Die Zweitplatzierten des Britpop Blur: Alles De Luxe
02.09.2012, 06:08 Uhr
Britpop, Indie-Rock und experimentelle Elektromusik: Die Band Blur kann in keine Schublade gesteckt werden..
Blur gehören zu den beliebtesten und besten Gruppen des Britpop, jener Renaissance der Swinging Sixties in den Neunzigern, die sich an Beatles, Stones, Kinks und Who orientierte. Jetzt gibt es alle Alben der Band um Sänger Damon Albarn und Leadgitarrist Graham Coxon als Prachtausgaben.

Sänger Damon Albarn ist das bekannte Gesicht der Truppe.
(Foto: picture alliance / dpa)
Neue Beatles und neue Stones wurden im Vereinigten Königreich Mitte der 90er nahezu im Wochentakt ausgerufen, und nur ganz, ganz selten stellte sich diese Prognose als richtig heraus. Dass die britische Musikpresse mit ihrer Vorhersage tatsächlich einmal einen Treffer landete, zeigten... genau: Oasis. Blur bekamen den Stempel zwar genauso aufgedrückt wie die Gallaghers; die Zuordnung eines eindeutigen Vorbilds ist bei dem Quartett um Mastermind Damon Albarn aber so gut wie aussichtslos. Die Wiederver öffentlichung aller Platten als De-luxe-Ausgaben mit sämtlichen Single-B-Seiten liefert einmal mehr den Beweis.
Keines von Blurs Alben ist mit dem jeweiligen Vorgänger oder Nachfolger vergleichbar. Ihr Erstling "Leisure" aus dem Jahr 1991 zeigte noch deutliche Anleihen beim Manchesterpop der Spätachtziger. Für die zweite Platte "Modern Life Is Rubbish" gingen Blur mindestens zehn Jahre zurück und präsentierten sich als lupenreine Mods, mit Songs, für die ein Paul Weller vermutlich seinen halben Katalog geopfert hätte. Von Britpop hatte bis dahin noch niemand gesprochen - erst das Album "Parklife" inklusive des Tanzflächenfüllers "Girls and Boys" musste sich am Erfolg des Genredebüts von Oasis messen lassen. Es stand am Ende 1:0 für Liam und Noel, denn trotz seiner Hitsingle gilt "Parklife" auch bei vielen Fans als eine der schwächeren Leistungen des Quartetts.
Wettstreit mit Oasis
Blur mussten ihre Version von Britpop erst noch erfinden. Der offene Wettstreit mit Oasis war eröffnet. Und diesmal war er nicht - wie bei Beatles und Stones - nur herbeigeschrieben. Wieder war es das ungleiche Brüderpaar aus Manchester, das sich 1995 mit "(What's the Story) Morning Glory" einen Sieg nach Punkten sicherte. Blurs "The Great Escape" enthielt mit "Country House" zwar eine ebenso gelungene Sixtiesnummer wie "Roll With It" von Oasis, allerdings konnten letztere mit "Wonderwall" mal eben einen Klassiker nachsetzen, den Blur erst auf ihrem nächsten Album 1997 liefern sollten. Der Pokal ging an die Gebrüder G. Und Damon Albarn wechselte die Sportart.

Jung und damals noch zu viert. Die Band vor dem Ausstieg des Gitarristen Graham Coxon.
Beim selbstbetitelten Nachfolger machten Blur eine Drehung um 180 Grad: Kein einziger Song kam ohne experimentelle Neuerung aus, Gitarrist Graham Coxon konnte endlich sein Fingerspitzengefühl beim Einstellen der Effektgeräte unter Beweis stellen. Einzig der Song "Beetlebum" kann als letzter Versuch gelten, sich noch einmal mit Oasis anzulegen. Dann kam "Song 2". Mit nur zwei Minuten gebündelter Energie gelang Blur der Sprung an die Spitze einer musikalischen Bewegung, die bis dahin noch gar nicht erfunden war. "Song 2" darf, obwohl natürlich von Produzent Stephen Street wie immer filigran abgemischt, mit Fug und Recht als Vorbild für zahllose Do-It-Yourself-Bands der ersten 2000er Dekade gelten. Oasis waren zu diesem Zeitpunkt für eine Änderung zu selbstgefällig - und fielen mit ihrer für manche etwas übertriebenen Hommage an "Hey Jude" zum ersten Mal auf die Nase. Der Britpop lag in seinen letzten Zügen, aber Blur waren gerade noch so aus der Schublade herausgeklettert.
Unstimmigkeiten bei
Was folgte, liest sich tatsächlich ein wenig wie die Biographie der Fab Four. Gitarrist Coxon, der bisher eher stille Blurrie, trat 1999 als Komponist und Sänger aus Albarns Schatten und übertrumpfte diesen mit "Coffee & TV" zumindest auf dem Album "13" um Längen. Ob er beim Nachfolger "Think Tank" vier Jahre später noch mehr Songcredits für sich beanspruchen wollte und Albarns Ego deshalb angekratzt war, ist nicht überliefert, aber durchaus möglich. Coxon jedenfalls verließ die Band noch vor Fertigstellung der Platte und ließ die verbliebenen drei Mitglieder mit ihrem kruden Experimantalgedöns alleine. Dummerweise hatten Radiohead diese Nische bereits erfolgreich besetzt. "Think Tank" ist bis heute die letzte Platte.
Ende der 2000er Jahre folgten Versöhnung, Wiedervereinigung und Studiotermine. Angeblich, so hat es Produzent Stephen Street ausgeplaudert, sollen Blur sogar an einem neuen Album arbeiten. Und zwar mit ihm, Street, den sie bei ihren beiden letzten Platten für Madonnas Lieblingsmixer William Orbit eingetauscht hatten. Klingt eigentlich vielversprechend, doch wenn man sich die musikalische Relevanz der Splitterparteien nach Oasis ansieht, dürften die Prognosen der britischen Fachzeitschriften für Blur auch nicht mehr wie Mitte der Neunziger klingen. Stattdessen werden heutzutage immer öfter junge Bands zu neuen Oasis gekürt, manchmal auch zu neuen Blur. Nicht im Wochentakt, aber auch gar nicht so selten.
Unterm Strich: Die selbstverständlich komplett remasterte Edition spiegelt - einen der besten - Teile jener Musik wider, die uns Ende des vergangenen Jahrtausends den Rock and Roll zurückbrachte. In eigenwilligen Formen, manchmal, aber stets kreativ. Enjoy!
Quelle: ntv.de