Wie Gruppentherapie William Fitzsimmons rührt zu Tränen
24.12.2011, 13:40 Uhr
Fitzsimmons erreicht mit seinem Album "The sparrow and the crow" Platz 1 der iTunes Top Folk Albums US-Charts.
(Foto: Screenshot "Beautiful Girl", filmed by Josh Franer)
William Fitzsimmons' Musik ist wie eine Operation am offenen Herzen: Er singt über den Selbstmord seiner Mutter, die Scheidung von seiner Frau, über seine Essstörung und darüber, dass er aufgehört hat, seinen Vater zu lieben. Selten hat man einen Sänger gehört und erlebt, dessen bewegende Lieder gleichzeitig so beruhigend wirken.
Es ist das letzte Konzert seiner mehrwöchigen Europatour – ein zusätzlicher Auftritt, weil der Andrang so groß ist. William Fitzsimmons spielt im Saalbau "Heimathafen Neukölln", einem Theater, das für bodenständige Unterhaltung im Berliner Problembezirk steht. Früher war diese Ecke Neuköllns als Vergnügungsviertel bekannt. Heute ist davon nicht mehr viel zu spüren. Stattdessen bestimmen Billig-Klamotten-Läden, Spielkasinos, Dönerbuden und pöbelnde Jugendliche das Straßenbild.
Die Neugier auf den US-amerikanischen Singer-Songwriter ist groß. Denn seine Lieder handeln fast immer von Trennung und Trauer, von Verlust und Depression. Schafft er es, live vor Hunderten Menschen, diese Gefühle zu transportieren? Wie wird das Publikum auf die geballte Melancholie reagieren?
"Ich bin kein Terrorist"
Kaum betritt Fitzsimmons die Bühne, verstummt das Gemurmel und Geklapper im Saal. Es ist mucksmäuschen still, niemand traut sich zu atmen. Da steht ein großer Mann in hellbrauner Hose und hellblauem Hemd, Glatze, runder Brille und mit einem langen Bart. In Interviews berichtet Fitzsimmons immer wieder davon, dass er aufgrund seines Aussehens manchmal viel Zeit in der Sicherheitskontrolle auf Flughäfen verbringt. Doch er wird nicht müde zu betonen, dass er kein Terrorist sei. Er sei eben einfach nur zu faul, sich zu rasieren.

Fitzsimmons und die Slow Runners.
Als Fitzsimmons die erste Saite seiner Gitarre anspielt und mit seiner samtweichen Stimme zu singen beginnt, ahnt man: Das wird eine Operation am offenen Herzen. Mit geschlossenen Augen flüstert er Zeilen wie "You broke my heart", "Everything has changed" und "I don't feel it anymore" ins Mikrofon. Er legt damit seine Lebensgeschichte freimütig offen.
Musizieren als Trauerarbeit
Der auf dem Land in Illinois lebende Musiker singt augen- und ohrenscheinlich nichts, was er nicht auch fühlt. Er geht ehrlich mit seinen Emotionen um, ist authentisch. Denn nur so kann man einiges im Leben durchstehen und daran wachsen – so wie William Fitzsimmons selbst. In seinen Liedern verarbeitet er die Trennung seiner Eltern, den Selbstmord seiner Mutter ("Goodnight", 2006) und die Scheidung von seiner Frau ("Sparrow and the crow", 2008). Seine Musik ist seine ganz persönliche Trauerarbeit, seine Konzerte sind wie eine Gruppentherapie.
Für Fitzsimmons nichts Neues: Zwar bestimmt Musik seit jeher sein Leben. Als jüngster Sohn blinder Eltern ist das Haus in Pittsburgh, in dem er aufwächst, voll Instrumente und Klänge, die das ersetzen, was die Familie visuell nicht kommunizieren kann. Schon als Grundschüler lernt er Klavier und Posaune spielen. Doch führt ihn sein beruflicher Weg zunächst nicht zur Musik. Er studiert Psychologie, wird Psychotherapeut und arbeitet viele Jahre in einer Psychiatrie.
Stimmliche Umarmung
Wahrscheinlich sind es neben den familiären Einschnitten auch die beruflichen Erfahrungen, die Fitzsimmons immer wieder mit seiner eigenen Gefühlswelt konfrontieren, ihn dann doch tiefer in die Musik und schließlich auf die Bühne führen. Das Publikum dankt es ihm. Seine Kompositionen werden hauptsächlich von der Akustikgitarre getragen. Begleitet wird er zudem von seiner Band, den Slow Runners, die Fitzsimmons' unaufdringlichen Gesang abwechselnd am Keyboard, Schlagzeug, Akkordeon, Banjo oder an der Pedal-Steel-Gitarre akustisch und zum Teil elektronisch untermalen, was erstaunlich gut zusammengeht.
Im Mittelpunkt des Abends steht sein aktuelles Album "Gold in the shadow". Seine neuen Lieder handeln von der Selbstfindung nach einer Trennung, vom Kraftschöpfen und Nach-vorne-schauen. In Fitzsimmons' Leben und Texten klingen wieder fröhlichere Töne an. Seine Musik bleibt jedoch ruhig und sensibel. Komposition und Stimme nehmen den Zuhörer in den Arm, man fühlt sich geborgen und friedlich. Denn obwohl Fitzsimmons' Lieder so tieftraurig klingen, sagen sie auch: Das Leben besteht aus mehr als nur einer Empfindung. Das zeigt sich spätestens dann, wenn der Musiker während einer Ballade ins Stocken, Lachen und Scherzen gerät, als auf dem Parkettfußboden im Sekundentakt Bierflaschen umkippen.
Alles wird gut
Diese spontane Reaktion des Musikers bleibt nicht die einzige Überraschung des Abends. Seine drei Bandmitglieder kleben sich während des Konzerts hinter Fitzsimmons' Rücken lange Bärte an. Mittendrin rocken alle Musiker "Sweet Home Alabama" – ein echter Bruch, um auch mal wildere Töne anzuschlagen. Während zwei Songs treten Fitzsimmons und die Slow Runners gemeinsam vors Mikrofon und singen mehrstimmig. Musik, die eben noch sehr gut war, wird plötzlich brillant.
Die Zuhörer sind begeistert: So still und bedacht die Konzertbesucher während einer Performance sind – kaum ist ein Lied zu Ende, bricht tosender Applaus und Jubel aus. An diesem Abend wünscht man sich, von William Fitzsimmons in den Schlaf gesungen zu werden, denn seine Musik sagt: Am Ende wird alles gut.
Quelle: ntv.de