

Am 30. Januar 1933 wird der Chef der NSDAP, Adolf Hitler, von Reichspräsident Hindenburg zum Reichskanzler ernannt.
In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar steht der Berliner Reichstag in Flammen. Innerhalb eines Jahres höhlen die Nazis die Demokratie aus und legen den Grundstein für das, ...
... was als die "deutsche Katastrophe" in die Geschichte eingeht.
In den deutschen Konzentrationslagern sterben fast zehn Millionen Menschen, mehr als die Hälfte davon sind Juden.
Im Zweiten Weltkrieg, der 1939 durch Hitlers Überfall auf Polen beginnt, werden insgesamt 50 Millionen Menschen getötet. Als der Krieg 1945 mit der deutschen Kapitulation endet, liegt Deutschland in Trümmern.
Das Jahr 1933 legt den Grundstein für das Entstehen des "Dritten Reichs". Doch das Unheil beginnt schon früher.
Es sind auch die Geburtsfehler der Weimarer Republik, die den Nationalsozialisten den Weg ebnen.
Mit dem Friedensvertrag übernimmt Deutschland 1919 die alleinige Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. (Das Bild zeigt deutsche Soldaten 1914 beim Überschreiten der Grenze nach Frankreich.)
Im Frieden von Versailles verpflichtet sich die erste deutsche Demokratie zu Gebietsabtretungen und Wiedergutmachungszahlungen. Viele Deutsche sind nicht bereit, die Rolle des Alleinschuldigen zu akzeptieren.
In ihren Köpfen ist der Krieg noch nicht zu Ende. Sie sehen sich als Opfer und können die Kapitulation nicht verstehen.
Die Bewunderung für die Frontkämpfer ist groß. Die neue Notwendigkeit von Kompromissen, die eine parlamentarische Demokratie einfordert, ist den Menschen fremd. Nicht wenige trauern dem Kaiserreich hinterher.
In Deutschland gibt es bisher keine Erfahrungen mit der Demokratie. Umso stärker ausgeprägt ist ein Klassenbewusstsein der verschiedenen Sozialmilieus. (Das Bild zeigt den "Reichsrätekongress" im Dezember 1918. Friedrich Ebert ist die Nummer 5.)
Auch weil es keine Fünf-Prozent-Hürde gibt, tummeln sich viele extreme Parteien im Reichstag.
Noch bis Mitte der 1920er Jahre gibt es Staatsstreichpläne von linken und rechten Parteien. Immer wieder verüben nationalistische Terroristen Attentate auf prominente Politiker. So werden Matthias Erzberger (Zentrum) und Walther Rathenau (DDP, Bild) ermordet.
Die Weimarer Republik entwickelt sich einige Jahre relativ stabil. Doch die ständigen wechselnden Koalitionen, dazu die häufig fehlenden Mehrheiten der Regierungen lähmen den Parlamentarismus.
Dazu kommt: Die Deutschen, so beschreibt es der Historiker August Winkler, geben der jungen Demokratie nicht die nötige Zeit.
Zum Ende der 20er Jahre erhält das republikfeindliche Denken immer mehr Zulauf. Das Parteiensystem rutscht nach rechts.
Wesentlicher Auslöser für diese Radikalisierung ist der "Schwarze Freitag". Die jahrelangen Überinvestitionen in der Industrie und ein Überangebot an Waren führen am 24. Oktober 1929 zu einem dramatischen Verfall der Aktienkurse an der New Yorker Börse.
Schnell ergreift die Krise auch Europa, vor allem Deutschland. Zwischen September 1929 und Januar 1933 steigt die Zahl der Arbeitslosen von 1,3 auf über 6 Millionen. Die Politik steht der Weltwirtschaftskrise hilflos gegenüber. In der Bevölkerung herrschen Armut und Verzweiflung.
Das nutzt vor allem einer Partei für ihren rasanten Aufstieg: Unter ihrem Vorsitzenden Hitler wird die NSDAP bei der Reichstagswahl 1930 zweitstärkste Partei. In Thüringen beteiligt sich die Partei schon seit Anfang des Jahres an der Landesregierung.
Die Partei verspricht den Menschen Arbeit und ein starkes Deutschland. Der nationalsozialistische Populismus infiziert große Teile der Bevölkerung.
Viele haben mit dem System der Demokratie längst abgeschlossen. Sie versprechen sich durch die Nationalsozialisten einen Ausweg aus der Krise.
Dass der Weimarer Republik zunehmend die Unterstützer abhanden kommen, macht es für die Nazis umso leichter.
Unterstützung finden die Nazis auch in der deutschen Wirtschaft.
Die Großindustriellen Gustav Krupp (Foto) und Fritz Thyssen stärken mit großzügigen Spenden den Parteiapparat.
Auch in der Reichswehr sind die Sympathien groß. Die nationalsozialistische Betonung militärischer Stärke macht auf viele Soldaten Eindruck.
