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Nur Kaltblüter betroffen Oder-Tragödie ist für Landtiere bislang ungefährlich

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Säugetiere wie der Fischotter und Vögel blieben von der Katastrophe in der Oder bisher verschont.

Säugetiere wie der Fischotter und Vögel blieben von der Katastrophe in der Oder bisher verschont.

(Foto: imago images/imagebroker)

Nach dem Fischsterben in der Oder geben Experten vorerst Entwarnung für tierische Landbewohner: Bisher scheinen nur kaltblütige Tierarten von der Katastrophe betroffen zu sein. Vögel und Säugetiere bleiben bislang verschont. Der Erholung des Flusses stehen derweil einige Hindernisse entgegen.

Ob Eisvogel, Seeadler oder Otter: Im Gebiet der Oder sind eine ganze Reihe seltener und geschützter Arten heimisch. Das massive Fischsterben bedeutet Experten zufolge für viele aber bisher keine Gefahr. "Nach bisherigen Erkenntnissen sind nur kaltblütige Tierarten betroffen, wie Fische, Muscheln und Schnecken", sagte Dirk Treichel, Leiter des Nationalparks Unteres Odertal. Zu den sogenannten kaltblütigen Tieren gehören Fische, Amphibien und Reptilien, nicht aber Vögel und Säugetiere.

Neben Hunderten Tonnen toter Fische, die entlang der Oder bereits geborgen wurden, seien in Ufernähe nun auch riesige Teppiche toter Wasserschnecken zu beobachten, so Treichel. Auch viele tote Muscheln treiben demnach an die Wasseroberfläche. "Wir gehen davon aus, dass Fischotter jetzt auch Kadaver oder gerade sterbende Fische gefressen haben. Es gibt aber keine Funde von toten Exemplaren", sagte Treichel. "Ornithologen haben zwei tote Kormorane und fünf tote Enten gefunden. Es ist aber nicht erkennbar, dass es da einen ursächlichen Zusammenhang zum Fischsterben gibt", ergänzte Christian Wolter vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei.

Kochsalz fördert Algenentwicklung

Wolter und Kollegen hatten vergangene Woche auf das starke Wachstum der Algenart Prymnesium parvum hingewiesen, die ein für Fische tödliches Gift bilden kann. "Dieses Gift wurde in signifikanten Konzentrationen in der Oder nachgewiesen, die dieses Sterben herbeigeführt haben könnten", sagte Wolter. Die Massenentwicklung der Alge sei nur durch eine hohe Salzkonzentration im Flusswasser möglich gewesen. "Kollegen von mir haben festgestellt, dass es sich um Kochsalz handelt. Es ist gut geeignet für die Algenentwicklung", so Wolter. Er gehe davon aus, dass es sich dabei um ein Abfallprodukt aus der Industrie handele. "Ich weiß aber nicht, bei welchem Prozess solche Mengen an Kochsalz anfallen und warum man sie ausgerechnet bei Niedrigwasser loswerden muss."

Weltweit habe es bereits verschiedene andere Fälle von massenhaftem Fischsterben durch das Algengift gegeben. "Bei ähnlichen Katastrophen wurde nicht berichtet, dass auch warmblütige Tiere betroffen sind", sagte Wolter. Die Oder-Katastrophe könnte aber für Arten wie Reiher und Kormorane, die lebende Fische jagen, das Angebot verknappen. "Allerdings können diese Arten auch in umliegende Gewässer ausweichen, ohne dass sich ihr Anflugrevier groß verändern muss", so Wolter. Zudem würden Seeadler auch toten Fisch fressen. "Die haben damit kein Problem."

Die Oder galt bis zum massiven Fischsterben als ein sehr fischreiches Gewässer. "Etwa 50 Arten wurden in der Oder nachgewiesen, darunter auch so besondere wie Steinbeißer, Rapfen und Schlammpeitzger", sagte Treichel. Der Gewässerökologe Wolter geht davon aus, dass ein Teil der Fische überlebt hat. Für sie könne allerdings der Sauerstoffmangel gefährlich werden, der beim Abbau der Algen noch entstehen werde.

Ausbau der Schifffahrt als Risikofaktor

Die Chancen für eine Erholung des Flusses schätzt er gut ein. "Der Oder kommt zugute, dass sie zum Meer hin keine Barriere hat. Fische können ohne unser Zutun ein- und auswandern. Es werden Fische der Schadwelle ausgewichen sein, die hinterher wieder zurückwandern können", so Wolter. "Fische haben ein hohes Reproduktionspotenzial. Ich rechne damit, dass wir in zwei bis drei Jahren das Fischsterben nur noch an der Alterspyramide erkennen", so der Gewässer-Ökologe. Dann werde es hauptsächlich junge und relativ kleine Fische geben - was allerdings für die Fischerei ein Problem sein werde.

Eine große Gefahr für die Oder aus seiner Sicht: Der geplante Ausbau für die Schifffahrt. "Dieser ist absolut nicht mit einer Erholung des Flusses vereinbar. Wir haben ja mit der Oder-Katastrophe einmal mehr gelernt, dass wir versuchen müssen, Niedrigwassersituationen vorzubeugen und gar nicht erst aufkommen zu lassen", so Wolter. Der Ausbau sei auch wirtschaftlich nicht nachvollziehbar und das geringe Aufkommen an Schiffen stehe in keinem Verhältnis zum Aufwand.

Auch der Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, Klement Tockner, warnte vor einem Ausbau: "Dieser ist katastrophal für die Oder." Der Bau einer tieferen Fahrrinne sorge in den angrenzenden Bereichen für einen absinkenden Grundwasserspiegel. Außerdem seien weitere Staudämme geplant. All das führe zu einer massiven Verschlechterung des ökologischen Zustands, so Tockner. "Man ertüchtigt den Fluss für eine einzige Funktion zulasten vieler wertvoller Leistungen. Der Fluss bietet Erholung, ist ein wertvolles Ökosystem und hält das Wasser in der Landschaft zurück - bei Niedrig- und bei Hochwasser. All das wird bei einem Ausbau leiden und dies kann zu deutlich größeren Schäden führen."

(Dieser Artikel wurde am Donnerstag, 25. August 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de, Anja Sokolow, dpa

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