Comeback mit neuer Ordnung New Order machen "Music Complete"
25.09.2015, 22:03 Uhr
Vier Männer, eine Frau - das sind New Order heute.
(Foto: Nick Wilson)
New Order sind zurück - mit veränderter Besetzung und dem Album "Music Complete". Im n-tv.de Interview sprechen die Band-Urgesteine Bernard Sumner und Stephen Morris aber auch über Take That, Ian Curtis, "Tutti Frutti" und ein Fiasko mit "Blue Monday".
New Order sind zurück - mit dem Studioalbum "Music Complete", das im Vergleich zu den beiden Vorgängern wieder deutlich elektronischer ausgefallen ist. Es ist das erste Album bei ihrer neuen Label-Heimat "Mute" und auch das erste ohne ihren legendären Bassisten Peter Hook. Dafür ist Keyboarderin Gillian Gilbert wieder mit von der Partie.

Die aktuelle Besetzung: Tom Chapman, Gillian Gilbert, Bernard Sumner, Stephen Morris und Phil Cunningham (v.l.n.r.).
(Foto: Nick Wilson)
New Order entstanden 1980 aus der Band Joy Division ("Love Will Tear Us Apart"), als Sänger Ian Curtis sich das Leben nahm. Zu ihren bekanntesten Songs gehören "Blue Monday" und "Bizarre Love Triangle". Auch wenn die Bandmitglieder mittlerweile Ende 50 sind: Wie ein Alterswerk klingt das zehnte Album "Music Complete" nicht. Langsame Songs sucht man darauf vergeblich. Brandon Flowers (The Killers) und Elly Jackson (La Roux) sind als Gäste mit auf der Platte.
n-tv.de besuchte New Order vorab in ihrem Studio in Macclesfield bei Manchester. Umgeben von grünen Wiesen (draußen) und einem Sammelsurium aus Instrumenten und "Dr. Who"-Memorabilia (drinnen) erzählen Sänger/Gitarrist Bernard Sumner (59) und Drummer Stephen Morris (57) von gebrochenen Beinen, Iggy Pop, Take That und "Tutti Frutti".
n-tv.de: Meine Herren, New Orders größter Hit ist "Blue Monday". Welche Erinnerungen verbinden Sie damit?
Bernard Sumner: Die Schlimmsten! Ich habe mir wegen des Songs in Deutschland mal fast ein Bein gebrochen! Ist noch gar nicht lange her. Wir spielten in einem Club in Berlin, danach war noch eine Housemusic-Party in den Räumen. Ich war ein bisschen betrunken und stand auf der Tanzfläche. Und dann legte der DJ "Blue Monday" auf, und plötzlich stürmten alle in meine Richtung. Ich dachte nur: Ich kann doch jetzt nicht zu meinem eigenen verdammten Song tanzen! Ich wollte verschwinden. Dummerweise hatte jemand einen niedrigen Tisch mitten auf die Tanzfläche gestellt, in den ich dann voll reingetreten bin. Und das mitten auf einer Tour!
Stephen Morris: Wir werden trotzdem nie müde, "Blue Monday" live zu spielen. Den Song lieben wir immer noch!
Darauf ausruhen wollen Sie sich aber nicht: Heute Abend stellen Sie auf dem Reeperbahn Festival Ihr zehntes Studioalbum "Music Complete" vor.
Morris: Wir sind so viel getourt in den letzten Jahren. Wir fühlten uns schon wie ein lebendiges Museum. Wir wollen aber kein Museum sein! Es ist also höchste Zeit, neues Blut durch die Venen fließen zu lassen. Es ist auch wichtig, um als New Order glaubwürdig zu bleiben.
Es ist die erste Platte ohne Ihren 2007 ausgeschiedenen Bassisten Peter Hook. Was antworten Sie Leuten, die sagen, ohne seine Bassläufe klingen New Order nicht wie New Order?
Sumner: Zu uns sagt das ja keiner. Das behauptet vermutlich eh nur Peter Hook selbst! Man schreibt Songs und keine Basslinien. Das wäre ja in etwa so, als wären die Rolling Stones nichts ohne Bill Wyman! Und letztendlich klingt unser neues Album auch deshalb so happy und uptempo, weil es keine Hahnenkämpfe mehr innerhalb der Band gibt und der Typ, der alle runtergezogen hat, uns verlassen hat. New Order sind heute wieder eine Einheit.
