Wenn das Traurige schön ist Element Of Crime: "Wir sind extrem frei"
17.10.2018, 19:11 Uhr
Liebt es, die Fäden mit seiner Band Element of Crime aufzudröseln: Sven Regener.
(Foto: dpa)
"Schafe, Monster und Mäuse" heißt das neue Album von Element Of Crime. Es klingt so wie immer. Also genau richtig. Und obwohl es noch sehr früh beim Interview mit n-tv.de ist - Sven Regener und seine Mannen haben Antworten auf alle Fragen.
In den Achtzigern, sagt Sven Regener milde lächelnd, wäre so etwas unmöglich gewesen, aber heute sei ein Treffen um 10 Uhr morgens ganz normal. Und so sind sie auch alle sehr pünktlich aufgetaucht zum Interview in der Kantine von Universal Music an der Berliner Oberbaumbrücke. Regener (57, Gesang), Richard Pappik (62, Schlagzeug) und Jakob Ilja (59, Gitarre) sitzen vor diversen Heiß- und Kaltgetränken, lediglich Bassist David Young fehlt.
Hellwach und lebendig sprechen die Männer (eigentlich spricht ganz überwiegend Sven Regener) zunächst einmal über den Tod. "Jemand hat mal gesagt", so Regener auf die Frage nach seiner Motivation, "'Kunst ist Urlaub von der Sterblichkeit'. Das ist nicht dumm gedacht. An Liedern zu arbeiten, ist erfrischend und befreiend, man kommt dabei raus aus dem Wissen um seine begrenzte Existenz. Der Mensch ist ein melancholisches Tier. Wenn er etwas tut, was er liebt, hat er kurz Pause von seiner Melancholie." Natürlich verfüge der Mensch über tausend Möglichkeiten, das Endlichsein zu vergessen, etwa auch Sport oder Religion. Doch "der Rock'n'Roll ist die allerbeste dieser Möglichkeiten."

Vorne links, Sänger und Bandgründer Sven Regener, rechts Gründungsmitglied und Gitarrist Jakob Ilja, hinten links Schlagzeuger Richard Pappik und rechts Bass-Spieler David Young.
(Foto: dpa)
Und so haben Element Of Crime vier Jahre nach "Lieblingsfarben und Tiere" und 33 Jahre nach ihrer Bandgründung wieder ein Album zusammen gemacht, es hat erneut einen skurrilen Titel, nämlich "Schafe, Monster und Mäuse". So heißt auch ein Lied auf der Platte, in dem es um Träume geht. "Überhaupt haben die ganzen Assoziationen in diesen Texten viel mit dem Unterbewusstsein zu sein", sagt Regener. "Die Platte ist eigentlich sehr psychedelisch. Die Stilmittel stürzen so ineinander. Und der Titel mit seinen Traumsymbolen beschreibt dieses Psychedelische recht gut."
Das Album ist ein Füllhorn. Die Männer gießen ihre musikalischen Ideen und zahlreiche Instrumente wie Streicher, Bläser und Akkordeon förmlich über dem Hörer aus. Der musikalische Malkasten, den die Band im angestammten "Triton Studio" ausgepackt hat, ist wieder bestens bestückt. Es gibt Soulballaden ("Am ersten Sonntag nach dem Weltuntergang"), Rock'n'Roll ("Stein, Schere, Papier") oder vergleichsweise frohgemuten Folk ("Die Party am Schlesischen Tor"). Immer erklingen Instrumente (Akkordeon, Bläser, Geigen etc.), die in dem Moment überraschen, aber genau da hinpassen, wo sie sind. So scheinbar beiläufig und doch so prägnant zu musizieren wie Element Of Crime, sicher eine der markantesten Bands Deutschlands, das muss man erstmal schaffen. Regener: "Man kann nicht dreißig Jahre diese Musik spielen, ohne eine markante Spur zu hinterlassen. Wir waren auch anfangs nicht im Mainstream unterwegs, sondern haben uns unseren gesellschaftlichen Resonanzraum schaffen müssen. Das heißt auch, dass unser Stil entsprechend auffällig gewesen sein muss."
