Schöner sterben Anna Karenina reloaded
07.12.2012, 14:55 Uhr
Warum nur verfällt sie dem Jüngling so sehr?
(Foto: dpa)
Haben Sie sich das damals so vorgestellt, als Sie Anna Karenina gelesen haben? So ein hauchdünnes Ding, das beim ersten russischen Kälteeinbruch vom eisigen Wind umgepustet wird? Egal, es ist ja eh fast alles anders in der Verfilmung des Klassikers von Leo Tolstoi.
Die einen finden sie zickig. Die anderen ätherisch. Die einen sagen, das hat sie klasse gemacht, die anderen sagen, Mensch, gibt's denn keine andere Schauspielerin, die sich der Rolle hätte annehmen können? Keira Knightley guckt einfach irre viel, den ganzen Film hindurch, mit ihren großen braunen Bambi-Augen, meist mit etwas Schmerzlichem im Gesicht. Tja, Geschmäcker sind verschieden - und so hat Joe Wright eine völlig ne ue Anna Karenina geschaffen in einer völlig neuen Art, so ein Stück zu verfilmen. Am besten, man sieht es sich an, jetzt in der Weihnachtszeit, denn allein der Mut, diesen Klassiker der Weltliteratur neu zu interpretieren, ist ja bewundernswert. Ein Trick des Regisseurs: Die ausgefallene Art seiner Verfilmung täuscht über so manch' holprige Stelle hinweg, die Kostüme lassen eine an manchen Stellen eher blutleere Keira Knightley erstrahlen, und das Bühnenbild ist so pompös und einzigartig, dass der Dialog dann eben auch mal zur Nebensache wird. Die Männer in dem Film sind übrigens durchweg nachvollziehbarer als die Frauen, und: Mutterliebe ist etwas, das sich nicht jede Frau leisten kann.
Die Macht der Liebe
Joe Wright hat mit "Anna Karenina" etwas gewagt - und die Geschichte um Liebe, Moral, Ehebruch und die zaristische Gesellschaft größtenteils auf eine Bühne verlegt, auf der die Kulissen hin- und hergeschoben werden und die Menschen als Marionetten agieren. Ganz so, wie es die Liebe manchmal mit einem macht.
Wright lässt sein 130-minütiges Epos als Musical beginnen: In einer riesigen Schreibstube sitzen Angestellte in Reih und Glied an kleinen Tischen und stempeln im Takt und mit übertriebenen Gesten Briefe ab - hindurch tänzelt Fürst Stepan Oblonskij (Matthew Macfadyen), Anna Kareninas Bruder und Figur der einen von drei Ehen, in denen es in Leo Tolstois Klassiker geht.
Oblonskij ist ein notorischer Schürzenjäger, was seine Frau Dolly (Kelly Macdonald) an den Rand der Verzweiflung treibt. Sie will sich scheiden lassen, doch da wird nach Schwägerin Anna Karenina (Keira Knightley) gerufen, die Dolly beschwichtigen soll. Und tatsächlich hat sie einen guten Rat für die betrogene Ehefrau. "Lass dich von der Liebe leiten", lautet der - doch ihr eigener Leitfaden wird ihr den Weg ins Vererben weisen.
Sie hat den ehrenhaften, aber sehr steifen Alexej Karenin (großartig und nur auf den dritten Blick als Jude Law zu identifizieren) geheiratet, doch Liebe war da nicht im Spiel. Während ihres Moskau-Besuchs trifft sie auf den feschen Graf Alexej Wronskij (Aaron Taylor-Johnson), auf den eigentlich Dollys sehr junge Schwester Kitty ein Auge geworfen hat. Wronskij jedoch hat keine Augen für Kitty. Sie wird allerdings, nachdem sie über die Schmach hinweggekommen ist, dass eine Ältere ihr den Mann weggeschnappt hat, später den ehrenvollen und gutherzigen Großgrundbesitzer Levin heiraten - und die einzige glückliche und erfüllte Ehe der Geschichte führen.
Fauxpas mit Folgen
Es ist auch nichts zu machen gegen diese Magie: Zwischen Anna und Alexej reichen nur kurze Blicke - und Liebe und Leidenschaft sind entfacht. Sie beginnen eine Affäre, die die russische Gesellschaft in Aufruhr bringt und das tragische Schicksal nicht nur des Liebespaares, sondern so einiger Menschen um sie herum besiegelt.
Immer wieder bedient sich Wright der Theaterkulisse, mal für den herrschaftlichen Ball, mal für ein Pferderennen, bei denen Mensch und Pferd tatsächlich auf einer Bühne immer wieder an dem Publikum vorbei gleiten, wie in einem Kasperletheater. Ein anderes Mal erstarren die Menschen um das Liebespaar, Blicke und Licht richten sich nur auf diese beiden Personen. Fließend sind die Übergänge zwischen Bühneninszenierung und filmischer Realität. Das kann man als Metapher auf die russische Gesellschaft im 19. Jahrhundert verstehen, hat die Geschichte aber gar nicht nötig - wenn man das Buch kennt. Da aber davon auszugehen ist, dass viele Leute heute nicht unbedingt mehr Tolstoi lesen, können Metaphern an der einen oder anderen Stelle ja nicht schaden ...
Das Leben in der zaristischen Gesellschaft mag einer großen Inszenierung gleichgekommen sein, in der die Menschen nur von Konventionen bestimmte Rollen spielten - ob Wright der großartigen Literaturvorlage damit allerdings gerecht wird? Zu wenig verlässt er sich auf den Text des russischen Dichters und des Drehbuchautors Tom Stoppard. Stattdessen schwelgt er in opulenten, berauschenden, symbolhaften Bildern, die "Anna Karenina" dann eben doch "nur" zu einem Kostümfilm machen - das allerdings Oscar-reif.
Und dann noch mal zurück zu Keira Knightley, mit der Wright nach "Stolz & Vorurteil" und "Abbitte" nun schon zum dritten Mal drehte. Ihre zarte Gestalt, und ihr blasses Gesicht verleihen ihrer Anna eine Zerbrechlichkeit, die der Figur vielleicht angemessen ist, doch mit stets tränenerfüllten Augen kann sie die Figur nicht ganz auf den zarten, nackten Schultern tragen. Und auch die große Leidenschaft nimmt man ihr nicht ab, genauso wenig wie die Mutterrolle. Sie verkörpert dagegen schön den Egoismus, die Zickigkeit und kindische Rebellion der neurotischen Anna - die Eleganz, den Charme und Mut sowie das Düstere dieser Person vermag sie nicht unbedingt zu vermitteln. Warum sie dem Hansdampf Wronskij mit den Pausbäckchen derart verfällt, erschließt sich dem Betrachter nicht wirklich. Wenn Jude Law den Wronskij gegeben hätte - es wäre nachvollziehbarer einem Mann wie Law zu verfallen und für ihn sein ganzes Leben auf's Spiel zu setzen. Er hat das Düstere, das Durchtriebene, das Schöne und das Coole, das eine Frau solche Risiken eingehen lässt. Schön ist dieser Film dennoch: Genau das Richtige in der Weihnachtszeit.
Quelle: ntv.de, soe/dpa