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Lawinen, Steine, Klimawandel Die Alpen, schon immer ein Ort des Extremwetters

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Künstlich beschneite Pisten - anders kann man den Betrieb oft kaum mehr aufrechterhalten. Schön für die Skifahrer, schlecht für die Natur.

Künstlich beschneite Pisten - anders kann man den Betrieb oft kaum mehr aufrechterhalten. Schön für die Skifahrer, schlecht für die Natur.

(Foto: Bernd Thissen/dpa/Archivbild)

Lawinen - aus Schnee, Schlamm oder Steinen. Hagelkörner so groß wie Tennisbälle und Stürme, die aus großem technischen Gerät Spielzeug machen: Das Wetter spielt verrückt. Ob das so ist, ob das so bleibt und woher das kommt, erklärt Wetterexperte Paul Heger bei ntv.de.

Ob in Deutschland, Italien, Österreich, Frankreich oder der Schweiz: In den Alpen sind die Lawinen los. In Zermatt wurden Anfang der Woche vier Menschen von den Schneemassen mitgerissen, drei kamen ums Leben, eine vierte Person konnte schwer verletzt geborgen werden. Gefühlt hört man diese Nachrichten im Augenblick andauernd - woran liegt's? Am Klimawandel? Einfach nur "am Wetter"? An der Leichtsinnigkeit der Menschen, die Warnungen nicht ernst genug nehmen?

Blick zurück: Eine erhöhte Gefahrenlage zeichnete sich wegen der Wetterverhältnisse über die Ostertage in der Schweiz und andernorts in den Alpen über Tage hinweg ab: In der Höhe war viel Schnee gefallen, und gleichzeitig gab es teils orkanartige Winde. Dadurch entstanden große Treibschnee-Ansammlungen, die besonders "störanfällig" sind. Auch in Österreich und Südtirol war die Lawinengefahr stellenweise groß. Wie Experten aus der Schweiz mitteilen, ist es durchaus möglich, dass einzelne Wintersportler stellenweise Lawinen auslösen, auch sehr große. Tourenski und Variantenabfahrten erfordern daher große Kenntnis, Vorsicht und Zurückhaltung.

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Genau daran mangelt es jedoch offensichtlich, der Mensch glaubt, mit seiner Profi-Ausrüstung vor den Tücken der Natur gewappnet zu sein. Mitnichten. Das Unglück in der Schweiz war in einem sogenannten Variantengebiet passiert. Das heißt, dort sind keine angelegten und überwachten Pisten, sondern Wintersportler fahren im Tiefschnee. Hier passieren die meisten Lawinenunfälle. Zwar werden selbst markierte Pisten gesperrt, wenn oberhalb Lawinengefahr besteht, das nützt nur nichts, wenn sich niemand dran hält.

"Grundsätzlich sind Lawinen erstmal ganz normale Phänomene", sagt Paul Heger, Wetterexperte bei RTL/ntv, im Gespräch mit ntv.de. "Wo viel Schnee fällt und liegt, kann Schnee auch abrutschen. Ob es eine messbare und signifikante Veränderung der Anzahl oder Qualität der Lawinen mit dem Klimawandel gibt, wissen die Lawinen-Experten," gibt er zu bedenken. Heger ist sich aber sicher, dass der intensive Wintersporttourismus bei Lawinenabgängen einen Faktor darstellt: "Leider löst der Mensch regelmäßig durch Unachtsamkeit und Aktionen abseits der Pisten zusätzliche Lawinen aus. Und die meisten Unfälle - mit dementsprechend vielen Opfern - gibt es deswegen wohl auch bei Lawinenwarnstufe 3 von 5", gibt Heger zu bedenken. Die meisten glauben, es wird schon nicht so schlimm sein, eventuell herrscht sogar sonniges, ruhiges Wetter. "Der Scheint trügt aber oft. Gerade Tauwetter kann die Lawinengefahr deutlich ansteigen lassen", warnt der Wetterkundige.

Eher mehr als weniger Schnee

Und hat das nun was mit dem Klimawandel zu tun? "Hinsichtlich Schnee bringt der Klimawandel in den Höhenlagen tatsächlich erstmal eher mehr als weniger Schnee, da es im Winterhalbjahr grundsätzlich mehr Niederschläge gibt", so Heger. Im Sommer geht der Niederschlag zurück, aber solange es 'oben' kalt genug ist, gibt es auch mehr Schnee. Eventuell könnte das die Lawinengefahr im Zuge des Klimawandels verstärken. "Wobei viel Schnee nicht immer gleich große Lawinengefahr bedeutet", beruhigt der Wetterexperte. Der Aufbau der Schneeschicht ist von großer Bedeutung: Unterschiedlich dichte Schichten, die teils von Eisschichten voneinander getrennt sind, können aufeinander abgleiten und Lawinen auslösen. Wetterlagen mit starken Witterungswechseln wie zuletzt befördern daher die Lawinengefahr.

