Panorama

Veraltete Studienfinanzierung "Beim BAFÖG müssen wir komplett neu anfangen"

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Katja Urbatsch, Mitgründerin von Arbeiterkind.de.

Katja Urbatsch, Mitgründerin von Arbeiterkind.de.

(Foto: Arbeiterkind.de/SophiaLukaschPhotography)

Studierende können seit einiger Zeit für die Finanzierung auf Studienkredite der staatlichen Förderbank KfW zurückgreifen. Doch Anfang Oktober 2023 hebt die KfW den Zinssatz deutlich an. Viele sehen darin dramatische Folgen für Studierende - auch Katja Urbatsch. Die Mitgründerin und Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation Arbeiterkind.de erklärt im Gespräch mit ntv.de, warum die finanzielle Belastung nur einer von vielen Gründen ist, die Menschen aus finanzschwachen Familien von einem Studium abhalten.

ntv.de: Was halten Sie von Studienkrediten?

Katja Urbatsch: Von Krediten raten wir tendenziell ab. Für uns sind Kredite immer erst die allerletzte Möglichkeit, nur ein Notfallplan. Weil das gefährlich sein kann, vor allem hinsichtlich der Verschuldung. Das sehen wir jetzt auch beim KfW-Kredit, der derzeit enorme Zinsen hat, was dramatische Folgen für Studierende hat. Da müsste der Staat eingreifen. Die Menschen werden jetzt einfach komplett damit alleingelassen.

Eigentlich gibt es dafür doch BAFÖG. 2022 sollte eine Reform Abhilfe schaffen?

BAFÖG ist schon 50 Jahre alt. Es ist veraltet. Wir waren involviert in die Reformen. Mittlerweile werden wir zwar gehört, aber die Reformen gehen nicht weit genug. Viele verstehen nicht die großen Probleme von Studierenden, wenn das BAFÖG bis Dezember warten lässt, obwohl die Kosten für Wohnung und Umzug am Studienort schon im September entstehen. BAFÖG muss da sein, wenn die Kosten entstehen. Die Höhe der Leistungen entspricht auch nicht mehr den aktuellen Studienkosten. Die Semesterbeiträge sind ebenfalls nicht berücksichtigt. Heute brauchen Studierende einen Laptop, ein Handy, einen Drucker und natürlich Internet.

Welche Möglichkeiten der Finanzierung gibt es noch?

Es gibt verschiedene Finanzierungsformen, beispielsweise einen umgekehrten Generationenvertrag. Dabei zahlt eine Person einen gewissen Satz von ihrem Gehalt, wenn sie im Beruf ist. Stipendien sind auch eine Möglichkeit. Aber auch da sollte stärker der soziale Hintergrund berücksichtigt werden. Mir ist es wichtig, dass diejenigen, die wirklich Unterstützung brauchen, vor allem Menschen aus finanzschwachen Familien, diese auch bekommen.

War das damals Ihre Motivation, Arbeiterkind zu gründen?

2018 verlieh Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Katja Urbatsch für ihr Engagement mit Arbeiterkind.de das Bundesverdienstkreuz am Bande.

2018 verlieh Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Katja Urbatsch für ihr Engagement mit Arbeiterkind.de das Bundesverdienstkreuz am Bande.

(Foto: imago/Emmanuele Contini)

Mein Bruder und ich waren die Ersten aus unserer Familie, die studiert haben. Sofort in den ersten Wochen des Studiums hatte ich einen Kulturschock. Ich hatte das Gefühl, die anderen hätten mir einiges voraus. Zum Beispiel, dass ihre Eltern sie mehr unterstützen, dass es für die anderen selbstverständlich war zu studieren, dass sie ein anderes Vokabular hatten, dass sie andere, viel prestigeträchtigere Praktika oder Auslandsaufenthalte gemacht hatten. Ich habe mich klein und ein bisschen verloren gefühlt. Und niemand hat über das Thema geredet. Deshalb war es mir nach meinem Studium wichtig, das Thema auf die Agenda zu setzen.

Was meinen Sie damit, "das Thema auf die Agenda zu setzen"?

