Panorama

Reaktionen auf PISA-Ergebnisse "Das deutsche Schulsystem ist heruntergewirtschaftet"

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Vor allem die Förderung der Eltern entscheidet über den Bildungserfolg von Kindern.

Vor allem die Förderung der Eltern entscheidet über den Bildungserfolg von Kindern.

(Foto: IMAGO/Bernd Leitner)

Die OECD legt die neusten PISA-Ergebnisse vor. Sie fallen für Deutschland schlechter denn je aus. Bildungsexperten und -expertinnen reagieren wenig überrascht. Corona habe Entwicklungen verstärkt, bei denen es schon länger in der Bildungspolitik schiefläuft.

Das schlechte Abschneiden der Schülerinnen und Schüler in Deutschland bei der neuen PISA-Studie hat den Soziologen Aladin El-Mafaalani nicht überrascht. "Diesen Trend beobachten wir seit rund zehn Jahren. Corona hat ihn lediglich verstärkt", sagt er dem "Stern". "Das deutsche Schulsystem ist heruntergewirtschaftet, es fehlen Fachkräfte. Und die Migration hat zugenommen", so El-Mafaalani, der an der Universität Osnabrück hauptsächlich zu den Themen Bildungsgerechtigkeit und Migration forscht.

"In den Ballungsräumen hat mittlerweile die Mehrheit der Kinder in Kitas und Grundschulen einen Migrationshintergrund. Dort werden in den Grundschulen 20 verschiedene Sprachen gesprochen." Auf diese neue "Superdiversität" sei das Schulsystem nicht eingestellt, so der Soziologe. "Wir brauchen so etwas wie ein Sondervermögen für die Bildung von 100 Milliarden Euro." Dazu fordert El-Mafaalani den Ausbau von Ganztagsschulen, die alle Kinder fördern und Anregungen bieten können. Denn noch immer liege zu viel Verantwortung bei den Eltern. Das sei ungerecht für Kinder aus benachteiligten Elternhäusern, weil ihre Väter und Mütter sie beim Lernen nicht unterstützen können. Es sei aber auch ungerecht für Kinder von berufstätigen Eltern, die ganztägig eine hohe Qualität von Schule bräuchten.

Wird Versprechen von Bildung eingelöst?

Auch für den Kinderschutzbund sind die Ergebnisse ein weiterer Beweis dafür, dass die Benachteiligung von armen Kindern im deutschen Bildungswesen System hat. Deutschland schaffe es nach wie vor nicht, "das Versprechen vom Aufstieg durch Bildung einzulösen", sagte Sabine Andresen, Präsidentin des Kinderschutzbundes, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Wir scheitern am eigenen Anspruch, allen Kindern gerechte Chancen zu bieten."

Dass Kinder - egal welcher Herkunft - heute im Durchschnitt schlechter lesen und rechnen könnten als noch 2018, "muss uns alarmieren", so Andresen. Offenbar sei es nicht gelungen, die Defizite aus der Corona-Pandemie aufzuholen. Im Gegenteil: "Kinder stehen immer öfter vor verschlossenen Schultoren, weil Schulen weder personell noch infrastrukturell hinreichend ausgestattet sind."

Umstrittener wirtschaftspolitischer Ansatz

Der Deutsche Lehrerverband fordert als Reaktion auf die Ergebnisse der Studie mehr Anstrengungen bei der frühkindlichen Bildung. Schlüssel zu nachhaltigem Bildungserfolg seien schließlich die Grundkompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechnen, sagte Verbandspräsident Stefan Düll der Funke Mediengruppe. Düll betonte, sein Rezept für mehr Chancengleichheit im Schulsystem seien verpflichtende Vorschuljahre, Sprachstand-Tests in Kitas und gezielte Sprachförderung.

Kritik übte er am wirtschaftsorientierten Ansatz der PISA-Studie, der nicht den Blick verstellen dürfe auf die Bedeutung von musischen Fächern, die genau diese kulturellen Erfolgsfaktoren förderten. Doch ohne eine genügende Anzahl von Lehrerinnen und Lehrern ginge es nicht. Zusammen mit Schulpsychologen und Erziehern müssten sie mehr Zeit und Kompetenzen mitbringen, um Kinder besser sozial-emotional fördern zu können. Zudem müssten Klassen und Lerngruppen kleiner und Schulgebäude besser ausgestattet werden für eine konzentrations- und wertschätzende Umgebung.

Allerdings lasse sich allein durch schulische Förderung der konstatierte Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und Lernerfolg nicht aufheben. "Offen bleibt, welche Bedeutung die Corona-Zeit mit Schulschließungen und Distanzunterricht für die Defizite im Kompetenzerwerb und im sozial-emotionalen Wohlbefinden hat." Düll setzt weiterhin auf die Eltern - im Sinne einer "vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule".

Quelle: ntv.de, sba

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