Morris: Das Leben ist auch zu kurz, um sich immer nur zu ärgern. Und Peter scheint glücklich mit dem zu sein, was er heute tut. Also eine Win-win-Situation.
Und dass er noch mal Teil von New Order wird, ist ausgeschlossen?
Sumner: Ich kann mir nicht mehr vorstellen, noch mal mit ihm zu arbeiten. Genau genommen hatten wir das ja schon mal versucht, nachdem wir eine Pause von fünf Jahren eingelegt hatten. Erst war alles wieder gut, aber dann wurde er wieder sauer. Ein zweites Mal wird es nicht geben. Er hat ja nicht nur die Band verlassen, er sagte auch noch, dass New Order sich ganz aufgelöst hätten. Ziemlich dreist. Wenn eine Band sich auflöst, braucht man die Zustimmung aller Bandmitglieder.
Was genau war das Problem?
Sumner: Teil des Problems ist, dass Peter und ich so wahnsinnig unterschiedliche Menschen sind. Er hielt es nicht mehr in New Order aus, er mochte mich nicht. Er ist sehr konkurrenzdenkend. So bin ich gar nicht. Ich denke auch nicht, dass das gut für eine Band ist. Man sollte eher wie ein Fußballteam agieren: Das Ziel sollte der Sieg sein, nicht, ob man selbst das Tor geschossen hat. Aber auf gewisse Weise hat er uns trotzdem angespornt zu diesem Album.
Wie das?
Morris: Kurz nachdem er gegangen war, hatten wir erst mal das Gefühl, eine Pause von New Order zu benötigen. Dann fragten wir uns: Was machen wir als nächstes? Zur gleichen Zeit erfuhren wir durch die Presse, dass er das Joy-Division-Album "Unknown Pleasures" in Gänze als Konzert aufführen will. Und da haben wir uns gesagt: "Wenn er das tut, warum halten wir uns zurück?" Damit war die Entscheidung gefallen.
Was hat es mit dem neuen Song "Tutti Frutti" auf sich?
Morris: (lacht) Wir wissen mittlerweile, dass es eine TV-Show in Deutschland mit dem Titel gab. Eine Oben-Ohne-Show. Aber so was hätten wir uns natürlich nie angesehen.
Sumner: Der Song heißt auch deshalb so, weil mir plötzlich die Idee kam, einen waschechten Italiener einige schmutzige Textzeilen über Sex darin sprechen zu lassen. Also hat unser Co-Produzent Tom Rowlands von den Chemical Brothers den Typen aus seinem Lieblings-Sandwich-Shops gefragt, ob er mal kurz mit ins Studio kommt.
Was brauchen Sie, um Texte zu schreiben, Mr. Sumner?
Sumner: Es ist hart für mich, Lieder zu schreiben, wenn es ein wunderschöner Tag ist und die Sonne scheint. Denn ich muss mich wegträumen, wenn ich Texte schreibe. Und das fühlt sich am helllichten Tag falsch an. Am liebsten mag ich es, wenn alle schon zu Bett sind und absolute Stille herrscht. Deshalb brauche ich die Nacht und den Winter. Die Musik machen wir dann gern auch tagsüber. Das Gute hier im Norden von England ist ja, dass es schon vor 16 Uhr dunkel wird in der kalten Jahreszeit. Perfekt für mich! Die neue Platte entstand in den letzten beiden Wintern.

Sänger Bernard Sumner war ebenso Gründungsmitglied von New Order wie zuvor schon von Joy Division.
(Foto: imago stock&people)
Morris: In den Anfängen von New Order haben wir Bernard noch furchtbare Worte in den Mund gelegt. Wir hatten die Einstellung: Es sind ja nur Worte, lass uns irgendwas für ihn schreiben, was gut zu der Musik klingt.
Sumner: Ich hätte mir ja niemals träumen lassen, dass ich mal Sänger werde. Selbst als Kind oder Teenager hätte ich das im Leben nicht geglaubt. Es war auch nie mein Traum. Ich wollte immer nur Gitarre spielen. Als ich nach dem Tod von Ian (Curtis, Leadsänger von Joy Division, Anm. d. Red.) die Position übernehmen sollte, konfrontierte mich das auch mit der Aufgabe, Texte zu schreiben. Aber ich hatte nicht den Funken einer Ahnung davon! Ich konnte keinen Bezug dazu aufbauen. Mich auf die Art auszudrücken, bedeutete mir noch nichts. Wir reihten also nur irgendwelche Wörter aneinander. Aber heute sauge ich den Vibe der Musik auf, die Atmosphäre. Ich synchronisiere die Musik mit meinen Worten. Und hoffe doch inständig, dass unsere Texte heute besser sind.
