Niveau Weshalb Warum Deichkind hauen auf den Tisch
30.01.2015, 12:04 Uhr
Ein bisschen Bling-Bling in der kalten Jahreszeit hat noch nie geschadet.
Angefangen hat alles um die Jahrtausendwende, als Deichkind mit ihrer Single "Bon Voyage" zur neuen HipHop-Sensation wurden. Über die Jahre entwickelte die Hamburger Band ihren ganz eigenen Sound zwischen Elektro und Punk – und landete damit einen Hit nach dem nächsten. Allerdings nicht ohne Preis: Songs wie "Leider geil" gingen so manchen Fans der ersten Stunde mächtig auf die Nerven. Mit dem Herumgealbere ist nun allerdings Schluss. Auf ihrem neuen Album "Niveau Weshalb Warum" schlagen Deichkind ziemlich gesellschaftskritische Töne an. Sebastian Dürre alias "Porky" macht seiner Wut auch im Interview Luft.
Porky, der Songtitel "Leider geil" vom letzten Deichkind-Album wurde zum Lieblingswort einer ganzen Generation und in Österreich sogar Jugendwort des Jahres. Gibt es auf "Niveau Weshalb Warum" eine Wortschöpfung mit ähnlichem Potenzial?
Porky: Oh, das weiß ich nicht! Aber wir haben "Leider geil" ja damals nicht geschrieben, weil wir damit Jugendwort des Jahres werden wollten. Wir hatten einen Song zu wenig für das Album, also haben wir die Nummer innerhalb von zwei Stunden zusammengeschustert. Sie sollte ursprünglich gar keine Single werden – mittlerweile hat das Video bei YouTube über 21 Millionen Views. Das ist halt einfach so passiert. Kunst und Kalkül, das funktioniert nicht.
So sehr der Song den einen gefallen hat, so sehr ging er anderen auf die Nerven. Vor allem Fans der ersten Stunde haben Deichkind zuletzt Ausverkauf vorgeworfen. Zu Recht oder Unrecht?
Wenn man in solchen Dimensionen darüber nachdenkt, was die Leute von einem halten, ist man verloren. Dann versickert deine Energie so schnell wie eine Tasse Wasser in der Sandkiste. Außerdem ist es doch immer das gleiche: Wenn du einen Hit hast - und "Leider geil" war halt ein "Überhit" - sind die Leute irgendwann genervt. Das war schon bei "Bon Voyage" so, und auch bei "Remmi Demmi". Seitdem werden wir in jedem Interview gefragt, wie wir das noch toppen wollen. Wir wollen nichts toppen! Wir sind Musiker und machen Mucke. Vielleicht ist auf unserem neuen Album auch gar kein Hit drauf. Ich find's trotzdem geil!
Ist es auch – und das liegt vor allem daran, dass die neuen Stücke deutlich mehr Inhalt haben. Man könnte "Niveau Weshalb Warum" sogar als Gesellschaftskritik bezeichnen. Wollten Sie bewusst wieder kritischer werden?
Nein, sonst wäre es ja wieder Kalkül. Deichkind ist ein ziemlicher Wirbelsturm und unsere Alben sind für uns eine Art Reality-Check. Wir waren schon immer Beobachter. Wobei die neuen Songs schon offensiver und etwas schärfer sind, das stimmt. Sie sind nicht ganz so spackig und albern. Aber das war eher eine unbewusste Entscheidung.
Was nervt Deichkind im Jahr 2015 denn am meisten?
Die Menschen eigentlich. Ich bin total genervt von den Menschen.
Also ist die Sozialphobie, die Sie in "Hauptsache nix mit Menschen" besingen, Ihnen zuzuschreiben?
