"The Fighter" Wo die wilden Söhne boxen
06.04.2011, 16:02 Uhr
Charlene (Adams) gibt Mickys (Wahlberg) Leben eine neue Richtung.
(Foto: Senator Film Verleih)
Blut ist dicker als Wasser. Das weiß Boxer Micky, der von der Mutter gemanagt, vom Bruder trainiert wird. Der Kampf gegen diese Schatten ist sein schwerster. Deshalb ist "The Fighter" als Familiendrama und Sportfilm ein Meisterwerk, getragen von hervorragenden Schauspielern.
In Wahrheit geht es gar nicht ums Boxen. Es geht um die Familie. Und die Familie ist alles. Micky Ward kennt das. Seine Familie ist immer da - und das ist sein Problem. "Dem Kerl kann man nicht trauen, er gehört nicht zur Familie", wird ihm gesagt und das spricht Bände über die archaischen Verhältnisse in der heruntergekommenen US-Arbeiterstadt Lowell nahe Boston. Wer hier wohnt ist ein Verlierer, denn die Kleinstadt hat schon längst den Anschluss an den Aufschwung verloren.
"The Fighter" von Regisseur David O. Russell erzählt vom Aufstieg des realen Boxweltmeisters "Irish" Micky Ward. Doch nicht nur er steht im Mittelpunkt, sondern seine gesamte Familie, die mit Haut und Haaren dem Boxen verfallen ist. Deshalb funktioniert der Film wunderbar sowohl als Sportfilm als auch als Familiendrama. Das erinnert natürlich an Martin Scorseses "Wie ein wilder Stier". Da spielt Robert De Niro den Boxweltmeister Jake LaMotta und erhielt dafür den Oscar. Auch da geht es um die Familie. Auch da wird der Boxkampf nicht als heroische Heldentat à la "Rocky" gezeigt, sondern als blutiger, brutaler Kampf, der archaischen Regeln folgt. Sieg oder Niederlage - eine Alternative gibt es nicht.
"Ich boxe auch"
Micky Ward, gespielt von Mark Wahlberg, ist einer, dem die große Niederlage droht - und das nicht nur im Boxring. Seine Ehe ist längst Geschichte, zur Tochter hat er selten Kontakt. Er lebt in einer schäbigen Wohnung und arbeitet als Straßenbauer - eher kleinlaut fügt er an: "Ich boxe auch." Denn sehr erfolgreich ist er damit nicht. Trainiert und gemanagt wird er natürlich von seiner Familie. Und die ist so fürsorglich, dass sie ihn, um das Antrittsgeld nicht zu verlieren, auch gegen den Boxer einer höheren Gewichtsklasse in den Ring schickt, von dem er gnadenlos verprügelt wird.
Ohnehin steht Micky im Schatten seines übermächtigen Halbbruders Dicky Eklund, gespielt von Christian Bale. Der hat seine besten Tage zwar hinter sich, war aber immerhin ein gefeierter Boxer und der Stolz seiner Heimatstadt. Die Familie, allen voran Mutter Alice (Melissa Leo), lebt in diesen Erinnerungen. Immer wieder wird die Geschichte von Sugar Ray Leonard erzählt, der im Kampf gegen Dicky zu Boden ging. Er sei ausgerutscht, sagen manche Leute im Ort. Doch für die Mutter ist Dicky der Liebling. Dabei übersieht sie, dass er zwar ein charmanter Kerl, aber längst cracksüchtig ist und in den Tag hinein lebt. Einem Filmteam, das eine Dokumentation über ihn drehen will, spielt Dicky die ganz große Show vor. Dass er sich dabei zum Hampelmann macht, merkt er erst spät.