Ich wollte mich ehrenamtlich an der Universität Gießen, wo ich promoviere, engagieren. Die Idee war, eine Internetseite zu machen, wo ich meine Erfahrungen mit anderen teilen und Informationen weitergeben kann. Denn ich hätte mir gewünscht, dass mir jemand sagt, was es eigentlich bedeutet, als Erster oder Erste in der Familie zu studieren. Es haben sich ganz viele Menschen mit ähnlichen Erfahrungen gemeldet, die mitmachen und sich engagieren wollten. Auf einmal wurden aus dem Engagement eine gemeinnützige Organisation.

Was machen Sie bei Arbeiterkind.de genau?

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Wir sind ein ideelles Förderprogramm. Zu unserer großen Community gehören Tausende Ehrenamtliche an 80 lokalen Standorten bundesweit. Das sind Menschen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen. Die meisten kommen aus finanzschwachen Familien. Es gibt aber auch welche, bei denen die Eltern das Studium finanzieren können. Zu unserem Programm gehören Informationsveranstaltungen an Schulen, aber auch Workshops an Hochschulen oder mit angehenden Lehrerinnen und Lehrern, um Menschen im System für soziale Herkunft zu sensibilisieren. Um Stipendien zu vergeben, haben wir selbst keine finanziellen Mittel. Wir unterstützen zum Thema BAFÖG, helfen bei Anträgen und kooperieren mit den Begabtenförderwerken oder auch mit anderen Stipendiengebern. Auf diese Stipendien machen wir aufmerksam und unterstützen bei Bewerbungen.

Viele Stipendien, wie das Programm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes oder der 13 Begabtenförderwerke, die vom Bildungsministerium gefördert werden, sind notenabhängig. Bekommt man Förderung nur, wenn man gut genug ist?

1971 tritt das Bundesausbildungsförderungsgesetz in Kraft, danach wird BAföG erstmals ausgezahlt.

1971 tritt das Bundesausbildungsförderungsgesetz in Kraft, danach wird BAföG erstmals ausgezahlt.

(Foto: picture alliance / Panama Pictures)

Ich finde "begabt" oder "Begabtenförderung" einen schwierigen Begriff. Gerne würde ich ihn durch Studienförderung ersetzen. Wir arbeiten schon lange mit den Förderwerken zusammen. Es geht nicht nur um Leistung, sondern um eine Kombination von Noten und Engagement. Bei der Auswahl schauen die Stipendiengeber mittlerweile mehr auf soziale Herkunft und allgemeine Lebensleistung. Eine Studierende aus unserer Community mit einem Zweisechser-Abitur hat zum Beispiel ein Stipendium bekommen. Es ist ein Mythos, dass nur "Eins-Nuller" Stipendien bekämen. Problematisch ist eher das ehrenamtliche Engagement, das die Stipendiengeber fordern. Verantwortung zu übernehmen und sich ehrenamtlich zu engagieren, das ist ein Luxus der Mittelschicht. Viele aus unserer Community müssen jobben oder haben bereits andere soziale Verpflichtungen in der Familie. Die können sich das gar nicht leisten.

Welche Hürden gibt es aus Ihrer Sicht bei der BAFÖG-Beantragung?

Das BAFÖG ist viel zu kompliziert. Man muss die Eltern einbeziehen. Das kann zu Schwierigkeiten führen, weil die häufig ihr Gehalt nicht preisgeben wollen. Oder generell Hemmungen vor deutscher Verwaltung und Überforderung mit der Bürokratie haben. Vielleicht hat man auch geschiedene Eltern, da ist dann vielleicht die Kommunikation schwierig. Wenn man BAFÖG beantragt, weiß man vorher überhaupt nicht, was man bekommt. Das überfordert viele. Und dann sagen einige, da gehe ich lieber jobben.

Was würden Sie sich von der Politik wünschen?

Der größte Hebel ist die Studienfinanzierung. Da bräuchten wir noch einen richtig großen Wurf. Beim BAFÖG müssen wir komplett neu anfangen, sich frisch ans Reißbrett setzen, die Idee neu denken und zeitgemäß konzipieren. Aber der Mut ist gerade nicht da.

Mit Katja Urbatsch sprach Rebecca Wegmann

Quelle: ntv.de

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