Einmal Musiker, immer Musiker Midge Ure brennt noch
22.07.2014, 12:34 Uhr
Mit Ultravox auf Tour
(Foto: imago stock&people)
Midge Ure hat eine Weile nichts von sich hören lassen. Das heißt ja nicht, dass er untätig in der Ecke sitzt, aber ein eigenes Album ist schon ein paar Jahre her. Nun also ist es so weit und der Künstler befindet sich in Berlin, weil er auf dem Gendarmenmarkt den Kollegen Schiller begleitet. Im Hotel Hilton erzählt der sympathische und bodenständige 60-Jährige, wie es ist, beim Fußball zuzuhören, viele Töchter zu erziehen, warum er einiges nicht mehr machen kann und vor allem aber, was er noch alles machen möchte.
n-tv.de: Wir wollen ja nicht über Fußball sprechen, aber es lässt sich nicht vermeiden, wenn eine WM stattfindet. Genau so wie das Wetter, das kann man auch nicht ändern oder vorhersehen.
Midge Ure: Ja, wir haben es aber alles gut hinbekommen. Die Show wurde etwas komprimiert, damit wir vor dem Beginn des Spiels fertig sind. Und vor dem Beginn des zweiten Gewitters (lacht). Es war insgesamt super.
Und haben Sie das Spiel dann hinterher gesehen?
Es blieb einem ja nichts anderes übrig (lacht). Und selbst wenn ich es nicht gesehen hätte, hier im Hotel wurde quasi alle fünf Minuten gejubelt, da musste man gar nicht hingucken. Aber Glückwunsch den Deutschen, und schön, dass sie so fair waren nach dem Spiel und auch schon währenddessen. Aber es war schon demütigend, meine Güte, lasst den Brasilianern doch noch einen Rest von Würde, dachte ich nur noch. Alle weinen.
Ja, herzzerbrechend. Die Kinder, die Spieler, jeder. Wir könnten natürlich ewig über Fußball reden, aber wir sind ja wegen der Musik hier.
Zum Glück!
Sie haben gesagt, dass Ihr neues Album moderne Musik mit einer Old-School-Attitüde ist - was bedeutet Old School in Ihrem Fall?
Als ich jung war und damals noch Platten kaufte, da legte man die Platte auf, man drehte sie um, man hörte sie von Anfang bis Ende. Heute pickt sich jeder nur noch einzelne Stücke heraus, das ist nicht meins. Wobei man ja froh sein kann, dass es überhaupt noch Menschen gibt, die Musik kaufen (lacht). Aber was ich meine, ist, dass die Leute dadurch eine Menge verpassen, was sonst noch auf einem Album passiert. Es ist manchmal eben auch wichtig, ein Album von Anfang bis Ende zu hören, weil es einen Sinn ergibt. Weil es etwas zu entdecken gibt. Oft erzählt ein Künstler schließlich eine Geschichte. Also Old-School bedeutet: Leg' die CD ein und nimm dir die Zeit, zuzuhören.
Ich hör' gern Musik im Auto, und oftmals sind die Stücke, die nicht ausgekoppelt werden, die besseren, finde ich.
Ja, das ist sehr amerikanisch, so häppchenweise vorzugehen. Oft werden nur die Stücke an die Musikstationen geschickt, die das Studio ausgesucht hat, dabei sollte doch der Radio-DJ oder der Moderator aussuchen können, was er seinen Hörern bieten will. Für mich was es wichtig, das Titelstück an den Schluss des Albums zu setzen, weil alles vorher zu diesem Stück hinführt. Es ist wie eine kleine Reise.
Sie haben mit Schiller zusammengearbeitet, wie kam es dazu?
Wir haben denselben Friseur (lacht). Nein, natürlich nicht, ich hab' Christopher vor drei, vier Jahren kennengelernt, er ist ein großartiger Musiker, aber er ist kein Texter, und da haben wir irgendwie zusammengefunden. Ich wusste vorher nicht, wer Schiller, also Christopher von Deylen, ist. Dann hab' ich ein paar Informationen über ihn eingeholt, und dann haben wir ein paar Songs zusammen geschrieben. Einer ist auf seinem letzten Album und meine Version ist jetzt auf "Fragile". Bei dem Konzert jetzt war es vor allem eine große Freude, mit einem Orchester aufzutreten.
Auch bei schlechtem Wetter?
Auch bei schlechtem Wetter (lacht). Dieser Rahmen, die Geschichte des Platzes, das ist faszinierend, und vor allem geben einem nicht viele Städte die Gelegenheit, an solch' einem Ort aufzutreten, das ist also etwas ganz Besonderes in Berlin. Man braucht wirklich kein weiteres Brimborium, wenn man eine Kulisse wie den Deutschen oder Französischen Dom hat. Bei uns (Anm.: Ure lebt in Glasgow) kann man sich eh nicht auf den Sommer verlassen, wir sind das also gewohnt.
