Kino

Komponist, Kirchenmann - Spion? Cecilia Bartoli hat eine Mission

Für das umfangreiche Booklet verwandelt sich Bartoli in Abbé Steffani.

Für das umfangreiche Booklet verwandelt sich Bartoli in Abbé Steffani.

Er war Kirchenmann, Kuppler, möglicherweise Spion und in einen Mord verwickelt: Die Lebensgeschichte von Agostino Steffani gleicht einem Krimi. Das Interesse von Starsängerin Bartoli aber hat er aus einem anderen Grund geweckt. Er ist ein lange gesuchter "missing link".

Sie stieg wie Anita Ekberg leicht bekleidet in den Trevi-Brunnen und ließ sich als androgynes Wesen im marmornen Statuenkörper ablichten. Jetzt schlüpft sie für ihr neues Projekt in die Rolle eines Kirchenmannes – mit Glatze, edelsteinbesetztem Kreuz und Siegelring am Finger schaut sie vom Cover ihrer neuen CD: Den großen Auftritt scheut die Mezzosopranistin Cecilia Bartoli wahrlich nicht.

Provoziert gerne ein wenig: Star-Mezzo Bartoli.

Provoziert gerne ein wenig: Star-Mezzo Bartoli.

Keine Frage, sie will Aufmerksamkeit erregen. Die quirlige Römerin hat sich über die Jahre einen Ruf als Anwältin unbekannter Meister und vergessener Klänge erarbeitet. So hat sie selten gesungene Arien von Vivaldi wiederentdeckt, Stücke aus Opern, die im 18. Jahrhundert von der Kirche verboten waren, zu Gehör gebracht, die Sangeskunst von Maria Malibran, der ersten Operndiva der Musikgeschichte, nachempfunden und mit "Sacrificium" an Virtuosentum und Leid der für die Musik zu Kastraten verstümmelten Knaben und Männer erinnert.

Auch dieses Mal hat sie eine "Mission", wie der Titel ihrer neuen CD unmissverständlich klarstellt. Während sie Musikarchive nach Raritäten durchforstete, stieß sie auf echte Meisterwerke: Arien von Agostino Steffani (1654-1728). Für Bartoli ist er nicht nur der "missing link" des Frühbarocks, der Claudio Monteverdi mit Antonio Vivaldi verbindet, sondern vor allem "ein vergessenes Genie", von dessen Kunstfertigkeit sich sogar der große Georg Friedrich Händel etwas abgeschaut hat.

Mitwisser eines Mörders?

Aber Steffani war weit mehr als nur Komponist. Als Kirchenmann versuchte er, die norddeutschen Protestanten wieder in den Schoß der katholischen Kirche zurückzuholen und als vielgereister Diplomat kümmerte er sich – vor allem an deutschen Höfen – um gewinnbringende Allianzen der Mächtigsten, um Frieden in Zeiten des Absolutismus und war dafür sogar als Kuppler in Adelskreisen aktiv.

Soweit die bekannten und belegbaren Koordinaten seiner Laufbahn. Sein Leben birgt aber auch einige Geheimnisse. So darf gemutmaßt werden, dass er nicht nur als Diplomat, sondern auch als Spion unterwegs war. Zudem ist nicht auszuschließen, dass er – immer gut informiert und über ein weitreichendes Beziehungsgeflecht verfügend – mit Details über die Königsmarck-Affäre vertraut war, dem größten Adels-Skandal des 17. Jahrhunderts, bei dem der Geliebte von Kurprinzessin Sophie Dorothea (Ehefrau des späteren britischen Königs Georg I.) kurz vor ihrer gemeinsamen Flucht spurlos verschwand. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde Graf Königsmarck umgebracht.

Bartoli motivierte ihre Freundin Leon dazu, einen Krimi über Steffani zu schreiben.

Bartoli motivierte ihre Freundin Leon dazu, einen Krimi über Steffani zu schreiben.

Damit bietet Steffanis Lebensgeschichte alles, was einen guten Krimi ausmacht. Das fand auch Bartoli und machte aus ihrem persönlichen Auftrag kurzerhand einen Fall für Zwei, indem sie ihre Freundin, die US-amerikanische Krimi-Autorin und Barockmusik-Liebhaberin Donna Leon, die gerade ihren 70. Geburtstag gefeiert hat, mit ins Boot holte.

Leon verlegt die Geschichte in ihrem fast zeitgleich zur Bartoli-CD erschienenen Roman "Himmlische Juwelen" in die Gegenwart und setzt die Musikwissenschaftlerin Caterina Pellegrini auf Steffani an. Pellegrini wird von zwei zerstrittenen Erbparteien engagiert, um in zwei Truhen, randvoll mit alten Dokumenten, nach einem Testament Steffanis zu suchen. Immer tiefer dringt sie in das rätselhafte Universum des Komponisten vor und kann am Ende einen überraschenden Nachlass präsentieren.

Barocke Schmuckstücke

Diesen eher müden Versuch von Leon, die ausgetretenen Commissario-Brunetti-Pfade zu verlassen, übertrifft die CD mühelos. Mit der Wiederentdeckung der Musik Steffanis hat Bartoli Barock-Fans wahre Schmuckstücke geschenkt, fast alle Arien auf der CD sind Ersteinspielungen.

Bartolis Gesang ist präzise, wie man es nicht anders von ihr gewohnt ist, sie juchzt, säuselt, schmachtet, meistert halsbrecherische Koloraturen mit Bravour. Auch vor grenzwertigen Klängen hat sie dabei keine Angst. Und auch, wenn man über Bartolis Manierismen streiten kann – ihre Leidenschaft reißt einfach mit.

Einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Erfolg der Aufnahme leisten das Orchester "I Barocchisti" unter Diego Fasolis – das der Bartoli einen üppigen barocken Klangteppich ausbreitete und sich an den richtigen Stellen zurücknimmt –, der Schweizer Rundfunkchor und besonders der Countertenor Philippe Jaroussky. Seine Duette mit Bartoli gehören ohne Zweifel zu den schönsten Momenten der gesamten CD.

Da bleibt am Ende eigentlich nur eins zu sagen: Mission erfüllt.

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Quelle: ntv.de

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