Musik

"Meine Energie ging ins Überleben" Holly Johnson ist wieder voll da

"The Power Of Love" ohne Gummihandschuhe!

"The Power Of Love" ohne Gummihandschuhe!

(Foto: dpa)

Holly Johnson ist spät dran für die Verabredung: Auf dem Berliner Kurfürstendamm hat der ehemalige Sänger von Frankie Goes To Hollywood überall nach Reibekuchen gesucht. "Ich mache mir die auch ab und zu in London. Aber es ist viel besser, wenn du sie an einem Stand in Deutschland mit dem typischen Apfelmus kaufst", versichert uns der Brite. Mit seinem Lied "The Power Of Love" versüßt der 54-Jährige uns nun schon seit fast 30 Jahren das Weihnachtsfest. Dass seine Stimme immer noch so fantastisch ist wie in den Achtzigern, davon zeugt sein neues Soloalbum "Europa", das mal fröhlich poppig, mal elektronisch-tanzbar und mitunter ganz schön emotional anmutet. Aber erst mal wollen wir mit Johnson in alten Zeiten schwelgen.

n-tv.de: Mr. Johnson, es ist 30 Jahre her, dass Frankie Goes To Hollywood ihr Debütalbum "Welcome To The Pleasuredome" veröffentlichten. Mit dem Song "Relax" haben Sie damals für einen riesigen Skandal gesorgt!

Holly Johnson: Oh ja, die BBC setzte den Song sogar auf den Index und auch bei "Top Of The Pops" wurde er nicht mehr gespielt! Dass das Lied trotzdem oder gerade deshalb zum Mainstream-Hit wurde, hat mich damals selbst überrascht. Ich hatte mit einem Kult-Erfolg gerechnet. Aber die Tatsache, dass wir sogar in der "Bravo" regelmäßig stattfanden, war verrückt.

Privat ist er eher soft.

Privat ist er eher soft.

Auch weil es im dazugehörigen Video ziemlich eindeutig um Gay-Sex ging!

Das war damals noch ein Tabu-Thema und absolut kontrovers. Aber es war ja alles Strategie: Wir wollten die Alternative sein zu den hübschen Teeniebands wie Duran Duran oder Spandau Ballet.

Waren Sie privat auch der Typ mit Gummi-Handschuhen, die Sie im Video zu "Relax" trugen?

Nein, das war alles nur inszeniert! Frankie war ein Charakter, den ich mir zulegte und mit dem ich in eine Fantasiewelt abtauchte - so wie Ziggy Stardust ein Charakter von David Bowie war. Mein neues Album kommt der echten Person näher. Ich muss mich heute hinter nichts mehr verstecken. Privat bin ich auch eher soft! (lacht)

Bezahlt Ihnen der Song heute die Miete?

Es ist eine Kombination aus "Relax", "Two Tribes", "The Power Of Love" und meinen Solohits "Americanos" und "Love Train". Diese Lieder zahlen mir meine Strom- und Gasrechnung! Eine Miete fällt bei mir gar nicht an, da ich ein hübsches kleines Häuschen in London habe.

Anfang der Neunziger hatten Sie eine Lebenskrise: Ihr zweites Soloalbum lief nicht so gut und Sie erhielten die Diagnose, HIV-positiv zu sein.

Nachdem die Achtziger vorbei waren, war es fast so, als wäre eine Hexe vorbeigekommen und hätte mich mit einem bösen Schwur belegt! Fast alle Menschen im Musikbusiness wandten sich von mir ab. Mein deutscher Lebenspartner Wolfgang, mit dem ich seit 30 Jahren zusammen bin, kümmerte sich mit unglaublicher Hingabe um mich. Aber unsere Beziehung veränderte sich: Er wurde von heute auf morgen zu meiner Krankenschwester.

Und dann starb Queen-Sänger Freddie Mercury an Aids.

Mit der richtigen Medizin könnte er heute noch leben! Ich musste fünf Jahre darauf warten und war mir sicher, ich wäre der Nächste. Ich hatte viele Freunde, die nicht mehr von neu entwickelten Medikamenten profitieren konnten. Von 1984 bis in die Neunziger hinein starb einer nach dem anderen.

Hat man auch deshalb so lange nichts mehr von Ihnen gehört?

Wurde auch mal von Andy Warhol inspiriert, der junge Holly Johnson.

Wurde auch mal von Andy Warhol inspiriert, der junge Holly Johnson.

