"Sie essen Schreie" Stephen Kings Shining ist zurück
30.03.2014, 11:53 Uhr
"Doctor Sleep" ist die Fortsetzung des Horror-Klassikers "Shining" von Stephen King.
(Foto: Random House Audio)
1977 erscheint Stephen Kings Bestseller "Shining". Der Junge Danny spielt darin die Hauptrolle, er ist hellsichtig. Nun ist Danny erwachsen, Alkoholiker und arbeitet als "Doctor Sleep" in einem Hospiz. Als er der kleinen Abra begegnet, kehren die Dämonen aus seiner Kindheit zurück.
Das Leben ist wie ein Rad, dessen einzige Aufgabe darin besteht, sich zu drehen - und es kehrt immer an seine Ursprungssituation zurück. So lautet eine alte Volksweisheit, deren jüngsten Beweis der Bestsellerautor und "King of Horror" Stephen King liefert. Das besagte Rad begann sich in den späten 1970er Jahren in den verschneiten Bergen Colorados und mit den schrecklichen Vorgängen im Overlook Hotel rund um die Familie Torrance und das "Shining" des Sohnes Danny zu drehen und ist nun in der Gegenwart angekommen: "Doctor Sleep" wird Dan als Erwachsener genannt, ob seiner Hellsichtigkeit.

1979 verfilmt Stanley Kubrick den Kingschen Bestseller "Shining" kongenial mit Jack Nicholson als Dannys Vater Jack.
(Foto: Warner Bros)
Dan hat ein hartes Leben hinter sich, seitdem sein versoffener Vater Jack einst im Overlook versuchte, ihn und Dannys Mutter umzubringen. Jack starb damals, denn der Heizkessel des Hotels war explodiert, hatte seinen Vater, das Hotel mitsamt seinen mehr als 100 Zimmern und den darin befindlichen bösen Geistern unter Schutt und Asche begraben. Danny kam davon, seine Mutter Wendy überlebte auch, allerdings schwerverletzt. Vergessen hat er seinen Vater nie. Bei jedem Glas, das der mittlerweile alkoholkranke Erwachsene Dan hinunterkippt, prostet ihm Jack aus dem Jenseits zu. Das hat Familientradition, denn auch Jacks Vater war Alkoholiker.
Nur die Fähigkeit des Shining, der Hellsichtigkeit, die hat Dan von der mütterlichen Seite der Familie, so scheint es. Aber als Grund, um zum Alkohol zu greifen, reicht die Hellsichtigkeit völlig aus. Nur so kann Dan die Geister aus der Vergangenheit, aus dem Overlook Hotel, im Zaum halten, so scheint es: "Die Gedanken waren die Schultafel, Schnaps war der Schwamm."
Aber wie jeder Alkoholiker versucht auch Dan von seiner Sucht loszukommen und sein Leben von Grund auf zu ändern: Er setzt sich in einen Bus und landet in Frazier, einem Kaff irgendwo in New Hampshire. Der erste Mensch, der ihm begegnet, ist Billy Freeman, der Lokführer einer kleinen Bahn im Ort, die in den Sommermonaten die Touristenattraktion der Gegend ist. Die beiden verstehen sich auf Anhieb blendend und mit Billys Hilfe schafft es Dan auch, einen Job an Land zu ziehen - allerdings muss er dafür nüchtern bleiben, wie ihm Casey Kingsley, der Chef der Bahn unmissverständlich klarmacht. Kingsley ist ein harter Hund, aber gerecht - und er wird Dans Sponsor bei den AA, den Anonymen Alkoholikern.
Wenn der Schüler bereit ist, erscheint der Lehrer
Dan gibt sein Bestes, im Job und auch im Kampf gegen den Teufel Alkohol. Er führt ein Notizbuch und schreibt dort eines Tages "Abra" hinein, ohne Grund oder zu wissen wieso. Er wechselt den Job, arbeitet nun in einem Hospiz in Frazier. Bereits sein Großvater war Krankenpfleger, was ihn allerdings nicht daran hinderte, seine Frau mit einem Gehstock zu verprügeln - vor den Kinderaugen von Dans Vater Jack.

