Trotz Casting stolz wie Bolle Mrs. Greenbird halten dagegen
06.11.2014, 17:53 Uhr
Der Schatten der Casting-Vergangenheit verblasst.
(Foto: www.markusschulzefoto.de)
Nicht viele Castingshow-Sieger erhalten nach dem in der Regel garantierten Debütalbum-Erfolg die Chance auf ein zweites musikalisches Ausrufezeichen. Die beiden X-Factor-Gewinner Sarah Nücken und Steffen Brückner alias Mrs. Greenbird sind da eher die Ausnahme. Für ihr zweites Album "Postcards" durfte das Kölner Singer/Songwriter-Pärchen sogar im weltberühmten RCA Studio in Nashville einchecken. Ist Nashville wirklich Musik pur? Wie komponiert man via Skype einen Song? Und wie schwer wiegt eigentlich noch die Castingshow-Last auf den Schultern der beiden Verantwortlichen? Wir verabredeten uns mit Sängerin Sarah Nücken und fragten nach.
ntv.de: Sarah, ihr durftet eurer zweites Album in Nashville aufnehmen. Schon verarbeitet?
Sarah Nücken: (lacht) Nicht wirklich, um ehrlich zu sein. Ich denke mal, dass die Monate in Nashville für Steffen und mich definitiv die bisher schönsten unseres Lebens waren. Damit muss man erstmal klarkommen.
Ist die Stadt wirklich Musik pur?
Nun, sie war es auf jeden Fall mal. Mittlerweile regiert aber auch in Nashville das Geld. Da wimmelt es nur so vor Investoren, die sich ein Stück vom Kuchen abschneiden wollen.
Ergo: Wellness-Zentren statt Saloons und Bars?
Exakt. Da wird momentan vieles plattgemacht, was wirklich schade ist. Dennoch ist dieser nostalgische Vibe noch an jeder Ecke zu spüren. Viele zieht es mittlerweile auch nach Austin, dem vermeintlich neuen Musik-Mekka Amerikas.
Ihr habt euer neues Album im ehrwürdigen RCA Studio A aufnehmen dürfen.
Es war atemberaubend. Allein die Größe des Studios verschlägt einem den Atem. Das Ding ist so groß wie eine Turnhalle, da standen mindestens fünfzig Klaviere in einer Reihe. Da gehen einem so viele Gedanken durch den Kopf, dass man irgendwann nur noch Angst hat, einen davon aufgrund der Fülle irgendwann mal zu vergessen (lacht). Da haben Elvis und Dolly Parton ihre Platten aufgenommen. Das ist schon ziemlich krass.
Und ihr beiden Kölner mittendrin.
Genau. Irgendwie ein bisschen surreal (lacht).
Habt ihr euch als "Greenhorns" manchmal auch ein bisschen unwohl gefühlt?
Nein, zu keiner Zeit. Das Schöne an Nashville ist ja auch, dass da irgendwie jeder Musik macht. Hier in Deutschland trifft man als Musiker ja permanent auf Menschen, die mit der Materie nichts zu tun haben und einen dann wie ein rohes Ei behandeln. So nach dem Motto: Boah, du bist Musiker? Darf ich dich anfassen? In Nashville ist das nichts besonderes.
Die ganze Nashville-Sache kam ja durch den Produzenten Marshall Altmann (William Fitzsimmons) ins Rollen. Mit ihm habt ihr im Vorfeld einen Song via Skype komponiert. Sieht so die Zukunft des modernen Songwritings aus?
Warum nicht? Heutzutage ist doch jeder irgendwie vernetzt. Man sitzt vor seinem Laptop, sieht sein Gegenüber und kann in Echtzeit agieren und reagieren.
Früher gab's ja auch keine Castingshows, die Musikern als Sprungbrett dienten. Ihr habt euch vor zwei Jahren durch euren Sieg bei X Factor praktisch über Nacht ins Rampenlicht katapultiert. Würdet ihr rückblickend alles nochmal genauso machen?
Das ist schwer zu sagen. Natürlich haben wir der Show ganz viel zu verdanken. Keine Ahnung, ob wir heute hier miteinander sprechen würden, wenn wir uns damals nicht bei X Factor angemeldet hätten. Aber es war auch eine schwere Zeit. Im Nachhinein wundert es mich nicht, dass es viele Teilnehmer nach so einer Show nicht langfristig packen. Das ist echt Knochenarbeit.
Kommt im Fernsehen irgendwie nicht so rüber.