Alle meine Energie ging ins Überleben! Heute fühle ich Schuld, aber auch großes Glück, dass ich überlebt habe. Ich lebe wie ein Mönch, aber mir geht es gut. Auf gewisse Weise lebe ich mein Leben für alle diejenigen, die es nicht geschafft haben. Und ich versuche das Beste herauszuholen und das Leben zu feiern! Deshalb heißt meine anstehende Deutschland-Tour auch "Dancing With No Fear".

Ihre Krankheit hat Ihre Kunst nie überschattet. Ihre Musik und Ihre Malereien sind immer noch irgendwie bunt!

Ich bin privat eine sehr introvertierte Person, deshalb schreibe ich gerne fröhliche, schöne Lieder oder male Bilder, die mich auch selbst aufzumuntern. Ich will niemanden depressiv stimmen, deshalb ist mir Positivität wichtig. Wenn meine Musik Leute in gute Laune versetzt, ist das mir nur recht.

War Ihr Treffen mit Popart-Ikone Andy Warhol in den Achtzigern dafür eine Inspiration?

Definitiv. Als ich jung war und in Liverpool lebte, sah ich eine Dokumentation über ihn. Dass er so viele verschiedene Leute in seinen Bann zog, von Transvestiten über Künstler wie Keith Haring und Jean-Michel Basquiat bis hin zur Band Velvet Underground, fand ich sehr glamourös und aufregend. Dass ich in einer Band war, hat mir Türen geöffnet. Ich wurde von seinem "Interview Magazine" interviewt. Ich traf ihn, während er mit Jean-Michel Basquiat an einer Serie von gemeinsamen Bildern arbeitete. Warhol machte ein Foto von mir. Das tauchte später bei einer Ausstellung auf und nun habe ich einen Abzug davon. Darauf sehe ich wirklich sehr nach 1980er aus: Die Ärmel habe ich aufgerollt, mein Haar ist lockig und ich hielt eine Ray-Ban in der Hand.

Das Cover Ihres neuen Albums "Europa" haben Sie selbst gemalt.

Ja, es entstand 2002 im Rahmen einer Ausstellung zum Goldenen Thronjubiläum von Queen Elizabeth II. Der englische Regen wäscht den Union Jack weg – eine Anspielung auf den Verlust der nationalen Identität, wenn man Teil der EU ist.

So fühlen Sie bezüglich Europa?

Nein. Es gibt Stimmen, die sagen, dass Großbritannien sich auch politisch von Europa abspalten sollte - aber das unterstütze ich nicht. Meiner Ansicht nach sind wir besser im Bündnis, auch wenn ihr uns Inselaffen nennt - was ja auch irgendwie stimmt. Ich war sowieso immer ein Fan europäischer Kultur. Mich hat immer französische Kunst und deutsche Musik begeistert wie die von Kraftwerk oder Propaganda.

Ihr neues Album handelt nun von der Liebe.

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Es handelt von Liebe, aber auch davon, wie sich Beziehungen verändern. Mit "Hold On Tight" singe ich eine Hymne auf das Zusammenbleiben, auch wenn es heutzutage eher in Mode ist, sich nach zwei, drei Jahren zu trennen. "So Much It Hurts" handelt von unerwiderter Liebe und dem Schmerz und der Einsamkeit, die sie mit sich bringt.

"The Power Of Love", das zur Weihnachtszeit im deutschen Radio wieder rauf- und runterlaufen wird, war auch immer eher ein Liebeslied, oder?

Richtig. Dass es ein Weihnachtslied wurde, lag nur an dem Video, in dem die Weihnachtsgeschichte aufgegriffen wurde. Das war eine Idee der Plattenfirma, denn Frankie Goes To Hollywood waren seinerzeit in Amerika auf Tour und nicht greifbar, um ein Video zu drehen. Aber im Song selbst ging es immer nur um Liebe, nie um Weihnachten!

Was ist Ihr Lieblingsweihnachtslied?

"Es ist ein Ros entsprungen"! Dass es ein kirchliches Weihnachtslied ist, liegt daran, dass ich im Kirchenchor singen lernte. Und "Stille Nacht" finde ich auch noch sehr schön.

Mit Holly Johnson sprach Katja Schwemmers

Das Album "Europa" ist am 24. Oktober 2014 erschienen - bei Amazon bestellen

Holly Johnson auf "Dancing With No Fear"-Tour:

08.12.2014 Stuttgart-Wangen, LKA-Longhorn
09.12.2014 München, Tonhalle
11.12.2014 Berlin, Astra Kulturhaus
13.12.2014 Köln, Live Music Hall

Quelle: ntv.de

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