"Unsere Konzerte sind wie Sex" KISS rocken Berlin
13.06.2013, 15:44 Uhr
KISS: Dauerbrenner ohne Altersschwäche.
(Foto: dpa)
Sie geben immer noch Gas - seit nunmehr 40 Jahren: KISS. "Ist es nicht irgendwann genug?", fragen manche Kritiker. Doch die betagten Hardrocker geben bei ihrem einzigen Deutschlandkonzert zu ihrem runden Geburtstag in Berlin die klare Antwort: Nein, ist es noch lange nicht!
Es ist der perfekte Sommerabend für ein Open-Air-Konzert in der Berliner Waldbühne. Tief stehende Sonne, bestens gelaunte Menschen und weder zu kalt noch zu warm. Nicht zuletzt der letzte Aspekt dürfte besonders die älteren Herrschaften freuen, die gleich mit schwerem Geschütz die Bühne entern werden. Denn im Nu schwindet so auch die Sorge um die akkurat aufgepinselte Schminke. Hier verläuft heute gar nichts - um das zu konstatieren, reicht ein Blick auf die etlichen KISS-Doppelgänger rechts und links. Was man sonst nur in einer guten Travestie-Show geboten bekommt, gibt es hier für knapp 70 Euro Eintrittspreis gratis dazu. Selten sieht man so viele geschminkte Mannsbilder auf einem Haufen. Doch hier wirkt es geradezu normal, wenn auf einmal "Demon" und "Starchild" neben einem an der Würstchenbude stehen.
Um Viertel nach acht ist es soweit: KISS alias Gene Simmons, Paul Stanley, Tommy Tayer und Eric Singer betreten umjubelt die Bühne. Mit dem Mitgröhlsong "Psycho Circus" und gut einem Dutzend Bühnen-Raketen lassen es die Hardrocker gleich mal ordentlich krachen. Die schrillen Kostüme und Masken sitzen. Und auch die altbekannte Simmons-Zunge bahnt sich den Weg züngelnd über den Bass. Der Anfang ist gemacht - rund 16.000 Menschen im Freudentaumel. Dabei legt sich das US-Quartett nicht nur musikalisch ordentlich ins Zeug: Die obligatorische Lobhudelei auf die Stadt, in der man gerade spielt, kommt bei den Berlinern gut an. Wer würde Stanleys Beteuerung, "Ich bin ein Berliner", auch nicht gerne irgendwie Glauben schenken?
Kein Clean-Schick
Dick auftragen können KISS - nicht nur beim Make-Up. Stanley sorgt für doppelte Gitarrengewitter - musikalisch ebenso wie optisch mit den aus dem Hals seiner Klampfe sprühenden Lichtblitzen. Ach, Pyrotechnik ist doch etwas Schönes. Und mit Feuerwerken wie diesem ließen sich wahrscheinlich auch Tote wieder auferwecken. Das ist jedoch gar nicht nötig. Simmons röhrt altbewährt ins Mikro, während Drummer Singer und Gitarrist Thayer solide über mehrere Minuten improvisieren, ohne aber das Publikum dabei auch nur eine Sekunde zu ermüden. KISS demonstrieren professionell, dass sie auch nach vierzig Jahren noch ganz weit vorne mitspielen.
Die vier Hardrocker präsentieren einen Mix aus alten und neuen Songs, doch summa summarum überwiegt der Anteil ehemaliger Hits dann doch. Bei "Heaven's On Fire" gehen sämtliche Arme in die Höhe, es wird inbrünstig mitgesungen. Dezenter Schweiß- und Alkoholgeruch macht sich breit - echter Rock'n' Roll braucht eben keinen "Clean Schick". Und auch keine sauberen Freizeit-Mosher à la Karl-Theodor zu Guttenberg. Es braucht einen wie Simmons, der Feuer und beim Klassiker "God of Thunder" endlich auch Kunstblut spuckt. Leicht wahnsinnig anmutend, flimmert der 63-Jährige mit weit aufgerissen Augen in Großaufnahme über die Bühnenleinwand und windet sich im Scheinwerferlicht, bis schließlich eine blutende Schlabberzunge aus dem angemalten Gesicht hängt. Frenetischer Beifall ist ihm dafür gewiss.
Eigentlich ist also alles wie immer bei KISS. Nennenswerte Altersschwächen lassen die Musiker nicht erkennen - wie auch, unter den penibel zugekleisterten Gesichtern? Doch auch die vermeintlich verräterischen Hände, die nicht selten das wahre Alter gelifteter Hollywood-Oldies verraten, wandern flink über die Gitarrenhälse. Nur die Smartphones, mit denen die Fans hektisch versuchen, das Live-Erlebnis einzufangen, gab es in den 80ern und 90ern noch nicht. Statt auf Rollfilmen werden Erinnerungen heute auf Mikrochips gespeichert - und morgen bei YouTube hochgeladen.
"Hey" und "Ho"
Apropos Alter. Das ist beim Publikum erstaunlich durchmischt. Von ganz klein, etwa vier Jahre, bis etwa Anfang siebzig ist alles vertreten. Viele sind extra für das einzige KISS-Konzert in Deutschland aus der ganzen Republik angereist. Aber auch Schweizer, Dänen und sogar Kanadier haben mit ihren Fähnchen den Weg zur Waldbühne gefunden. KISS bedanken sich dafür auf ihre Weise: mit üppigen Pyro-Krachern, durch die Luft wirbelnden Papierschnipseln und viel Liebe. Die Liebe zu Berlin betonen sie mehr als einmal an diesem Abend. Und Paul Stanley erklärt gar, er würde am liebsten "jeden" seiner Fans kennenlernen. Erst einmal muss jedoch die Interaktion von der Bühne herab genügen. Unermüdlich ermuntern die vier New Yorker ihre KISS-Jünger mit Zurufen wie "Hey", auf die das Publikum "Ho" antwortet. Es ist ein gegenseitiges Wechselspiel - banal, aber wirkungsvoll.
Getreu dem Titel ihres neuen Albums "Monster" powern KISS rund zwei Stunden monstermäßig durch. Vier Zugaben runden die große Party ab, darunter natürlich auch der Song, den wirklich jeder kennt: "I was made for loving you". "Unsere Konzerte sind wie Sex - oder alles andere, bei dem mehr als eine Person im Spiel ist. Eben ein Geben und Nehmen, wobei wir die Leute auf ein ganz neues Level führen", sagt Stanley über die Live-Auftritte der Band, mit der er seit 40 Jahren auf der Bühne steht. Und tatsächlich sieht man nach dem Konzert den einen oder anderen zufrieden und genüsslich an der Zigarette danach ziehen.
Quelle: ntv.de