tatsächlich einigermaßen überschaubar. Jedenfalls für eine Halle dieser Dimension und wenn man die Maßnahmen bedenkt, mit denen die lichten Reihen kaschiert wurden. Die obersten Ränge sind mit einem schwarzen Vorhang abgehängt. Der Innenraum, in dem die Fans normalerweise stehen und für den auch für dieses Konzert eigentlich Stehplatz-Karten verkauft worden waren, ist großzügig bestuhlt. Trotzdem klaffen im weiten Rund ganze Reihen, die unbesetzt sind.
Zwar füllt es sich noch ein wenig, als die zum Publikum irgendwie wie die Faust aufs Auge passenden "Kleinstadthelden" die Bühne betreten, um für Lena einzuheizen. Doch auch dann blitzen zwischen den Zuschauern noch immer zahlreiche der blauen Plastiksitze hässlich hervor. Wie viele Plätze so verwaist bleiben, ist schwer zu sagen. Ein Fünftel, schätzen wir spontan. Später wird von 6000 Besuchern die Rede sein - in einer Halle, die bei Konzerten bis zu 17.000 Menschen Platz bietet.
Einmal aufstehen, bitte
Man könnte sich damit beruhigen, dass die Arena noch voller wirken würde, wenn das Publikum nur schon ein wenig älter und damit massiger und bierbäuchiger wäre. Oder damit, dass auch schon andere Künstler(innen) wie zum Beispiel Amy Macdonald von ihren Plattenfirmen und Managements in den gefräßigen Schlund der O2-World geworfen wurden, um gegen die halb leere Halle anzusingen. Aber man könnte auch sagen, dass sich die Verantwortlichen bei der im Überschwang des Siegs von Oslo geplanten Tournee krass verkalkuliert und Lena damit alles andere als einen Gefallen getan haben. Und nicht nur ihr: Ein gewisses Gefühl von Intimität will in Hallen dieses Ausmaßes ohnehin nicht aufkommen - aber schon gar nicht, wenn man dann noch lässig zwischen den anderen Zuschauern hin- und herschlendern oder das Bier auf seinem Vordersitz abstellen kann, anstatt sich aneinanderzudrängen und um die beste Sicht auf die Bühne zu balgen. Eine Nummer kleiner hätte allen gut getan - Lena ebenso wie denen, die "unserem Star" gerne mal einen Abend lang näher sein wollten als am Fernsehschirm.
Dass alle sitzen, stößt dann auch den "Kleinstadthelden" irgendwann auf. Wie sie das in ihrem jungen Alter geschafft haben, bleibt ihr Geheimnis, doch nach eigenem Bekunden ist das hier ihr 201. Konzert - und anlässlich dieses Jubiläums wäre es doch schön, wenn wenigstens beim letzten Song alle mal aufstehen würden, erklärt der Sänger. Wie in der Schule befolgt das Publikum brav die Anweisung und pünktlich zu den letzten Klängen der Vorband kommt zum ersten Mal so etwas wie Stimmung in der Mehrzweckhalle auf.
Die Umbauarbeiten gehen schnell vonstatten. Und just, als die ersten verhaltenen "Lena Lena"-Sprechchöre einsetzen, geht es auch schon los. Mit keinem schwarzen Kleidchen, sondern bewusst lässig gekleidet - College-Jacke, schwarze Jeans, Sneakers - betritt die 19-Jährige die von zwei Videoleinwänden eingerahmte Bühne. Mit "Not Following" von ihrem ersten Album "My Cassette Player" eröffnet sie die Show. Kennen Sie nicht? Dann hätten Sie wahrscheinlich auch viele der anderen Lieder, die danach folgen sollten, nicht erkannt. Ehe Lena sich nach mehr als einer Stunde zum ersten Mal umzieht, Jeans und Turnschuhe gegen Stoffhose und Hackenschuhe eintauscht und zum Grand-Prix-Hoffnungstitel "Taken By A Stranger" ansetzt, bringt sie nahezu die kompletten Songs ihres CD-Debüts und des Nachfolgers "Good News" zum Besten - darunter etwa ihre Coverversion der Jason-Mraz-Ballade "Mr. Curiosity", ihren Fast-Song-für-Düsseldorf "Push Forward" und die Stefan-Raab-Komposition "Mama Told Me".