Da es eine Tendenz zu extremeren Wechseln gibt - könnte das die Lawinengefahr aus größeren Höhen ansteigen lassen? Forschende an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, kurz WSL, haben untersucht, welche Folgen der Klimawandel für die Lawinenaktivität in der Schweiz oberhalb von 1800 Metern über dem Meeresspiegel haben wird. "Die Zahl der trockenen Lawinen wird zwar abnehmen, aber je nach Klimaszenario nimmt die Zahl der Nassschneelawinen gleichzeitig zu, auch während der touristischen Hochsaison. Ein Effekt, der in den kommenden Jahrzehnten erst wenig, bis zum Ende des Jahrhunderts aber immer deutlicher zutage treten wird", ist man sich beim WSL sicher.

"Auch Felsstürze nehmen auf alle Fälle zu", warnt Heger. "Das hängt mit dem Schmelzen des Permafrosts in den höheren Bergen zusammen. Sie sind im Inneren gefroren." Diese Tatsache gelte auch für die Zugspitze, dort wird in einem Forschungstunnel durch das Massiv der Rückgang des Eises im Gestein gemessen. Durch das Auftauen verlieren die Berge an Festigkeit und Gestein kann abstürzen. Außerdem: Dort, wo früher fast ausschließlich Frost war, gibt es jetzt mehr und stärkere Schwankungen zwischen Frost und Plusgraden. Damit kommt es häufiger zur Frostsprengung. Dabei taut im Gestein gebundenes Wasser, versickert in Rissen, gefriert wieder, dehnt sich aus und treibt damit größer werdende Risse in die Felsen.

Sessellift oder Kettenkarussell?

RTL/ntv-Wetterexperte Paul Heger

RTL/ntv-Wetterexperte Paul Heger

(Foto: RTL)

"Die flatternden Sessellifte" - da muss Heger schmuzeln: "Das kam schon immer vor und wird in Zeiten überall befindlicher Smartphones einfach nur häufiger gefilmt." Also, das ist kein plötzliches Phänomen? "Ja gut, da war es wirklich sehr windig durch plötzlich einsetzenden Föhn", lenkt er ein. "Aber auch die Tatsache, dass es immer mehr Lifte in entsprechend exponierten Lagen gibt und geben wird, lassen solche Aufnahmen sicherlich in der Zukunft zunehmen. Der Wind dagegen nimmt nicht unbedingt zu, zumindest kenne ich keine signifikante Veränderung", so der Wetterexperte.

Ansonsten gilt: Die Alpen sind, wie kein anderer Naturraum in Europa, von einer übermäßigen Erwärmung betroffen. Die Gletscherschmelze gibt nicht nur lockeres Gestein frei, womit es zu Geröll- oder Schlammlawinen kommen kann, auch die Wasserspeicher der Alpen schwinden. Noch sind die Alpenflüsse nach trockenen Spätsommern nicht leer, "aber in der italienischen Po-Ebene hat man schon mal einen Vorgeschmack bekommen, wie das in ein paar Jahrzehnten auch in Flüssen nördlich der Alpen aussehen könnte. Der Rhein bekam ebenfalls schon mehrfach Probleme, auch wenn Bodensee und andere Zuläufe das Ganze noch abpuffern", so Heger.

Die Erwärmung sorgt auch für heftigere Gewitter, und die wärmere Luft nimmt mehr Feuchtigkeit auf. Mehr Wärme und mehr Feuchtigkeit bringen ein Vielfaches an Energie, welche sich in Gewittern entlädt. "Da die Berge aufgrund der Thermik an den Berghängen deutlich schneller Gewitter auslösen als anderswo, produzieren sie ihre eigenen Unwetter, welche mit mehr Energie heftiger werden. Größerer Hagel kann beispielsweise die Folge sein", sagt Heger und erinnert an die Rekordhagel südlich der Alpen in Norditalien letztes Jahr.

Grundsätzlich fasst Paul Heger zusammen, dass die Alpen schon immer ein Ort des Extremwetters waren: "Der Klimawandel wirkt dem nicht entgegen, eher verstärkt er die Extreme oder schafft sogar neue."

Quelle: ntv.de

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