Stephen King "Doctor Sleep" ist als Hörbuch bei Random House Audio erschienen.
(Foto: Random House Audio)
Aber Dan ist anders, dank seiner Hellsichtigkeit, ist er immer genau dann vor Ort, wenn im Hospiz wieder eine Seele diese Welt verlassen will. Er hilft den "Gästen" des Hospiz auf die andere Seite, begleitet sie. Das bringt ihm den freundlich gemeinten Beinamen "Doctor Sleep" ein.
Dan notiert seine "Todeskandidaten" auf einer Tafel in seinem Zimmer, als "Abra" erneut auftaucht und nun über die Tafel versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Dan ahnt schnell, dass der geheimnisvolle Schreiberling wie er über das Shining verfügen muss. Da die Kraft zudem viel ausgeprägter als bei ihm selbst ist, muss es sich um ein Kind handeln, denn Hellsichtigkeit lässt mit dem Alter nach, wie Dan von seinem Kumpel, dem schwarzen Koch Dick Hallorann, weiß, der ihm einst im Overlook Hotel und auch danach half, mehr über seine geheimnisvolle Kraft zu erfahren - und zu lernen, mit ihr umzugehen, mit ihr zu leben, so gut es eben geht.
Immer wieder kommunizieren Abra und Dan nun miteinander, ohne sich zu sehen. Erst recht spät treffen sie sich. Dan weiß mittlerweile, dass Abra noch ein Kind ist, dass sie es war, die ihn einst dazu brachte, "Abra" in sein Notizbuch zu schreiben. Und: Dass sie in den Tagen vor dem 11. September 2001 ununterbrochen geweint hat und erst wieder verstummte, als die beiden Flugzeuge das World Trade Center getroffen hatten. Abra war gerade wenige Monate alt.
Sie essen Schreie und trinken Schmerz
Aber nicht nur Dan ist auf Abra aufmerksam geworden. Auch Rose O’Hara, besser bekannt als "Rose the Hat" wegen eines schwarzen Zylinders auf ihrem Kopf, den sie nie abzunehmen scheint, hat die Witterung Abras aufgenommen. Rose ist Chefin einer Sekte, des "Wahren Knotens", der bereits seit Jahrhunderten existiert und unvorstellbar mächtig ist. Das Geheimnis: Sie verhält sich nach außen hin völlig unauffällig. Obwohl sie als riesiger Campertross durchs Land reist, fällt die Sekte keinem auf: Wer die Winnebagos und Earthcruiser sieht, hat sie im nächsten Moment schon wieder vergessen - genauso wie die in ihnen fahrenden Untoten, Ruheständler in Polyesterkleidung, wie landläufige Touristen. Unauffälliger geht es nicht
Aber was sich hinter der unscheinbaren Fassade abspielt, ist krank, menschenverachtend und tödlich: Die Sekte existiert seit so langer Zeit, weil sie von Steam lebt. Das ist der letzte Lebenshauch von Kindern mit Shining. Die Sekte findet sie, fängt sie und tötet sie dann langsam und qualvoll - nur so lässt sich der Steam gewinnen, den die Sektenmitglieder dann einatmen und so weiter existieren können.
Als sie einen kleinen hellsichtigen Jungen aus Iowa töten, schaut Abra ungewollt über ihr Shining zu. Rose bemerkt das, sie erkennt aber auch, welches Potenzial in Abra steckt, welch ungeheure Lebensenergie sie für die Sekte darstellt. Ab da beginnt der tödliche Campertross, Abra zu jagen. Abra selbst ist von dem Tod des Jungen geschockt, Dan ist der einzige Mensch, der ihr zuhören und sie auch noch verstehen kann. Er weiß: Abra ist in Gefahr.
