"Ein Diktator zum Dessert" 105-Jährige liebt und rächt
29.03.2015, 10:33 Uhr
Autor Giesbert lässt seine Protagonistin unter anderem auf Hitler und Himmler (2. v. r) treffen.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Als Rose geboren wurde, war Hitler 18 Jahre alt, Stalin 28 und Mao 13. Rose hat sie alle überlebt - mit kulinarischem Talent und Pistole in der Tasche. In biblischem Alter bringt ein dunkler Fleck in ihrer Vergangenheit die Köchin dazu, ihre Memoiren zu schreiben.
Rose ist 105 Jahre alt, betreibt als leidenschaftliche Köchin ein kleines Restaurant in Marseille, liebt die Musik von Patti Smith und hat den Colt immer griffbereit in der Tasche. Falls ihr mal einer krumm kommen sollte. Eigentlich aber macht ihr nichts und niemand Angst. Denn sie hat das Jahrhundert der Mörder überlebt, den Genozid an den Armeniern, die Schrecken der Nazizeit und die Auswüchse des Maoismus. Und das aus einem einzigen Grund: Sie will Vergeltung.
Wie ein blutroter Faden zieht sich die Rache durch ihr Leben, das von geliebten und gehassten Toten flankiert wird. Aber selbst die dunkelsten Momente werden ihr versüßt - durch die Liebe. Auch in ihrem biblischen Alter lässt das Kribbeln zwischen den Schenkeln nicht nach, junge Männer ziehen ihre Blicke magisch an und nachts treibt sie sich unter dem Nickname "rollige Mieze" auf Datingportalen herum.

"Ein Diktator zum Dessert" ist bei "der Hörverlag" erscheinen, hat eine Laufzeit von 533 Minuten und kostet 14,99 Euro.
Als sie vom Tod einer gewissen Renate erfährt, beauftragt sie ihren pfiffigen Nachbarsjungen - genannt "Samir, die Maus" - Details über das Leben der Frau in Erfahrung zu bringen. Die Recherche ist erfolgreich. Und folgenreich. Denn "Samir, die Maus" findet heraus, dass Rose in den Jahren 1942 und 1943 komplett von der Bildfläche verschwunden war. Was haben diese Jahre damit zu tun, dass Reichsführer-SS Heinrich Himmler sich in die Köchin verguckte? Und welche Rolle spielt die deutsche Frau, deren Todesanzeige Rose dazu veranlasst, ihre Memoiren zu schreiben?
Hitler und ein Salamander
Diese Fragen löst das Hörbuch "Ein Diktator zum Dessert" von Franz-Olivier Giesbert zuverlässig auf. Zusätzlich würzt der französische Autor seine Geschichte mit allerhand pikanten Zutaten: Um als einzige ihrer Familie den mordenden Türken zu entkommen, streckt er die Armenierin Rose buchstäblich in die Scheiße. Später lässt er sie mit einem Schweinekastrierer vor ihren tyrannischen Vormunden türmen. In Frankreich, China und den USA verbandelt er Rose mit den drei Männern ihres Lebens - diverse Seitensprünge nicht eingerechnet - und gesteht ihr eine einzige gute Freundin zu: Salamander-Dame Théo, die in einer Blechdose lebt und das gute Gewissen mimt. Als Köchin darf Rose Sartre Karamellflan zubereiten und muss Hitler eine vegetarische Lasagne auftischen.
Nebenbei bietet Giesbert einen Extrem-Galopp durch die Irren und Wirren des 21. Jahrhunderts und weckt damit vor allem eins: die Erinnerung an eine andere dreistellig alte Romanfigur - an den Bombenentschärfer aus Schweden, der um den halben Erdball reist, auf Personen der Zeitgeschichte trifft und die Welt von einer Katastrophe in die nächste stürzt. Hat sich diese Assoziation ersteinmal im Kopf eingenistet, liegt die Messlatte nicht nur hoch, sondern zu hoch. Denn die Finesse des Plots, die skurrilen Ideen und die sprachliche Akrobatik von Jonas Jonasson sind nur schwer zu übertreffen.
Der Zuhörer fremdelt
Auch Giesbert kann man nicht absprechen, viele originelle Ideen zu haben und einen schnoddrig-sarkastischen Ton anzuschlagen. So ganz mögen sich die einzelnen Handlungsteile und der Sound allerdings nicht zu einer harmonischen Erzählung zusammenfügen und können sich zwischen Tragik und Komik nicht richtig entscheiden.
Auch bei der Figur der Rose hakt es. Man möchte sie wirklich mit ganzem Herzen liebenswürdig, drollig und scharfzüngig finden. Aber die Köchin bleibt im Stadium einer Schablone stecken und der Zuhörer kann nicht anders, als arg mit ihr zu fremdeln. Das kann leider auch die charmant-markante Stimme der wunderbaren Carmen-Maja Antoni, der Grande Dame des Berliner Ensembles, nicht mehr retten.
Am Ende wünscht sich der Zuhörer, lieber ein weiteres Mal die skurrile Geschichte um den aus dem Altersheim ausbüxenden Hundertjährigen gelesen oder vorgelesen bekommen zu haben.
Quelle: ntv.de