Zurück in die Zukunft – Teil IV Nouvelle Vague machen's französisch
12.11.2010, 16:47 Uhr
Singt auf "Couleurs sur Paris" einen Song von Mano Negra: Olivia Ruiz.
(Foto: Yves Bottalico)
Nouvelle Vague, New Wave, Bossa Nova - alle drei Begriffe bedeuten zu Deutsch das Gleiche: Neue Welle. Und alle drei stehen für Kunst in Form von Film oder Musik. Die französischen Produzenten Marc Collien und Olivier Libaux formten aus der Verwandschaft der Begriffe 2004 ein Konzept. Als Nouvelle Vague steckten sie alte New-Wave-Songs aus den achtziger Jahren in ein neues Soundgewand aus Bossa Nova. Mit durchschlagendem Erfolg: An ihren Neuinterpretationen mit wechselnden Sängerinnen kam in den vergangenen Jahren eigentlich niemand vorbei. Nun legen die Franzosen ihr viertes Album vor. n-tv.de sprach mit Marc Collien darüber, was es so besonders macht.
n-tv.de: "Couleurs sur Paris" ist bereits euer viertes Album. Ist aus dem Projekt Nouvelle Vague inzwischen doch eine feste Band geworden?
Marc Collien: Nein, nein. Wir verstehen uns immer noch als Projekt. Bands im klassischen Sinn haben ja immer die gleiche Besetzung, mit der sie zusammen Musik aufnehmen und auftreten. Bei einem Projekt hingegen gibt es dauernd Veränderungen und Anpassungen. So ist das bei uns. Nicht nur bei unseren Liveauftritten wechseln die Musiker ständig, wir haben auch auf unseren Alben immer wieder neue Sängerinnen. Ich arbeite inzwischen mit ganz anderen Leuten zusammen als am Anfang. Und auch das Konzept ändert sich.
Was man an "Couleurs sur Paris" ja hören kann. Waren die ersten drei Nouvelle-Vague-Alben vor allem britischen und amerikanischen New-Wave-Songs gewidmet, konzentriert ihr euch nun auf französische Musik aus den 80er-Jahren. Wie kam es dazu?
Eigentlich wollte ich von Nouvelle Vague eine Auszeit nehmen und über ein neues Konzept nachdenken. Über etwas, das wirklich anders sein sollte als unsere bisherigen Sachen. Zur selben Zeit kam mir der Gedanke, etwas nur für den französischen Markt zu machen, eben spezielle Versionen französischer Lieder. Ich war von der Idee ziemlich begeistert, doch dann haben wir festgestellt, dass es daran auch ein Interesse außerhalb Frankreichs gibt. Ich hätte das anfangs nicht gedacht. Aber wir haben gemerkt, dass sich die Leute tatsächlich für die französische Kultur interessieren und dafür, diese Songs zu entdecken.
Die meisten Bands, die ihr auf dem Album gecovert habt, sind außerhalb Frankreichs eher unbekannt - und in Frankreich?
Wir haben genauso eine Auswahl getroffen wie zuvor beim englischen New Wave. Darunter sind einige Bands, die in Frankreich wirklich groß waren, wie zum Beispiel Indochine und Noir Désir, die beide hier immer noch groß sind, oder etwa Rita Mitsouko und Etienne Daho. Zugleich sind da aber auch einige Bands, die total unbekannt und wirklich "Underground" sind, wie Kas Product oder Elli et Jacno. Es ist also beides.
Indochine sind ein gutes Beispiel. In Frankreich sind sie Superstars - in Deutschland hingegen kennt sie kaum jemand. Und wir sind Nachbarn. Wie erklärst du dir, dass nur so wenige französische Bands im Ausland bekannt sind?
Ich denke, das ist überall das Gleiche und kein speziell französisches Phänomen. Die Popmusik ist überall englisch und amerikanisch geprägt. Und dann gibt es eben noch die lokalen Märkte - in Deutschland einen stärkeren deutschsprachigen und in Frankreich einen stärkeren französischsprachigen Markt. Aber der Export ist schwierig. Wir hören zum Beispiel auch keine deutschen Lieder im Radio. Die einzige Ausnahme ist, glaube ich, Tokio Hotel.
Eine französische Ausnahme ist Vanessa Paradis, die auf "Couleurs sur Paris" einen Song singt. Wie konntet ihr sie dafür gewinnen?