Gemeinsam mit seinem Freund Billy und Abras Arzt, Dr. Dalton (Dan kennt ihn von den Anonymen Alkoholikern) ersinnt Dan einen Plan, um Abra vor dem Wahren Knoten zu schützen. Durch eine List gelingt ihm das zunächst auch. Aber am Ende dreht sich das Rad des Lebens weiter und bringt Dan zurück in die Berge Colorados, zurück zum Ort seiner schrecklichsten Kindheitserfahrungen, zurück zu den Überresten des Overlook Hotels - mittlerweile ein Campingplatz und auch das vorübergehende Domizil des Wahren Knotens. Ein Showdown steht an, und er hält eine Menge Überraschungen bereit.
Back to the Horror-Roots

Hat nichts von seinem schriftstellerischen Können verlernt: Stephen King (of Horror).
(Foto: picture alliance / dpa)
Mit "Doctor Sleep" liefert Horror-Genie Stephen King fast 40 Jahre nach seinem Bestseller "Shining" dessen Nachfolger ab. Er greift dabei auf altbekannte Figuren zurück, packt ein paar neue hinzu und quetscht deren ganze Geschichte in rund 700 Hardcover-Seiten - oder in mehr als 20 Stunden Hörbuch-Genuss. Denn das ist das Ergebnis, was dabei herausgekommen ist.
Für manchen sind 700-Seiten-Bücher einfach "too much". Da erscheinen drei CDs erst einmal als kurzweilige Abwechslung. Allerdings sollte man vorab das Kleingedruckte auf dem Cover lesen: "Ungekürzte Fassung, 3 MP3-CDs, 20 Std. 15 Min." Auweia … Aber da erweist es sich, dass King auch nach zig Jahren im Horror-Bestseller-Geschäft sein Können nicht verlernt hat: Es dauert nicht lang, und man ist von der Story, die mit der sonoren Stimme von David Nathan aus den Lautsprechern kommt, begeistert. David Nathan? Johnny Depp! Christian Bale! Paul Walker! Nathan ist die deutsche Stimme dieser Hollywoodstars.
Wichtig für Nathan ist nach eigener Aussage, dass das Buch, die Vorlage gut ist. Das sei bei King der Fall. "Das ist schon echt herausragend, was er da schreibt", sagt er in einem audible-Interview. "Das ist einfach ein Vergnügen, den zu lesen. Er hat eine wunderbare, bildhafte Sprache." Die Schreibe sei dicht, intensiv und "rotzig". "Das gefällt mir sehr gut", betont Nathan.
Und Nathans Stimme passt hervorragend zu eben dieser "Schreibe", zu den Figuren: Egal, ob Kind, Mann, Frau, liebevoller Ehemann, todkranke Ur-Großmutter, ängstliches Mädchen oder liebestolle Sektenführerin - er kann allen Figuren Leben einhauchen. Wie ein Leser, in dessen Kopf sich Wort für Wort, Zeile für Zeile und Seite für Seite, eine Fantasiewelt aufbaut, entsteht im Kopf des Hörers Wort für Wort, Satz für Satz, Kapitel für Kapitel selbiges. Man sieht Rose the Hats vor sich hin gammelnden Reißzahn, mit dem sie den Steam, den letzten Lebenshauch der Shining-Kinder, genüsslich frisst. Man steht Dan in seinem tagtäglichen Kampf gegen den Alkohol bei, fiebert mit Abra mit - und fragt sich am Ende: War das schon alles?
Kings Bestseller "Shining" folgte Stanley Kubricks gleichnamiger Kultfilm mit dem kongenialen Jack Nicholson als Dannys Vater. Eine Verfilmung dürfte auch bei "Doctor Sleep" nicht lang auf sich warten. Und überhaupt - ohne zu viel zu verraten: Das Ende von "Doctor Sleep" ist kein wirkliches Ende. Denn wie heißt es so schön: Das Leben ist wie ein Rad, dessen einzige Aufgabe darin besteht, sich zu drehen …
Quelle: ntv.de