Traurig bis bedröppelt
Was ihnen immer schnurz war? Der Zeitgeist. "Wir sind extrem frei. Wir hatten nie Singlehits, wir sind ohne die klassischen Instrumentarien der Musikbranche eine sehr erfolgreiche Band geworden. Wir haben jeden, der unsere Musik mochte, einzeln an der Hand genommen."
Radikale Stilbrüche gab es in der Bandgeschichte keine. Wozu auch? Und so klingen die elf neuen Songs wohltuend vertraut. Regeners zerknautschte Knarz-Stimme erkennt man ja sowieso immer gleich, und auch sonst haben es sich die Männer gemütlich gemacht in ihrer klanglichen Komfortzone, die ja sonst alle immer verlassen wollen. Element Of Crime nicht. Wie jeher haben die Stücke einen leicht melancholischen Drall, nicht selten sind die Texte etwas versponnen und undurchsichtig, oft handeln sie von der Liebe in all ihrer Unzulänglichkeit, von etwas traurigen bis bedröppelten und zerzausten Gestalten, die doch mit Würde ihr Leben zu meistern versuchen. Oder gleich vom Weltuntergang, bei Element Of Crime freilich eher dem metaphorisch gemeinten, weil subjektiv als solchem empfundenen.
Eine gewisse Rätselhaftigkeit
"Nur in der Kunst kann das Traurige auch schön sein", weiß der Sänger. "Neunzig Prozent der Millionen Liebeslieder auf der Welt handeln davon, dass es nicht läuft. Bei fünf Prozent ist alles super, fünf Prozent sind unentschieden." Eine gewisse Rätselhaftigkeit in seinen Texten, so der Autor, sei dabei gewollt und unvermeidbar. "Weil das Leben als solches rätselhaft ist. Es hat viele lose Enden. Uns kommt es nicht darauf an, diese Enden zusammenzuknüpfen, das ist die Aufgabe anderer. Uns macht es Spaß, die Fäden lieber noch weiter aufzudröseln."
Auffallend und in diesem Ausmaß neu ist allerdings der starke Berlin-Bezug der neuen Stücke. "Im Prinzenbad allein" (Regener hatte dort 1993 eine Saisonkarte), "Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin" und "Die Party am Schlesischen Tor" ("Dort geht man halt hin, weil man weiß, dass Tag und Nacht die Sau los ist") sind hier nur die deutlichsten, aber nicht die einzigen Beispiele. "Ich finde es nicht falsch, dass Songs in der Welt spielen, in der man lebt", betont Regener, ein gebürtiger Bremer, der seit Jahrzehnten in Berlin lebt.
"Ich habe keine Skrupel mehr, konkrete Orte zu benennen. Ich habe lange Zeit gebraucht, mich das in Songtexten zu trauen, weil immer die Angst da war, als Provinzheini dazustehen. Was ja totaler Quatsch ist. Bei den Red Hot Chili Peppers geht es auch ganz viel um Los Angeles." Berlin sei eine gute Stadt, in der man gut leben könne. "Aber man muss dort nicht wohnen, um die Texte zu verstehen."
Dass Sven Regener unverändert der Ansicht ist, dass Politik in der Kunst nichts zu suchen hat (und umgekehrt), hält ihn nicht davon ab, einmal auf "Schafe, Monster und Mäuse" doch politisch zu werden, im Song "Nimm dir, was du willst". Er sagt: "Das ist ein Lied für negative Religionsfreiheit. Berlin hat eine so hohe Bevölkerungsdichte, dass man das nur aushalten kann, wenn sich die Leute auch gegenseitig in Ruhe lassen, sie jedenfalls nicht dauernd mit Meinungen und Glaubensdingen behelligen. Das Leben ist doch auch so schon anstrengend genug."
Quelle: ntv.de