Altherren-Gespräche
Sie selbst ist dabei die Lena, wie man sie eben kennt. Sie strahlt, hüpft herum und ihre Stimme klingt unter den Konzert-Bedingungen so gut - oder, wie manche meinen, schlecht - wie vor der Glotze auch. "Sie hat echt 'nen geilen Arsch", flüstert uns unser Kumpel zu. "Ja, hey, sie ist 19", antworten wir, woraufhin er darüber sinniert, dass seine Freundin auf Fotos, auf denen sie auch noch in etwa so alt war, auch einen echt geilen Arsch hat. Aber irgendwie ist so ein Altherren-Gespräch über Lena, zumal unter den ganzen vorpubertären Kids hier, peinlich, also beenden wir das.
"Ich freu' mich so, dass ihr da seid", ruft Lena mehr als einmal ins Publikum, ganz so, als falle ihr ein Stein vom Herzen, dass der Zuschauer-Super-GAU zumindest oberflächlich ausgeblieben ist. "Das ist echt krass, wie oft sie sich bedankt", meint unser Kumpel. Und tatsächlich, jetzt, nachdem wir darauf bewusst achten, fällt es auch uns auf. Bestimmt an die hundert Mal sagt die 19-Jährige während ihres gut eineinhalbstündigen Auftritts "Danke", "Dankeschön" oder "Danke, Berlin".
Denn die, die gekommen sind, tragen sie mit der fast schon vergessen geglaubten Lena-Euphorie durch die Show. Als die Hannoveranerin als letztes Lied vor den Zugaben "Satellite" anstimmt, stehen längst schon wieder alle, die sich nach dem Abgang der "Kleinstadthelden" wieder hingesetzt hatten. Unter lautem Jubel kommt Lena zu ihrer ersten Zugabe - darunter Paolo Nutinis Song "New Shoes" - zurück auf die Bühne. Und noch ein zweites Mal lässt sie sich bitten, und das, obwohl zu diesem Zeitpunkt die ersten, vielleicht um die Kinder ins Bett zu bringen, bereits die Halle verlassen haben. Dann aber ist Schluss. Lenas letzte Worte sind - wie sollte es anders sein - "Dankeschön, Berlin."
Ausgang ungewiss
Hat die Song-Contest-Gewinnern nun also die Metamorphose zum Popstar geschafft? Eigentlich war alles da: Eine komplette Band, bei der sich Lena natürlich ebenfalls in aller Ausführlichkeit bedankte, Tänzerinnen, Geigerinnen, Video-Projektionen, Lichteffekte, Konfetti und Schnickschnack. Trotzdem blieb die Show seltsam steril. Das lag nicht nur an der Halle, sondern auch an der Musik. Viele der Lieder, die Lenas bisherigen zwei Alben füllten, sind eben doch eher auf Grand-Prix-Muster zugeschnitten und vermögen live Zuhörer jenseits des Realschulalters nur bedingt mitzureißen. Hoffnung kann da ein neuer Song namens "Wanna Find Love" machen, den die 19-Jährige in Berlin erstmals präsentierte, und der ähnlich wie "Taken By A Stranger" so etwas wie richtige Pop-Ambitionen erahnen ließ.
Entscheidend dürfte sein, ob die bald 20-Jährige nach ihrem Song-Contest-Revival in Düsseldorf ihren eigenen musikalischen Weg findet. Ob sie das darf und will. Dann könnte sie sich über kurz oder lang auch eine Zuhörerschaft ohne Zahnspangen und Hello-Kitty-Ranzen ersingen. Allen Skeptikern zum Trotz: Das Zeug dazu hat sie. Das hat sie auch bei ihrem für ihr Alter nach wie vor erstaunlich routiniert absolvierten Konzert-Auftritt bewiesen. Es muss ja das nächste Mal nicht gleich wieder die O2-World sein.
Quelle: ntv.de