Ihr erstes Solo-Album seit 10 Jahren - warum hat es so lange gedauert?
Es ist ja nicht so, dass ich jetzt neun Jahre gewartet und dann plötzlich ein Album gemacht habe. Das war ein langer Prozess. An den Ideen tüftle ich schon jahrelang. Aber ich bin durch sehr viele verschiedene Phasen gegangen in den letzten Jahren, wirklich von den größten Zweifeln - ob es überhaupt Sinn hat, ein Album aufzunehmen, denn die Musikindustrie hat sich in so kurzer Zeit so dermaßen massiv verändert, das kann man sich kaum vorstellen - bis hin zu fast schon Höhenflügen. Aber eine Record Company sieht heute nur noch, ob einer einen Hit bringt, und den soll er dann möglichst schnell raushauen, an mehr sind die oft gar nicht interessiert. Und ich hab mich persönlich auch immer wieder gefragt: Will ich das eigentlich, etwas Neues machen, und will das im Endeffekt irgendein Mensch hören? Ich hab' also ständig an dem Album gearbeitet, und dann hab' ich es wieder eine Weile liegen lassen. Als ich aber mit Ultravox wieder zusammen kam, vor drei Jahren, da haben wir gespürt, dass es eine Sehnsucht nach neuer Musik gibt. Im Endeffekt war dieser Prozess also äußerst zufriedenstellend.
Und dann haben Sie ganz allein im Studio gesessen und an dem Album getüftelt?
Ja, (lacht) hört sich das nicht erbärmlich an?
Geht so, man ist von niemandem abhängig und keiner quatscht einem rein.
Auch wieder wahr. Aber es dauert eben länger. Ich muss mich von meiner Arbeit immer wieder entfernen, sie liegen lassen, und dann nach einer Weile, wenn ich es mir wieder anhöre, finde ich heraus, was gut ist, was nicht, was Bestand hat, was nervt. In hellem Tageslicht sieht vieles anders aus als am schummerigen Abend zuvor (lacht) - und hört sich auch anders an.
Ist es nicht inspirierend, mit anderen zusammenzuarbeiten?
Ja, aber das ist ein zweischneidiges Schwert, es kann einen eben auch sehr ablenken. Und es kann dann auch in eine ganz andere Richtung gehen, als man geplant hat. Es ist fast wie in einer Ehe: Man geht Kompromisse ein. Wenn man allein ist, kann man sein Ding durchziehen. Man ist wie ein Bildhauer.
Aber ist die erste Idee, die man hat, nicht oft auch die Beste?
Ja, klar, bei einigen Stücken auf meinem Album ist das ja auch so, aber bei anderen hat es eben Monate gedauert. (lächelt)

Interessantes Styling ... Ultravox Mitte der achtziger Jahre. (Midge Ure: 2.v.r.)
(Foto: imago stock&people)
Lassen Sie sich von den Zuständen auf der Welt noch beeinflussen, wenn Sie an neuer Musik arbeiten? Sie sind ja ein politisch interessierter Mensch ...
Ja, aber ich glaube, das ist es nicht mehr. Was mich viel mehr beeinflusst, ist das Leben an sich. Ab einem bestimmten Punkt im Leben, einem bestimmten Alter, hat so vieles eine Wirkung auf dich, und du vergleichst es mit den Dingen, die du schon erlebt hast. Mich beeinflussen die Dinge des täglichen Lebens, meine Familie, meine Kinder, meine Erinnerungen, woran ich glaube ... ich denke nicht, dass ich ein besonders politisch denkender Mensch bin, ich glaube, das Leben wirft einem immer wieder etwas vor die Füße, womit man etwas anfangen kann. Man braucht sich tatsächlich nichts mehr auszudenken, denn das Leben schreibt - so kitschig es auch klingt - die besten Geschichten. Als ich jünger war, hab' ich mir Sachen ausgedacht, das brauche ich jetzt doch nicht mehr.(lacht) Und wenn man echte Geschichte und Songs schreibt, dann hört dir irgendwo einer zu und denkt sich: Hey, das kenn' ich, das hab' ich genau so erlebt. Und manchmal geht es um ganz Banales, aber manchmal geht es auch um die dunklen Seiten des Lebens, und wie man es schafft, damit klarzukommen.
Haben Sie Kontakt zu Ihren Fans?
