"Huhn mit Pflaumen" ist ein Traum vom Iran Nasser-Ali beschließt zu sterben
05.01.2012, 10:12 Uhr
Eine große Liebe: Irâne und Nasser-Ali.
(Foto: 2011 PROKINO Filmverleih GmbH)
Wo gestritten wird, da brechen Geigen. Nur blöd, wenn es um das geliebte Instrument eines Virtuosen geht. Dann schmeckt auch das Leibgericht nicht mehr. Nasser-Ali hat genug. Er legt sich ins Bett um zu sterben. Vorher trifft er den Todesengel. Und er erinnert sich an seine große Liebe.
War es die zerstörte Geige oder doch die enttäuschte Liebe, die das Herz von Nasser-Ali Khan zerbrechen ließ? Der iranische Virtuose (Mathieu Amalric, Bond-Gegenspieler aus "Ein Quantum Trost") ist ein gefeierter Star internationaler Bühnen. Doch als sein Instrument in einem Ehestreit zerbricht und sich ein neues nicht als die erhoffte Stradivari entpuppt, beschließt er, sich ins Bett zu legen und zu sterben. Weder seine ungeliebte Frau noch seine Kinder oder sein Leibgericht Huhn mit Pflaumen können ihn davon abbringen.
Nasser-Ali liegt im Bett, er raucht, er trifft Azrael, den Engel des Todes, mit dem er über das Sterben diskutiert. Und er lässt sein Leben Revue passieren: Er erinnert sich an seine permanent rauchende Mutter (Isabella Rossellini), die sich nach ihrem Tod in eine Rauchwolke verwandelt. Er reflektiert das zwiespältige Verhältnis zu seinem Bruder, der als Kommunist zeitweise inhaftiert war. Er streitet sich immer wieder mit seiner Frau Faringuisse (Maria de Medeiros, "Pulp Fiction"), die er nie wirklich geliebt hat. Und er sieht das Leben seiner missratenen Kinder voraus.
Genie dank Liebeskummer
Vor allem aber erinnert er sich an die bezaubernde Irâne (Golshifteh Farahani, "Alles über Elly"). Einst, als Musikschüler, hatte er sich in die Tochter aus gutem Hause verliebt - und sie in ihn. Doch ihr Vater verweigerte ihm die Heirat. Wie sollte ein Künstler auch eine Familie ernähren? Diese Enttäuschung brach einst Nasser-Alis Herz, bereicherte aber auch sein Geigenspiel um eine besondere, traurige, seelenvolle Note. Sein alter Meister war begeistert - und schenkte ihm das geliebte Instrument. Ein Kreis schließt sich - die Liebe und die Musik erweisen sich als untrennbar vereint.
Teheran in den 50ern: "Huhn mit Pflaumen" lebt von der Atmosphäre dieser Zeit und dieser Welt, die in den Babelsberger Filmstudios wieder aufgebaut wurde. Die Caféhäuser erinnern an Paris, Basare und geheimnisvolle Geschäfte sorgen für den orientalisch-zauberhaften Charakter des Films. Dabei unterscheidet sich der Ton des Streifens von seiner Vorlage, der gleichnamigen Graphic Novel der Iranerin Marjane Satrapi (auf Deutsch erschienen bei der Edition Moderne).
Bekannt wurde die 1969 geborene und heute in Paris lebende Satrapi durch ihren Comic "Persepolis", der autobiografischen Geschichte ihrer Kindheit und Jugend unter den iranischen Mullahs und in Wien. 2007 folgte die zusammen mit Vincent Paronnaud realisierte kongeniale Verfilmung. Nun haben sich beide erneut zusammengetan. Anders als bei "Persepolis" verzichten sie diesmal allerdings auf einen schwarz-weißen Zeichentrickfilm und setzen stattdessen auf reale Schauspieler - und viel Farbe.
So ist "Huhn mit Pflaumen" bunter, manchmal greller als die Vorlage geworden. Andere Szenen wiederum driften ins Klamaukige ab. Wo die Graphic Novel von Melancholie beherrscht wird und damit glänzend die Stimmung Nasser-Alis widerspiegelt, versucht es der Film mit Überzeichnungen und orientalisch-märchenhaftem Charme. Das gelingt überwiegend, aber nicht immer.
Traum eines "längst vergangenen Iran"
Dabei gibt es durchaus großartige, witzige Momente, etwa wenn das zukünftige Leben von Nasser-Alis Sohn im US-Exil erzählt wird. Hier erreicht der Film das Niveau von "Persepolis". Auch am Ende gewinnt der Film an Fahrt und entfaltet seine ganze phantasievolle Kraft, die mehr als einmal an "Die fabelhafte Welt der Amélie" erinnert. Die Politik ist dabei nicht ganz so stark präsent wie in "Persepolis", doch sie verschwindet nie.
Denn "Huhn mit Pflaumen" ist nicht nur eine Liebeserklärung an den Iran und seine Menschen - viele Figuren gestaltete Satrapi nach Vorbildern aus ihrer Familie. Es ist auch kein Zufall, dass die große, wunderschöne Liebe von Nasser-Ali Irâne heißt, wie Satrapi jüngst sagte. "Es ist der Traum von einem längst vergangenen Iran, von einer Demokratie, die es hätte geben können. Alle diese Träume von einer besseren Welt, die verflogen sind."
So wird der Film für die Zuschauer zur Annäherung an ein Land, das derzeit mit Drohungen meist für Negativschlagzeilen sorgt, und zur Bekanntschaft mit einer Epoche des Landes, die heute fast vergessen ist. Doch "Huhn mit Pflaumen" beweist, welche erzählerische Kraft die persische Tradition auch heute noch hat, welchen kulturellen Reichtum der Iran sein eigen nennt - selbst im Exil.
Quelle: ntv.de