Nach dem gescheiterten Putsch von 1923 strebt Hitler nun mit legalen Mitteln an die Macht. Er will "in dem Augenblick, wo uns das gelingt, den Staat in die Form gießen, die wir als die richtige ansehen". Doch noch wartet der Mann, den seine Anhänger "Führer" nennen, auf den richtigen Augenblick.
Bei der Reichspräsidentenwahl im März 1932 tritt Hitler gegen Amtsinhaber Paul von Hindenburg an und unterliegt.
Vorerst bleibt Hindenburg Reichspräsident. Auch er verachtet die Republik: Hindenburg ist ein kaisertreuer Monarchist, war im Ersten Weltkrieg Chef der Obersten Heeresleitung und gilt als Erfinder der "Dolchstoßlegende".
Bei der Reichstagswahl im Juli 1932 holt die NSDAP 37,4 Prozent. Die Nazis sind plötzlich die stärkste Partei in Deutschland. Hindenburg ernennt jedoch den parteilosen Konservativen Franz von Papen zum Reichskanzler. Sein Angebot, die Nationalsozialisten an der Regierung zu beteiligen, lehnt Hitler ab.
Die sogenannten Präsidialkabinette in der Spätphase der Weimarer Republik sind nicht besonders stabil. Die deutsche Demokratie ist durchlöchert, sie findet kaum noch Mehrheiten. Im November 1932 löst Hindenburg erneut den Reichstag auf. Bei der anschließenden Wahl wird die NSDAP mit 33,1 Prozent wieder stärkste Partei, verliert aber deutlich Stimmen.
Viele Konservative und Intellektuelle sind sich jetzt sicher: Hitler hat seinen Zenit überschritten. Seine Bewegung hat sich überlebt. Hindenburg bietet Hitler den Posten des Reichskanzlers an. Doch der lehnt ab - er will nicht Reichskanzler von Hindenburgs Gnaden sein. Noch nicht.
Der parteilose Kurt von Schleicher (l.) geht mit einer Amtszeit von zwei Monaten als kürzester Reichskanzler in die Geschichte ein. Er weiß nicht, dass Hindenburg hinter seinem Rücken weiter mit Hitler verhandelt. Der Reichspräsident sieht die Schwierigkeit, gegen die Mehrheit der NSDAP zu regieren. Deshalb beschließt er, die zerstrittene Rechte zusammenzuführen.
Seine Strategie: Wenn Hitler zu seinen Konditionen mitmacht, ist eine Zusammenarbeit möglich. Hindenburg will die Nationalsozialisten einbinden und so das Heft in der Hand behalten. "In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht", soll er zu Vertrauten sagen.
Die Treffen für die Bildung einer gemeinsamen Regierung zwischen der NSDAP und der deutschnationalen DNVP gelten als "Geburtsstunde des Dritten Reichs". Anfang Januar 1933 schlägt Hitler schließlich ein.
Doch das, was Historiker später als Konzept der Zähmung bezeichnen, scheitert. Mit dem Beginn des Jahres 1933 nimmt das Unheil - die Geschichte der Unterschätzung - seinen dramatischen Lauf.
Am 30. Januar ernennt Hindenburg Hitler zum Reichskanzler.
In Berlin feiern die Nazis den "Tag der Machtübernahme" mit Fackelzügen durch das Brandenburger Tor.
Am Pariser Platz sieht der Maler Max Liebermann zu, wie die SA durchs Brandenburger Tor marschiert. "Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte", soll er angesichts der marschierenden Nationalsozialisten gesagt haben. (Die überlieferten Filmaufnahmen wurden später vom NS-Regime nachgestellt.)
Der 30. Januar ist Auftakt eines Prozesses, in dem die Nazis die Demokratie beseitigen und ihre Macht ausbauen. Schon am 1. Februar lässt Hindenburg den Reichstag auflösen - Hitler will Neuwahlen.
In der Nacht auf den 28. Februar brennt plötzlich der Reichstag.
Die genauen Hintergründe sind bis heute nicht geklärt.
Marinus von der Lubbe, ein Kommunist aus den Niederlanden, lässt sich in der Brandnacht widerstandslos festnehmen.
Mit Kohleanzündern soll er binnen Minuten durch den Reichstag geeilt und das riesige Gebäude angezündet haben.
Er wird wegen Brandstiftung angeklagt und zum Tode verurteilt. Doch es gibt Zweifel an seiner Schuld.
Beweise für einen kommunistischen Aufstand gibt es keine. Es gibt die Theorie, die Nationalsozialisten selbst hätten das Feuer gelegt, um politische Gegner zu verfolgen.
Die Nazis nutzen das Ereignis kurz vor der bevorstehenden Reichstagswahl, um die Opposition auszuschalten.
