Schwieriger Vergleich Inzidenzen der Ungeimpften 14 Mal höher?
02.09.2021, 18:41 Uhr
Covid-19-Impfungen schützen nicht nur sehr gut vor schweren Erkrankungen, sie verhindern auch die meisten Infektionen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Aktuellen Zahlen zufolge ist die Covid-19-Inzidenz von Ungeimpften in Bayern 14 Mal höher als die von Geimpften. Vielleicht ist der Unterschied etwas geringer, aber er könnte auch noch größer sein. Genau weiß man es nicht, denn ein direkter Vergleich ist nicht leicht.
Dass sich geimpfte Menschen seltener mit Covid-19 anstecken als ungeimpfte, ist keine Überraschung, alles andere wäre eine große Enttäuschung. Schließlich hieße dies, dass die Impfstoffe nichts taugen. Das Gegenteil ist der Fall, die Fallzahlen der Ungeimpften sind deutlich höher als die von Geimpften, wie aktuelle Zahlen aus einigen Bundesländern und Städten zeigen. Doch wie groß der Unterschied tatsächlich ist, ergibt sich aus den Werten kaum, da sie das tatsächliche Infektionsgeschehen nur sehr ungenau abbilden.
Bisher sind Inzidenzen nach Impfstatus noch die große Ausnahme, die meisten Bundesländer, Städte und Kreise geben sie nicht an. Bayern und Baden-Württemberg sind Vorreiter: Sie veröffentlichen jetzt schon in ihren täglichen Lageberichten gesonderte Inzidenzen von Geimpften und Ungeimpften.
Die Unterschiede sind immens. Baden-Württemberg meldet für den ersten September eine Gesamtinzidenz von 81,8 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche. Für geimpfte Personen gibt das Landesgesundheitsamt (LGA) aber nur 15 Fälle an, während es für ungeschützte Menschen 180,8 sind. Das heißt, die Inzidenz der Ungeimpften ist zwölfmal höher als die der Geimpften.
14 Mal höhere Inzidenz bei Ungeimpften in Bayern
Noch größer ist der Unterschied bei den Zahlen, die das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) meldet. Die Gesamtinzidenz betrug dort gestern rund 65. Dabei standen 158,8 Neuansteckungen bei den Ungeimpften 11,27 Fällen bei den Geimpften gegenüber. Das sind 14 Mal so viele.
Ähnlich hoch wie in Baden-Württemberg fällt der Unterschied in Sachsen-Anhalt aus, das mit 18,9 aktuell die niedrigste 7-Tage-Inzidenz aller 16 Bundesländer aufweist. Das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration zeigt zwar noch keine tagesaktuellen Einzelwerte auf seiner Corona-Website, aber eine interessante Grafik, die den Verlauf der beiden Werte seit dem 1. August zeigt. Man sieht, dass die Inzidenz der Geimpften praktisch unverändert knapp unter 3 geblieben ist, während sie bei den Ungeimpften jetzt schon fast 35 erreicht hat, knapp zwölfmal mehr.
Schleswig-Holstein veröffentlicht zwar noch nicht regelmäßig nach Impfstatus getrennte Werte, aber man erhält sie beim Sozialministerium auf Anfrage. Am 30. August zählte das Bundesland 48,2 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche (aktuell 49,5). Die Inzidenz der geimpften Einwohner betrug 13,4, die der ungeimpften Bevölkerung 102,7. Damit ist der Wert rund achtmal höher.
Verlauf veranschaulicht Unterschied
Auch Schleswig-Holstein liefert zu den Werten eine Verlaufsgrafik mit, an der man gut sehen kann, dass die Inzidenz der Geimpften seit Juli von praktisch null bis August nur langsam gestiegen ist und seitdem nahezu gleich geblieben ist. Bei den Ungeimpften ist sie Mitte Juli steil nach oben gegangen und bewegt sich seit Mitte August konstant über 100.

Die Grafik aus Schleswig-Holstein zeigt gut, wie unterschiedlich sich die Inzidenzen von Geimpften und Ungeimpften entwickeln.
(Foto: Landesmeldestelle Kiel)
Eine recht aktuelle Angabe gibt es auch aus der NRW-Stadt Krefeld vom 31. August, an dem die Gesamtinzidenz der Stadt rund 192 betrug. Im Corona-Blog der Stadt wird an diesem Tag über 419 Neuinfektionen in den vorangegangenen sieben Tagen berichtet, wobei es sich bei 39 Fällen um Impfdurchbrüche handelte. Daraus errechnete der Fachbereich Gesundheit eine Inzidenz der Ungeimpften von 454 Infektionen. Für die Geimpften ergab sich ein Wert von 25,3. Das ist fast 18 Mal höher.