Sie haben diesmal sogar Poesie mit auf der Platte in Form einer Spoken-Word-Performance von Iggy Pop. Überraschend eigentlich!
Sumner: Dazu hat mich eine Dokumentation über Büffel und reichlich Wein inspiriert. Aber ich wusste sofort, dass "Stray Dog" von Iggy gelesen werden muss. Sein Album "The Idiot" kam zu der Zeit raus, als wir damals mit Joy Division durchstarteten. Ich erinnere mich noch genau, wie Ian Curtis mir die Platte vorspielte, als ich ihn das erste Mal in seinem Haus in Macclesfield besuchte.
Jenes Haus soll nun zum Museum werden!

Englishmen (and a woman) in New York: Die Band bei der "amfAR Inspiration Gala" am 10. Juni 2014.
(Foto: imago/Future Image)
Morris: Ja, und wir können nichts dagegen tun. Es ist geschmacklos an dem Ort, wo jemand sich das Leben genommen hat, ein Museum zu errichten. Das ist schon fast Suizid-Verherrlichung. Das merkt man auch an solchen Sachen, dass sein Gedenkstein vor gar nicht langer Zeit entwendet wurde.
Sumner: Letztendlich geht es auch um das Wohlergehen von seiner Tochter und seiner Frau, die immer noch in Macclesfield leben. Wobei die meisten Fans einfach nur kommen, weil sie eine starke Verbindung zu ihm und den Songs von Joy Division haben. Sie hoffen, sich hier körperlich mit Ian verbunden fühlen zu können.
Wie allgegenwärtig ist Ian Curtis in Ihrem Leben?
Sumner: Ich denke nicht mehr jeden Tag an ihn. Aber es ist nach wie vor eine Tragödie. Und immer wieder fragen uns die Menschen: "Haben Sie es kommen sehen?"
Morris: Und die Antwort ist: "Nein!" Wenn wir 1980 die Personen von heute gewesen wären, dann hätten wir vielleicht etwas gemerkt. Aber es gab vorab keine Hinweise für einen Freitod.
Sumner: Ian war keine depressive Person, auch wenn seine Texte dafür Anzeichen gegeben haben. Das fing erst bei ihm an, als er an Epilepsie erkrankte. Er musste deshalb starke Medikamente nehmen. In den späten Siebzigern waren solche Präparate noch nicht gut eingestellt. Ian ging schnell an die Decke, aber kam auch rasch wieder runter und war bis zuletzt ein sehr freundlicher, bedachter Mensch.
Welche Band war wohl wichtiger für Manchester - New Order oder Take That?
Morris: Take That kommen doch nicht mal aus Manchester! Robbie Williams ist doch aus Stoke-On-Trent. Sie sind somit disqualifiziert. (lacht)
Sumner: Meine Tochter hat mir neulich einen Live-Mittschnitt von Take That gezeigt und meinte: "Solche Jacken mit Lichtern dran solltest du auch auf der Bühne tragen. Deine Klamotten sind echt langweilig!" Ich habe ihr geantwortet, dass ich so was erst mit dem Rest der Band besprechen müsste.
Und: Haben Sie das getan?
Sumner: Natürlich nicht! (lacht)
Mr. Morris, Ihre Tochter Tilly ist in der Band Hot Vestry. Wie ist das für Sie?
Morris: Ich bin auf jeden Fall immer wieder erstaunt, wie komplett anders die Herangehensweise von jungen Bands heutzutage ist. Die haben schon die Merchandising-T-Shirts fertig designt und gedruckt, bevor sie überhaupt wissen, wo sie spielen werden.
Sumner: Meine Kinder haben sich für völlig andere Berufe entschieden: Meine Tochter arbeitet im Stall mit Pferden und mein einer Sohn in der Computer-Spiel-Industrie. Und der andere Sohn ist so clever, dass er an der Universität drei Jahre "Künstliche Intelligenz" und ein Jahr "Neurowissenschaften" studierte. Er will Wissenschaftler werden. Wie gut, dass er so gar nicht nach seinem Vater kommt.
Mit New Order sprach Katja Schwemmers
Quelle: ntv.de