Ja, das täuscht. Viele wissen gar nicht, dass sich so ein Format ja über fast ein ganzes Jahr zieht. Wir hatten, bevor wir uns da angemeldet haben, nicht mal einen Fernseher (lacht). Ich kannte die Show auch überhaupt nicht. Erst als wir die erste Runde überstanden hatten, habe ich mich mal hingesetzt und gegoogelt, um einen Einblick zu bekommen, wo wir da überhaupt mitmachen. Jetzt bin ich irgendwie abgeschweift, sorry ...
Wir sprachen über die Länge des Formats.
Genau. Man arbeitet da teilweise zwischen 18 und 20 Stunden am Tag. Pressetermine, Proben, Aufnahmen et cetera, das alles über einen Zeitraum von mehreren Monaten. Ich hatte ja damals auch noch eine 40-Stunden-Stelle als Angestellte. Die musste ich irgendwann aufgeben, weil ich es zeitlich einfach nicht mehr hinbekommen habe. Das war teilweise echt stressig. Ich hatte irgendwann sogar sieben Kilo abgenommen, konnte kaum noch essen und war nur noch müde. Aber wir haben uns durchgekämpft.
Wohl wahr. Und das unter der Regie von Sandra Nasic, die ja eher auf rockigere Sounds steht. Lief da alles rund?
Naja, meine erste Wahl war sie nicht gerade (lacht). Ich hätte lieber mit H.P. Baxxter zusammengearbeitet. Das ist ein richtig feiner Kerl. Aber mit Sandra klappte letztlich auch alles wunderbar. Sie hat uns halt einfach machen lassen. Das war wichtig für uns. Wir hatten nämlich keine Lust, uns irgendwie verbiegen zu lassen. Das wäre mit den anderen Juroren schwieriger geworden (lacht).
Hättet ihr eigentlich auch bei DSDS mitgemacht, wenn es sich ergeben hätte?
Nein, niemals. Uns war schon wichtig, dass unsere Eigenständigkeit immer an erster Stelle steht. Das hätte bei DSDS, glaube ich, nicht geklappt.
Inwieweit verfolgt euch der Castingshow-Schatten heute noch?
Es ist schon nicht so einfach. Nach unserem Sieg damals war natürlich erstmal alles total schön. Das Album war erfolgreich, die Tour war toll und wir lernten unglaublich viele neue Menschen kennen. Irgendwie hatten wir natürlich die Hoffnung, dass es auch so weitergeht, vor allem, als es dann fürs zweite Album nach Nashville ging und wir uns richtig viel Zeit für die Aufnahmen nehmen konnten. Als wir dann aber wieder zu Hause waren, merkten wir schnell, dass es doch nicht ganz so einfach werden würde.
Woran lag's?
Sarah: Es ging dabei gar nicht so sehr um unser eigenes Umfeld, die waren alle total begeistert. Probleme bereitete uns eher die Presse, die man aber nun mal braucht, um auf sich aufmerksam zu machen. Die haben uns unser neues Material teilweise ungehört wieder zurückgeschickt. Da hieß es dann oft: Castingshow? Mit so einer Band wollen wir nichts zu tun haben.
Umso ärgerlicher, da ihr ja musikalisch einen ganz anderen Weg geht als herkömmliche ehemalige Castingshow-Teilnehmer. Was nun?
Wir machen uns jetzt nicht verrückt. Ich habe einfach die Hoffnung, dass der eine oder andere vielleicht doch noch ein Ohr riskiert und dann merkt, dass er es bei uns mit einem Duo zu tun hat, das voll und ganz hinter dem steht, was es macht.
Bist du froh darüber, dass du mit Steffen nicht nur einen Kollegen, sondern auch einen Liebenden an deiner Seite hast?
Ja, absolut. Dass wir auch privat ein Paar sind, hilft uns ungemein. Jeder weiß immer genau, wie sich der andere fühlt. Wir fangen uns immer gegenseitig auf.
Kann derartiger Stress eine Beziehung nicht auch belasten?
Doch, na klar. Aber wir kriegen das immer wieder wunderbar zusammen hin. Ich kann mich noch erinnern, wie anstrengend es manchmal war, als wir kurz vor dem X-Factor-Finale standen. Da hingen wir ja über Wochen 24 Stunden am Tag wie die Kletten zusammen. Da gehen einem dann plötzlich Sachen auf die Nerven, die man sonst gar nicht mitbekommt: Schmatzen, Schnarchen, was weiß ich (lacht). Aber da sind wir durch. Solche Phasen können eine Beziehung auch stärker und inniger werden lassen. Ich hoffe, das bleibt auch so!
Mit Sarah Nücken sprach Kai Butterweck
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Quelle: ntv.de