Haben Sie auch Festival-"FOMO"? Wie deutsche Bands Texas erobern
08.04.2015, 10:33 Uhr
Tove Lo rockt in Austin die Bühne.
(Foto: imago/Future Image)
Mit rund 2200 Bands ist das South By Southwest in Austin das größte Showcase-Festival der Welt. Anfangs überwältigend, offenbart das Festival schnell seinen besonderen Charme. n-tv.de sah sich um und entdeckte so manche deutsche Band.
Schon mal den Begriff "FOMO" gehört? Er stammt aus dem Englischen, steht für "Fear of missing out" und beschreibt laut Wikipedia-Definition die Angst, "eine soziale Interaktion, eine ungewöhnliche Erfahrung oder ein anderes befriedigendes Ereignis zu verpassen". Wer Ende März das Musik-Festival South By Southwest (kurz: SXSW) in der texanischen Stadt Austin besucht, bekommt schnurstracks einen akuten FOMO-Schub. Die reinen Fakten des Festivals sind schier überwältigend: 2200 Bands stehen innerhalb von sechs Tagen auf der Bühne. Genau wie beim Hamburger Reeperbahn Festival, das dem SXSW übrigens nachempfunden ist, spielen sie nicht etwa unter freiem Himmel, sondern in Clubs, Bars, Hotels, Theatern und sogar Restaurants. 107 Venues kommen so zusammen. Damit ist das SXSW das größte Showcase Festival der Welt. FOMO!
Du kommst hier net rein
Man ist natürlich nicht alleine mit dieser ständigen Angst, etwas zu verpassen. Aufgrund der angeschlossenen Konferenz sind auch in diesem Jahr rund 80.000 Fachbesucher aus der Musik-, Film- und Kreativbranche vor Ort. Und so platzen die Clubs schon mal aus allen Nähten. Am Auftaktabend des Festivals zum Beispiel, als die US-amerikanische Band Future Islands in der Clive Bar aufspielt. Während Sänger Samuel Herring zu dem eingängigen Synthpop wahrscheinlich gewohnt lässig mit der Hüfte wackelt - wir wissen es nicht, denn wir stehen draußen - rückt Austins Polizei an. "So, das war's jetzt heute hier mit anstellen", verkündet der Beamte mit einer Miene, die keinen Zweifel zulässt. Die Kapazität der Bar sei weit überschritten, deswegen werde die Schlange nun aufgelöst. Na herzlichen Glückwunsch. Ob das nun fünf Abende so weitergeht?
Zum Glück nicht. Was sich am ersten Abend vor der Clive Bar aufgestaut hat, scheint sich in den kommenden Tagen besser zu verteilen und so langsam wird der Charme, der das SXSW ausmacht, offensichtlich: Die Sixth Street, Austins Haupt-Amüsiermeile, ist komplett gesperrt. Bei Sonnenschein und T-Shirt-Wetter flaniert man durch die Innenstadt. An jeder Straßenecke steht eine Band und musiziert, aus jeder noch so kleinen Spelunke wummert ein Beat und jede noch so winzige Bar hat im Hinterhof eine Bühne - oder zumindest ein paar Holzbretter - aufgebaut. Der Großteil der Künstler hier sind Newcomer, die vom großen Durchbruch noch träumen, aber auch einige etablierte Bands sind vertreten. Neben TV On The Radio, Spoon und Libertines-Sänger Carl Barât treten zum Beispiel auch Incubus auf: Vier Jahre nach der letzten Plattenveröffentlichung will Sänger Brandon Boyd offenbar einiges beweisen. Wild trommelt er zwischen seinen Gesangseinlagen auf die Percussions ein. Dabei warten die weiblichen Besucher nur auf den Moment, in dem er sich seines T-Shirts entledigt.
"Keep Austin weird"
Sei’s drum – viel spannender ist es, Neues zu entdecken. Foo-Fighters-Gitarrist Nate Mendel stellt sein von ruhigeren Tönen geprägtes Soloprojekt Lieutenant vor, The Delta Riggs aus Australien machen ziemlich coolen, psychedelischen Rock und Songwriterin Courtney Barnett hat zum SXSW ihre zweiköpfige Live-Band mitgebracht und klingt plötzlich richtig schön grungig.
Auf eines der - mit 600 Dollar ziemlich teuren - Tickets ist man als Besucher übrigens keineswegs angewiesen: Überall gibt es inoffizielle Sideshows, zu denen der Eintritt kostenlos ist. Am Wochenende sind die Straßen deshalb noch voller mit Menschen. Auch ihretwegen macht das SXSW so viel Spaß. Die Stimmung ist entspannt, die Leute sind freundlich. Überhaupt: Für texanische Verhältnisse ist Austin ungewöhnlich alternativ und liberal und der inoffizielle Stadt-Slogan "Keep Austin weird" wird ernst genommen: Vor allem im Stadtteil South Congress reihen sich verschrobene Antiquitätenläden an originelle Boutiquen, Foodtrucks verschiedenster Couleur prägen die Essenskultur.
Kein Wunder, dass es in Austin auch den aus Deutschland angereisten Musikern gefällt. Insgesamt 22 deutsche Bands und Künstler haben den langen und teuren Weg nach Austin – zum Teil finanziell gefördert von der Initiative Musik – dieses Jahr auf sich genommen, darunter DJ Fritz Kalkbrenner, Milky Chance, Ωracles und das Metal-Duo Mantar. "Wir empfinden es als großes Geschenk, in Amerika auf Tour sein zu können", sagt Sänger Hanno Klänhardt. Das South By Southwest ist für Mantar Teil einer dreiwöchigen Tour einmal quer durch das Land. Klänhardt ist erkältet und hat eine gebrochene Rippe, aber an diesem Abend ist das egal.
Diverse Booker und Labels haben sich in dem dunklen Rock-Schuppen Dirty Dog Bar eingefunden, um die Show der zwei Bremer Freunde zu sehen. David Fricke, langjähriger Redakteur des amerikanischen Rolling Stone, ist auch da und wippt begeistert mit. Mantar poltern und knüppeln durch ihre Songs, als gäbe es kein Morgen. Am Ende rennt Klänhardt mit der Bremer Flagge auf die Sixth Street. "Das war richtig super", ruft er völlig euphorisiert und dann ist er auch schon wieder verschwunden. In jenem Moment ist auch dieses Ding namens FOMO vergessen. Ganz egal, was wir womöglich alles verpasst haben - in den letzten sechs Tagen ist so viel passiert, dass wir ohne Zweifel sagen können: das Beste haben wir gesehen.
Quelle: ntv.de