Noch am 28. Februar erlässt Hitler die "Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat". Sie setzt die Bürgerrechte der Weimarer Republik außer Kraft.
Mit fatalen Folgen: Presse- und Versammlungsfreiheit werden beschränkt, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen erlaubt. Der politischen Willkür sind keine Grenzen mehr gesetzt.
Vor allem SPD und KPD werden von den Nationalsozialisten nun massiv bekämpft. Die paramilitärischen Einheiten SA und SS verbreiten Angst und Schrecken.
Zehntausende werden binnen Wochen in zunächst noch improvisierte Konzentrationslager verschleppt.
Am 5. März feiern die Nazis einen Wahlsieg: Mit 43,9 Prozent liegen sie deutlich vor der zweitstärksten SPD (18,3), der drittplatzierten KPD (12,3) und dem katholischen Zentrum (11,3).
Frei sind diese Wahlen nicht. Deutschland ist längst auf dem Weg in die Diktatur.
Zwei Wochen nach der Wahl wird die Errichtung eines Konzentrationslagers in Dachau bekanntgegeben. Kurze Zeit später werden hier die ersten Häftlinge interniert.
Da der Reichstag ausgebrannt ist, findet die konstituierende Sitzung des neu gewählten Parlaments am 21. März in Potsdam statt.
Die Nazis inszenieren den "Tag von Potsdam" in der Garnisonkirche als "Tag der nationalen Erneuerung".
In Erinnerung bleibt vor allem diese Geste: Hitler verneigt sich demonstrativ vor Hindenburg, der offiziell noch der höchste Mann im Staat ist. Die Nationalsozialisten stellen sich in die Tradition Preußens und des wilhelminischen Deutschland.
Am 23. März stimmen allein die Abgeordneten der SPD gegen das Ermächtigungsgesetz - die Sitze der KPD wurden von den Nazis bereits drei Tage nach der Wahl annulliert. Damit beginnt Hitler formell mit der Abschaffung des Parlaments. Er kann von nun an auch Gesetze mit verfassungsänderndem Charakter und ohne Zustimmung des Parlaments erlassen.
Mit großer Geschwindigkeit setzt sich die "Machteroberung" fort. Am 31. März lösen die Nazis mit dem "Gesetz zur Gleichschaltung der Länder" sämtliche Landtage auf und übertragen ihre Macht dem "Deutschen Reich".
Antisemitismus wird Staatsdoktrin. Mit dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" geht Hitler gegen jüdische Deutsche vor. Jüdische und politisch missliebige Beamte können nun entlassen werden, ihre Stellen werden von "Volksgenossen" besetzt. So machen die Nazis viele Deutsche zu Komplizen.
Der 10. Mai steht für die systematische Verfolgung jüdischer und politisch andersdenkender Schriftsteller.
In verschiedenen Städten organisiert die nationalsozialistische "Deutsche Studentenschaft" eine groß angelegte Inszenierung: Bei der "Aktion wider den undeutschen Geist" kommt ...
... es zur Verbrennung zehntausender Bücher. Darunter Werke von Erich Kästner, Karl Marx, Sigmund Freud, Heinrich Mann, Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky. In Berlin findet die Bücherverbrennung auf dem Platz gegenüber der Universität statt, dem heutigen Bebel-Platz.
Am 14. Juli verpassen die Nationalsozialisten der parlamentarischen Demokratie endgültig den Todesstoß. Sie erlassen das "Gesetz gegen die Neubildung von Parteien".
Die NSDAP ist nun die einzige zugelassene Partei. Der Einparteienstaat ist zementiert. Und Hindenburg? Der greise Reichspräsident zieht sich immer mehr zurück. Widerstand gegen Hitlers Machtausweitung leistet er nicht. Der inzwischen 86-Jährige duldet sowohl das Ermächtigungsgesetz als auch die Aktionen gegen jüdische Geschäfte. Er teilt auch Hitlers Vision der "Einheit der deutschen Volksgemeinschaft". Hindenburg wähnt das "Deutsche Reich" auf dem richtigen Weg.
Die Reichstagswahl am 12. November ist gleichzeitig eine Volksabstimmung über den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund. "Der Feldmarschall und der Gefreite" heißt es auf den Plakaten, die Reichspräsident und -kanzler gemeinsam zeigen.
Vor der Wahl appelliert Hindenburg an die Bevölkerung: "Zeigt geschlossen eure Verbundenheit mit der Reichsregierung!"
92 Prozent stimmen für die einzig verbliebene deutsche Partei.
Im Dezember 1933 ist die Phase der "Machtübernahme" abgeschlossen.
Die Republik ist zerstört und in einen totalen Staat umgewandelt worden.
Mit dem stärksten Mittel, das eine Demokratie zur Legitimierung der Macht zu bieten hat: der Zustimmung durch eine Mehrheit der Bevölkerung. (Text: cro)