Das war wirklich einfach, weil sie ein Fan von Nouvelle Vague war. Sie sagte mir: Hey, ich kenne eure Alben von Anfang an und es wäre mir eine große Freude, einen Song mit euch zu machen. Also kam sie zur Aufnahme vorbei. Und das lief super.
Und wie ist sie so privat?
Sie ist wirklich großartig - freundlich und ein bisschen schüchtern. Sie ist einfach eine ganz normale Person, und es war sehr angenehm, mit ihr zu arbeiten. Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, dass sie auch im Ausland so bekannt ist. In Frankreich ist sie wirklich eine Berühmtheit seit rund 20 Jahren. Aber im Ausland? Das ist eine schöne Überraschung.
Schon bei eurem dritten Album habt ihr neue musikalische Wege beschritten - weg vom Bossa Nova und unter anderem hin zu Folk- und Country-Anklängen. "Couleurs sur Paris" klingt nun teils sogar ziemlich poppig. Wie würdest du euren neuen Stil beschreiben?
Oh, das ist schwierig. Ich denke, diesmal ist alles wirklich sehr unterschiedlich. "So young but so cold" etwa ist ziemlich groovy und jazzy geraten. "Je suis deja parti" von Taxi Girl dagegen ist mehr im Velvet-Underground-Stil gehalten. Und "Week-end a Rome" ist eher Bossa. Fast jeder Song hat seinen eigenen Stil. Daher ist es schwer, das Album insgesamt zu beschreiben. Ich denke, wenn wir von Stil reden, dann davon, dass es eben unser Stil ist - die Art und Weise, wie wir die Songs interpretieren.
Warum habt ihr euch denn vom anfänglich ziemlich strikten Bossa-Nova-Stil verabschiedet?
Das war eine bewusste Entscheidung, die wir eigentlich schon nach dem ersten Album getroffen haben. Wir hatten zwei Optionen: Entweder noch einmal genau das Gleiche zu machen oder uns zu verändern. Wir haben uns für die zweite Option entschieden. Und ich denke, das war richtig. Schließlich gibt es uns jetzt immer noch. Und ich wollte nicht einfach an dem Gedanken festhalten: "O.k., Nouvelle Vague, das ist cool, das ist ein Konzept, aus New Wave Bossa Nova zu machen." Da hätte ich mich wie im Gefängnis gefühlt.
Egal, was ihr am Ende daraus macht - nach welchen Kriterien wählst du die Songs für eure Coverversionen aus?
Erstmal müssen es natürlich Songs sein, die wir mögen und von denen wir damals Fan waren. Und zudem müssen wir natürlich eine Inspiration haben, wie wir den jeweiligen Song umsetzen. Es gibt tatsächlich manchmal auch Songs, die ich wirklich mag, aber bei denen ich einfach nicht weiß, wie ich es anstellen soll.

"Marcia Baila" von Rita Mitsouko ist die erste Single aus dem Album - gesungen von Adrienne Pauly.
(Foto: Pierre-René Worms)
Du hast einmal gesagt, viele eurer Fans seien junge Leute, die die Originalversionen oft gar nicht kennen. Was denkst du, fasziniert sie an den Songs?
Zum einen denke ich natürlich, dass ihnen die Art und Weise, wie wir Musik machen, gefällt. Sehr wichtig sind dabei meiner Meinung nach die Stimmen. Auch der französische Akzent spielt eine Rolle. Und zudem sind es die Texte. "Too Drunk to Fuck", "Killing Moon", "Dance with me" oder "Dancing with Myself" - das sind einfach starke Lieder. Wir haben sie ja nicht geschrieben, also kann ich das sagen. Und die Leute entdecken diese Lieder durch uns. Vielleicht sind die Originalversionen auch für manche ein bisschen zu rau, und sie finden auf diese Art leichter Zugang zu den Songs.
Viele dieser Lieder und die dahinter stehenden Bands waren in den achtziger Jahren aber doch eher "Underground". Sind die Leute heute dem gegenüber aufgeschlossener als damals?
Ich weiß nicht, ob sie wirklich aufgeschlossener sind. Aber sie haben durch das Internet inzwischen Zugang zu so viel verschiedener Musik. Und die Medien haben sich verändert. Früher konnte man so eine Gruppe wie "Lords of the New Church" im französischen Fernsehen einfach nicht sehen. Und auch in den Magazinen kamen sie nicht wirklich vor. Es war Musik, die deine Eltern nicht gehört haben. Es gab da einen großen Unterschied zwischen den Generationen.