Auf jeden Fall! Gucken Sie sich die Menschen doch an - das ist wirklich armselig manchmal. Wie wichtig sie sich und ihre Meinung nehmen. Das ist doch der Ursprung für jeden Krieg. Seit Millionen von Jahren entsteht Krieg immer deshalb, weil einer sich gekränkt fühlt. Und dann pusht sich das so hoch. Es nervt mich, dass die Menschen das nicht schnallen. Man muss sich ja auch mal vor Augen führen: Wir bestehen bloß aus Wasser und Fett, mehr nicht. Einen Zentimeter vor deinem Gesicht ist kein "Ich" mehr.
Sie meinen wir sollten uns alle nicht so wichtig nehmen und lernen friedlich miteinander zu leben?
Vor allem finde ich, die Menschen sollten langsam mal verstehen, dass sie nicht getrennt voneinander leben. Es gibt ein Leben und das sind wir alle. Ein Individuum ist nichts in der Geschichte des Universums. Das ist ein Flohschiss von einem Flohschiss. Also auf die Frage, was mich am meisten nervt, kann ich wirklich nur antworten: Die Menschen. Ich bin schon ein liebender Mensch, ich habe Beziehungen und liebe die Menschen um mich herum. Aber manchmal denke ich, dass es gar nicht so schlimm wäre, wenn wir Menschen einfach alle weg wären. Es gibt viel Schöneres als den Homo sapiens. Guck dir Tschernobyl an - ich habe neulich eine Doku darüber gesehen, dass dort ein riesiges Wolfsrudel durch die verwilderten Städte streift. Da wachsen Bäume durch Häuser und die Natur macht sich einfach wieder breit.
Darum, was die Menschen der Natur antun, geht es auch in "Die Welt ist fertig": "Gelsenkirchen liegt am Meer / In Grönland wachsen Palmen" prophezeien Sie darin.
Ja, wir haben es in weniger als 100 Jahren geschafft die Erde total runter zu rocken. Das muss man sich mal vorstellen. Um 1900 waren die Meere noch voll. Schuld an allem sind die Antibiotika. Früher sind die Leute gestorben, wenn sie sich an einer Rose geschnitten haben, aber jetzt überleben wir alles. Die Menschen werden einfach zu alt.
Und sie regen sich zu sehr über Kleinigkeiten auf, wie Sie in "Mehr als lebensgefährlich" feststellen. Die Deutschen beschweren sich gerne, finden Sie nicht auch?
Auf jeden Fall. Aber nicht nur die Deutschen, das ist ein gesamt gesellschaftliches Phänomen, dass die Leute sich zu sehr über Kleinigkeiten aufregen. Wir sind auch alle Hypochonder. Das ist ganz einfach zu erklären: Früher kam die Gefahr von Außen. Man war damit beschäftigt zu überleben oder seine Burg zu verteidigen. Heute, beim westlichen Menschen, der in Berlin-Mitte seinen Café Latte trinkt, kommt keine Gefahr mehr von Außen - also kommt sie von Innen. Plötzlich spürt man ein Zwicken in der Brust oder was auch immer. Das haben wir bei Deichkind übrigens auch alle ganz stark.
Wer ist denn der schlimmste Hypochonder?
Da tun wir uns nicht viel. Aber was der eine hoch dramatisiert, wird von den anderen dann krankhaft relativiert.
Ansonsten kritisieren Sie auf Ihrem Album noch unsere Internetsucht, den Größenwahn - am Ende bleibt die Frage: Sind wir denn überhaupt noch zu retten? Was sollen wir tun?
Einfach weiter leben und hoffen, dass es irgendwann vorbei ist mit den Menschen - oder dass sie es doch noch schnallen. Ich glaube die Kluft zwischen bewusst und unbewusst lebenden Menschen wird immer größer. Das wird auf jeden Fall noch anstrengend. Aber bei den jungen Leuten kann man auch schon eine Wende beobachten. Sie denken viel weiter und haben ein Bewusstsein für das, was danach kommt. Irgendwann stehen sich die beiden Seiten gegenüber - das wird der große Realitätscheck.
Mit Deichkind sprach Nadine Lischick
Das Album "Niveau Weshalb Warum" erscheint am 30. Januar 2015 - bei Amazon bestellen
Quelle: ntv.de