Ja, wenn Sie meinen, dass ich diese Twitter- und Facebook-Geschichte betreibe, dann ja (lacht). Ich hab' damit angefangen, als Ultravox wieder auf Tour gingen, weil keiner wirklich glauben konnte, dass die alte Säcke wieder was zusammen machen (lacht). "Hier, seht euch die Fotos an, wir sind es wirklich, wir leben noch". Gestern hab' ich mir ein Buch gekauft, darüber, wie abhängig man von Facebook und Twitter werden könnte, aber ich finde einfach nur , dass es ein hervorragendes Instrument ist, um mit seinen Leuten zu kommunizieren. Es nimmt die Barriere zwischen Musiker und Fan und dann ist es auch kein Fan mehr, finde ich, sondern ein Freund, mit dem man da zu tun hat. Man ist verbunden, bekommt Input. Jetzt mal ehrlich, früher diese Fanpost, die konnte man gar nicht lesen, die ging direkt zu deinem Agenten oder so, und jetzt sitze ich da wirklich und antworte, das ist ein großer Fortschritt. Es ist auch in Sachen Crowdfunding für den Künstler leichter, wenn er in Kontakt ist mit denen, die sich etwas von ihm wünschen. Früher wurde ein Künstler beauftragt, etwas zu komponieren, warum sollte das heute nicht auch wieder passieren?
Haben Ihre Kinder Einfluss auf Ihre Musik?
Indirekt (lacht). Sie hören ja keine Stücke von mir.
Mädchen oder Jungs?
Vier Töchter. (lacht)
Oh ...
Ja, das ist hart! Vielleicht mögen sie ja insgeheim, was ich mache, aber zugeben würden sie das nicht. Eltern sind ja grundsätzlich - ab einem gewissen Alter der Kinder - peinlich (lacht). Und wenn man dann auch noch Musiker ist, irgendwie so wirkt, als würde man schlechter oder langsamer altern wollen als andere, dann ist man besonders peinlich (lacht). Vor allem, wenn man von der Lehrerin gebeten wird, bei einer Schulaufführung etwas zu singen. "Oh bitte, nicht, jetzt singt er auch noch", sagen die Mädchen dann. Aber das ist okay, sie müssen sich ein bisschen schämen, denn sie müssen sich ja auch absetzen von uns. Und ich glaube, sie finden es zumindest gut, dass ich das, was ich mache, mit Leidenschaft mache.
Es wird ja auch immer schwerer für die armen Kinder ...
Ja, früher war klar, dass wir gegen unsere Eltern sind, aber heute sind wir befreundet, auch mit den Kids, und gegen seine Freunde rebelliert man nicht. Ich versuche aber auch, keinen so großen Druck auf sie auszuüben, sie sollen tun, worauf sie Lust haben. Beruflich, meine ich vor allem. Sie sollen studieren, worauf sie Lust haben, aber wenn sie Maler werden wollen, dann sollen sie auch das tun dürfen. Sie sollen nicht den Rest ihres Lebens etwas tun müssen, worauf sie keine Lust haben.
Sie sind einer der Mitbegründer der Band Aid gewesen - denken Sie nicht, die Welt braucht wieder eine Band Aid? (Anm. d. Red.: Band Aid war ein Bandprojekt internationaler Popstars, das 1984 von Bob Geldof und Midge Ure ins Leben gerufen wurde, um Geld für die Opfer der Hungersnot in Äthiopien zu sammeln)
Ganz sicher, es gibt leider genug Gründe. Vor unseren Haustüren passieren gerade die schlimmsten Dinge, Israel, Ukraine. Aber ich bin jetzt 60, darum müssen sich andere kümmern. Oder? Und vielleicht ist Musik auch nicht mehr das Mittel für solch eine Aktion? Ich weiß es nicht, aber meinetwegen kann auch jede neue Musiker-Generation immer und immer wieder "Do They Know It's Christmas" aufnehmen. Ich hätte nichts dagegen. Bob sicher auch nicht, aber wir würden den Song gerne in andere Hände legen, als eine Art Vermächtnis. Es müssen aber Leute sein, denen man vertrauen kann.
Haben Sie schon jemanden im Auge?
Leider nicht. Es ist auch sehr verfahren, denn die meisten Kriege passieren aus religiösen Gründen. Ich komme aus Glasgow, da sind sogar die Fußballvereine entweder protestantisch oder katholisch. Deswegen bin ich auch kein Fußball-Fan.
Würden Sie heute nochmal Musiker werden?
Ganz bestimmt, aber es ist viel schwerer geworden. Es ist nicht einfach, authentisch zu sein, zu bleiben, und vor allem, damit Geld zu verdienen. Man braucht sehr viel Leidenschaft, sehr viel Durchhaltevermögen.
Mit Midge Ure sprach Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de