"Sag das nicht über meine Familie"
Die Welt in Lowell ist also festgefügt. Alice managt Micky, sein Bruder ist sein Trainer. Fremde müssen draußen bleiben. Doch dann tritt Charlene (Amy Adams) in Mickys Leben, sehr zum Missfallen von Alice. "Glaubst du wirklich, dass deine Familie auf dich aufpasst?", fragt das gescheiterte College-Girl ihren neuen Freund. "Sag das nicht über meine Familie", antwortet der. Doch der Zweifel ist gesät. Als Dicky schließlich im Knast landet und droht, seinen Bruder mit in den Abgrund zu reißen, muss dieser seinen eigenen Weg finden. Und dieser bietet ihm die Chance auf den Weltmeistertitel - nur kann er seine Familie einfach so im Stich lassen?
So wie "The Fighter" von der Familie handelt, ist der Film auch ein großartiger Ensemblefilm. Drei Darsteller wurden mit einer Oscar-Nominierung belohnt, Christian Bale und Melissa Leo hielten die Trophäe für ihre Nebenrollen schließlich in Händen, nur Amy Adams ging leer aus. Vor allem Bale, der immer wieder auf beängstigende Weise mit seinen Rollen verschmilzt, liefert erneut eine Glanzleistung ab, vielleicht seine beste bisher. Er zappelt als nervöser Junkie durch die Szenen, gibt die Boxer-typische One-Man-Show und zeigt auf bedrückende Weise, wie Dicky schließlich mit der Wahrheit über sein Leben konfrontiert wird.
Der Rock zu kurz, die Haare blondiert

Micky muss nicht nur gegen seine Gegner kämpfen, sondern auch gegen die Übermacht von Mutter und Bruder.
(Foto: Senator Film Verleih)
15 Kilo nahm Bale ab, um den drogensüchtigen Dicky zu spielen (für "Der Maschinist" waren es gar 30 Kilo). Sein Haar ließ er ausdünnen, um sich älter zu machen. Vor allem aber verbrachte Bale viel Zeit mit dem echten Dicky Eklund, er studierte seine Bewegungen, seine Sprache. Der reale Micky fand dann auch, dass Bale ihn fast besser hinbekommen habe als Dicky selbst.
Nicht weniger beeindruckend ist Melissa Leo als Alice, die Mutter von neun Kindern. Der Rock im Leopardenfellmuster ist zu eng und kurz, die Stöckelschuhe zu hoch, die Haare blondiert - sie ist die Inkarnation des "white trash". Ihre Familie hält sie an der kurzen Leine, ihr Mann, Micky und vor allem Charlene bekommen diese Dominanz und Kontrollsucht zu spüren. Leo, die schon in kleineren Produktionen wie "Three Burials" und "Frozen River" brillierte, wurde dafür vollkommen zu Recht mit Golden Globe und Oscar prämiert.

Die realen Dicky Eklund (l) und Micky Ward (r.) mit Produzent Todd Lieberman.
(Foto: Senator Film Verleih)
Dass der Film hier nicht zur Karikatur eines Milieus verkommt, ist Regisseur David O. Russell zu verdanken, der auf Pathos und Klischees verzichtet und den Respekt vor seinen Figuren behält. Der Film schafft es, mit Authentizität das Leben in Lowell einzufangen, ganz ohne Sozialromantik. Die Häuser sind heruntergekommen, die Familien verwahrlost, Geld ist Mangelware. Wer auf dem College war, gilt als Snob. Zugute kam dem Film dabei, dass die realen Protagonisten eng in die Produktion eingebunden waren. Einige von ihnen spielten sich sogar selbst.
Wie sehr man in Lowell kämpfen muss, zeigt sich am Besten an der Figur des Micky. Mark Wahlbergs Darstellung ist ebenfalls überzeugend, nur hat seine Rolle eben weniger Glamour. Er spielt den stoischen Kämpfer, der auch nach einer ordentlichen Tracht Prügel wieder aufsteht. So wird der Kampf gegen die Dominanz seiner Mutter, gegen den Ruhm seines Bruders zu seiner eigentlichen Aufgabe. "Um zu gewinnen, muss man manchmal über seinen Schatten springen", sagt Micky an einer Stelle. Und dieser Schatten ist in diesem Fall die Familie. Sie ist eben doch nicht alles.
Quelle: ntv.de