Und heute ist das anders?
Heute gibt es ja nichts wirklich Neues - selbst wenn man elektronische Musik hört. Bei vielen haben auch die Eltern schon in den 80ern oder 90ern elektronische Musik gehört. Diese großen Generationenunterschiede gibt es nicht mehr. Und auch diese Trennung zwischen "Underground" und "Overground" ist ja nicht mehr gegeben. Heute scheint alles entweder Mainstream zu sein oder gar nicht zu existieren.
Nouvelle Vague ist ja eigentlich nichts anderes als eine "Coverband". Früher dachte man bei dem Begriff eher an AC/DC-Imitatoren, die im Jugendzentrum auftreten. Hat euch der internationale Erfolg überrascht?
Ja, total. Ich glaube, wir haben das ungewollt erfunden, dass man mit Coverversionen als richtiger Künstler angesehen wird. Ich meine, wir haben vor kurzem in der Royal Albert Hall gespielt und auch auf großen Rockfestivals. Wir werden wirklich wie eine normale Indie-Band wahrgenommen.
Zugleich musstet ihr aber auch Kritik über euch ergehen lassen. Einige werfen euch vor, den Spirit der Originalsongs mit euren Versionen zu zerstören …
Puh, das kümmert mich nicht wirklich. Mir geht es auch nicht darum, jeden auf der Welt glücklich zu machen. Wir wollen einfach nur unsere Musik machen. Wenn es jemandem gefällt, ist das prima. Wenn nicht, muss er es sich ja nicht anhören …
Die Kritik geht aber doch tiefer: Einige halten es nicht für angebracht, aus Protestsongs wie "Guns of Brixton" von The Clash oder "God Save the Queen" von den Sex Pistols Lounge-Musik zu machen …
Ja, ich weiß, was du meinst. Aber nimm doch mal "Dance with me" von "Lords of the New Church": So viele Leute kannten diesen Song einfach nicht und haben so die Möglichkeit bekommen, ihn zu entdecken. Allein der Videoclip wurde auf YouTube rund vier Millionen Mal angeklickt. Ich halte das einfach für einen guten Weg, die Songs am Leben zu erhalten. Und wir ändern ja auch die Texte nicht. Mag sein, dass die Lieder jetzt eben auch in Restaurants oder Hotels laufen. Aber das ist doch schön. Und ihre Botschaft ist immer noch die gleiche.
Das beste Argument gegen derartige Kritik ist sicher, dass inzwischen auch einige der Originalkünstler wie Martin Gore von Depeche Mode mit euch zusammengearbeitet haben. Wie fallen denn grundsätzlich die Reaktionen der Künstler, die ihr covert, aus?
Es gibt eigentlich nie negative Reaktionen. Vielleicht gibt es einige Bands, denen es nicht gefallen hat. Sie haben dann aber entweder nichts dazu gesagt oder ich habe es nicht erfahren. Wenn ich Reaktionen erlebt habe, dann waren sie positiv. Das liegt wohl daran, dass wir nicht einfach nur kopieren, sondern aus den Originalen etwas ganz anderes machen. Das haben mir so unter anderem Martin Gore und Gary Numan gesagt. Und das gilt auch für unser neues Album. Von Etienne Daho, Kas Product oder Elli et Jacno etwa weiß ich, dass sie uns gut finden.
Nach vier Alben mit Coverversionen aus den 80er-Jahren könntet ihr euch als nächstes ja den 90ern zuwenden. Wann hören wir Nouvelle-Vague-Versionen von Nirvana oder Sonic Youth?
Ja, das könnte vielleicht der nächste Schritt sein. Wir müssten einen Weg finden, das umzusetzen und mit etwas Neuartigem zu versehen. Dann könnte es wirklich sein, dass wir uns beim nächsten Album Bands aus den 90ern widmen.
Mit Marc Collien von Nouvelle Vague sprach Volker Probst
Nouvelle Vague kommen im Januar 2011 auf Deutschland-Tournee: Mannheim (23.), Frankfurt (24.), München (25.), Düsseldorf (26.), Hannover (27.), Berlin (28.), Hamburg (29.)
Quelle: ntv.de