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Hardcore-Wochen im "Tatort" Wenn weniger mehr ist

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Szene aus dem Berlin-"Tatort": Susanne Bonard (Corinna Harfouch, l.) und Robert Karow (Mark Waschke, r.) besuchen ein Fest in der Pagode.

Szene aus dem Berlin-"Tatort": Susanne Bonard (Corinna Harfouch, l.) und Robert Karow (Mark Waschke, r.) besuchen ein Fest in der Pagode.

(Foto: rbb/PROVOBIS/Gordon Muehle)

Mehrmals im Jahr treffen sich die verschiedenen ARD-Redaktionen, um ihre "Tatorte" miteinander abzusprechen. Dass trotzdem nur wenige Wochen hintereinander ähnliche Fälle laufen, ist diesmal kein Versehen - sondern hat System.

"Weihnachten 1" ist die Eintrittskarte in die Hölle. Feinsäuberlich beschriftet und akkurat ausgerichtet steht die VHS-Kassette im Videoschrank des spießbürgerlichen Einfamilienhauses, nichts deutet auf ihren Inhalt hin. Aber wenn die "Tatort"-Kamera Kommissar Karow (Mark Waschke) später beim Schauen des Tapes ins Gesicht filmt, will man ohnehin nichts Genaueres wissen - der Ekel und der Schock des Ermittlers sind schon verstörend genug.

"Am Tag der wandernden Seelen" ist bereits der zweite "Tatort" innerhalb von nur vier Wochen, der Folter und Snuff, also einen vor laufender Kamera gefilmten Mord, thematisiert. Und doch ist hier fast alles anders als vor kurzem in München: "Schau mich an" machte seinem Titel alle Ehre und ging mit Auszügen aus den Mord-Filmen hart an die Grenzen des Zeigbaren - und für viele Zuschauer und Zuschauerinnen auch darüber hinaus. Je nach Argumentation war die explizite Darstellung der Misshandlung von Menschen und Tieren entweder unnötig brutal oder aber eine notwendige Systemfrage, die uns selbst den Spiegel vorhalten sollte.

Längste "Tatort"-Begehung aller Zeiten

Der Film rückt die Opfer ins Zentrum – und zeigt, dass sie mehr als nur Opfer sind.

Der Film rückt die Opfer ins Zentrum – und zeigt, dass sie mehr als nur Opfer sind.

(Foto: rbb/PROVOBIS/Gordon Muehle)

Regisseurin Mira Thiel hat zusammen mit Drehbuchautorin Josefine Scheffler für ihren Berliner Fall nun einen komplett anderen, leiseren Ansatz gewählt. Allem voran inhaltlich, denn zu Beginn des Falls ist der Haupttäter bereits tot - und steht damit nicht, wie sonst so häufig, im Mittelpunkt des Geschehens. Stattdessen stellt der Film die Opfer der Gewalttaten ins Zentrum, erzählt ihre Geschichten, gibt ihnen eine Stimme. Und zeigt damit, dass sie viel mehr sind als eben nur Opfer.

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Noch eindrücklicher verfängt allerdings die ungewöhnliche Ästhetik von "Am Tag der wandernden Seelen": Mit der vielleicht längsten "Tatort"-Begehung aller Zeiten baut Regisseurin Thiel zu Beginn so viel Spannung auf, dass allein das Betrachten des Folterkellers mit seinen Werkzeugen, der blutigen Gartenliege und der alten Videokamera ausreicht, um den Horror für die Zuschauer ebenso greifbar zu machen wie die Schockszenen aus München - ohne tatsächlich etwas von den Taten zeigen zu müssen.

Wenn die Kamera dann endlich nach 18 langen Minuten aus dem Horrorhaus im Lichtenberger Hinterland herauszoomt und die nächste Einstellung eine Waschanlage zeigt, ist klar: Die Kommissare wollen hier nicht nur ihren Dienstwagen vom Schmutz befreien, sondern vor allem ihre Seelen. Ähnlich elegant gelöst ist vieles in diesem "Tatort". Dass ausgerechnet das Ende so kitschig daherkommt, fällt dann umso mehr auf. Aber auch dafür gibt es eine Lösung: Einfach direkt nach der Auflösung abschalten

Quelle: ntv.de

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