Aus Bremen gibt es ebenfalls ein Schlaglicht auf die unterschiedlichen Inzidenzen. Am 26. lagen sie in der Hansestadt bei den Ungeimpften mit 61 Neuinfektionen rund neunmal höher als bei den Geimpften, die sieben Fälle in den vorangegangenen sieben Tagen zählten.
Unterschiedliche Berechnungsgrundlage
Als erstes erregte Hamburg am 24. August Aufsehen durch eine Pressemitteilung zu nach Impfstatus getrennten Fallzahlen. Demnach lag zu diesem Zeitpunkt die Inzidenz der geimpften Bürger bei 3,36, bei den ungeimpften Einwohnern bei 78,12. Allerdings kam schnell Kritik an den Werten auf, da es in der Pressemitteilung heißt, die Werte bezögen sich auf die Gesamtbevölkerung. Denn eine Inzidenz sollte anhand der jeweiligen Gruppe ermittelt werden, also die Fallzahlen der Geimpften und Ungeimpften bezogen zu ihrem Anteil in der Bevölkerung.
Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein berechnen die getrennten Sieben-Tage-Inzidenzen entsprechend. Die nach Impfstatus getrennten Neuinfektionen werden den Bevölkerungszahlen für Geimpfte und Ungeimpfte aus dem Digitalen Impfmonitoring des RKI gegenübergestellt.
Eine Sprecherin des Senats sagte ntv.de, Hamburg habe die Gesamtbevölkerung bewusst als Grundlage genommen. Bevor man weitere Inzidenzen nach Impfstatus veröffentliche, warte man aber ab, bis eine bundeseinheitliche Berechnungsgrundlage vorliegt.
Werte so oder so ungenau
So oder so sind die ermittelten Zahlen nur Annäherungswerte. Sie zeigen zwar deutlich, dass die große Mehrheit der Neuinfektionen auf das Konto von Ungeimpften gehen, können aber das tatsächliche Infektionsgeschehen der beiden Gruppen nicht exakt abbilden.
Das liegt zunächst daran, dass bisher nur vollständig geimpfte Menschen gezählt werden, also 14 Tage nach ihrer zweiten Dosis, beziehungsweise nach einer Spritze mit dem Vakzin von Johnson & Johnson. Möglicherweise geben Infizierte ihren Impfstatus auch falsch an, beispielsweise weil sie sich schämen, sich trotz einer Impfung angesteckt zu haben.
Es kommt aber bereits zu Unschärfen bei der Ermittlung der Anzahl der Infektionen in den jeweiligen Gruppen. In der Regel werden PCR-Tests nur bei Krankheitssymptomen oder einem positiven Schnelltest gemacht. Bei Menschen, die sich trotz vollständiger Impfung anstecken, ist allerdings die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass keine Symptome auftreten oder diese so leicht sind, dass sie nicht bemerkt oder ignoriert werden.
Viele Infektionen nicht erkannt
Dem aktuellen Bericht der britischen Regierung zur Überwachung der Impfwirkung nach schützt das Biontech-Vakzin mit großer Wahrscheinlichkeit vollständig Geimpfte auch gegen die Delta-Variante zu 85 bis 95 Prozent vor einer symptomatischen Erkrankung.
Wie gut der Wirkstoff vor einer Infektion schützt, ist dem Bericht zufolge dagegen noch nicht so klar. Die Effektivität wird demnach zwischen 70 und 90 Prozent angegeben. Das bedeutet, es kann im schlechtesten Fall sehr viele unentdeckte Impfdurchbrüche geben.
Aber auch bei den ungeimpften Menschen werden immer weniger Covid-19-Infektionen erkannt. Da die Impfquoten hauptsächlich bei den älteren Menschen hoch sind, stecken sich vor allem Jüngere an. Symptomatische Ansteckungen sind in diesen Altersgruppen fast so selten wie bei Geimpften. Andererseits werden bei Kindern und Jugendlichen möglicherweise mehr Infektionen durch Schnelltests entdeckt, vor allem in Schulen.
Impfquote möglicherweise deutlich höher
Schließlich könnten die Impfquoten möglicherweise höher liegen als vom RKI ausgewiesen. Das ebenfalls vom RKI durchgeführte Covid-19-Impfquoten-Monitoring in Deutschland (COVIMO) ergab bei der jüngsten Befragung, dass fast 92 Prozent der Erwachsenen bereit sind, sich impfen zu lassen oder bereits geimpft sind.
Damit werden die offiziell erfassten Quoten vor allem bei den Erstimpfungen deutlich übertroffen. Dass die Untererfassung recht groß sein könnte, zeigt auch eine Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung der vergangenen Woche, wonach Hamburger Ärzte mehr als 70.000 Impfungen nicht ans RKI gemeldet hatten.
Quelle: ntv.de