Von Sternchen und Verboten Ist gendersensible Sprache wirklich eine Einschränkung?


Nach Bayern ist Hessen das mittlerweile fünfte deutsche Bundesland, das gendergerechte Sprache in bestimmten Einrichtungen offiziell verbietet.
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Wenn es um gendersensible Sprache geht, wird oft der Begriff der "Sprachpolizei" herangezogen. Zudem sei sie kompliziert und nicht alltagstauglich. Doch einige Menschen, die zu dem Thema forschen, sagen: Das Gegenteil ist der Fall.
Nach Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein ziehen Bayern und Hessen nach und schränken den Gebrauch bestimmter Gender-Zeichen wie Sternchen, Unterstrich oder Binnen-I in Schulen, Universitäten und Behörden ein. Im hessischen Abitur werden diese Formen ab sofort als Fehler angestrichen.
"Mir kommt es absurd vor, dass kein Mensch von Sprachpolizei spricht, wenn Bayern die Sternchen-Form in Schulen, Universitäten und allen öffentlichen Verwaltungen verbietet", sagt Lann Hornscheidt im Gespräch mit ntv.de. Hornscheidt forscht und schreibt seit Jahren zu diskriminierungskritischer Sprache: "Ich kenne keine Person, die feste Regeln einführt und fordert, um in Bezug auf Gender respektvoller zu sprechen. Die Regeln kommen eher von der Gegenseite. Die wird aber nie dafür angegriffen, dass sie genau diese Regeln aufstellt."
Die goldene Regel lautet Respekt
In einer Forsa-Umfrage für das RTL/ntv-Trendbarometer vom Juli 2023 lehnen 73 Prozent der Befragten den Gebrauch von Gender-Sternchen oder ähnlichen Formen in geschriebenen Texten ab. Nur 22 Prozent stimmen mit "ja".
Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg berichtet, viele Menschen sähen im Gendern eine Bevormundung und ein "akademisches Eliteprojekt", das an ihrer Lebensrealität vorbeigehe. Außerdem könne das Gefühl entstehen, ein "Sprachkorsett" angelegt zu bekommen. Das führe häufig letztlich zu Ablehnung und einer "Rückkehr zu konservativen Wertvorstellungen in Bezug auf Geschlechtergleichheit".
Laut Hornscheidt geht es bei gendersensibler Sprache jedoch um das genaue Gegenteil eines Korsetts, nämlich um mehr Freiheit für alle. "Mir ist es wichtig, dass sie keine Einschränkung ist." Es gebe lediglich eine goldene Regel. Und die laute: "respektvoll mit anderen zu sprechen."

Lann Hornscheidt schreibt und forscht zu diskriminierungskritischer Sprache und bietet Workshops und Fortbildungen zum Thema an.
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"Wir haben in dieser Gesellschaft stark gelernt, dass wir richtig oder falsch sprechen können. Das lernen wir schon in der Schule mit Diktaten und Rotstiften", sagt Hornscheidt und schlägt vor, sich beim Sprechen ein Vorbild an den ganz Kleinen zu nehmen: "Alle Leute, die Kinder haben, wissen, wie unglaublich sprachkreativ Kinder sind." In dieser Kreativität sollten Kinder einerseits unterstützt werden. Andererseits könnten sich Erwachsene von diesem spielerischen Zugang zu Sprache auch eine Scheibe abschneiden.
"Es gibt mehr als Männlichkeit und Weiblichkeit"
Eine Möglichkeit, kreativer mit Sprache umzugehen, sei laut Hornscheidt der Gebrauch von Gender-Sternchen, Unterstrichen oder Doppelpunkten. "Begriffe wie Rentner oder Gärtner stellen immer wieder Männlichkeit als allgemeinmenschlich her. Rentner und Rentnerinnen stellen Männlichkeit und Weiblichkeit als die einzigen zwei Optionen her. Formen wie das Gendersternchen, der Doppelpunkt oder Unterstriche zeigen: Es gibt mehr als Männlichkeit und Weiblichkeit."
Doch wie lässt sich gendergerecht schreiben und sprechen, wenn der Gebrauch von eingeführten Gender-Sonderzeichen wie in Bayern verboten ist? Hornscheidt schlägt vor, Gender im Sprechen loszulassen und Menschen einfach als Menschen wahrzunehmen: "Statt der Gärtner oder die Gärtnerin kann ich einfach sagen 'eine Person, die gärtnert'. Das hat auch den riesigen Vorteil, dass nicht alles zu einer substanziellen Identität wird, sondern dass wir viel mehr über unsere Handlungen reden."
"Gendergerechte Sprache tut nicht weh"
Ein Kritikpunkt, der an gendergerechten Formen wie dem Sternchen geäußert wird, ist, dass sie die deutsche Sprache zu stark verändern würden. Dabei befinde sich Sprache ohnehin in permanentem Wandel und werde andauernd erweitert, sagt die Politikwissenschaftlerin Felicia Ewert gegenüber ntv.de: "Vor 100 Jahren hat niemand die Wörter Smartphone oder Internet verwendet. Heute tun wir das ganz selbstverständlich."

Felicia Ewert ist Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Geschlechterforschung. Sie hält Vorträge zu Cissexismus, Homofeindlichkeit, Transfeindlichkeit und Transmisogynie.
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Die Sprachforscherin und Unternehmerin Simone Burel nennt das Gender-Sternchen im ntv.de-Interview eine sinnvolle "sprachliche Reaktion" auf gesellschaftliche Missstände. Die deutsche Sprache werde ohnehin aus vielen unterschiedlichen Richtungen geprägt, unter anderem durch Einflüsse wie Anglizismen, Jugendsprache oder auch das Türkische.
Dass sich das Sternchen als orthografisches Zeichen langfristig durchsetzen wird, glaubt Burel allerdings nicht. Unterstützt wird diese Annahme vom Rat für deutsche Rechtschreibung, der die sogenannten Gender-Sonderzeichen nicht in sein Regelwerk aufgenommen hat. Sie seien "kein Kernbestand der deutschen Orthografie".
Seitens der Politik werde zudem häufig kritisiert, gendergerechte Sprache sei kompliziert und praxisfern, meint Ewert. "Politiker*innen, die die deutsche Sprache schützen wollen, formulieren Begriffe wie Klimaanpassungsgesetz oder Gebäudeenergiegesetz. Und gleichzeitig ist für sie ein Gendersternchen zwischendrin angeblich unlesbar."
Gendergerechte Sprache müsse langsam in unserem Sprachgebrauch ankommen: "Wir brauchen einfach einen Gewöhnungsprozess." Um diesen anzustoßen, reichen laut Ewert zunächst einfache, kleine Schritte: "Eine Möglichkeit ist beispielsweise in Textnachrichten Gender-Sternchen zu verwenden - ganz selbstverständlich, ohne das weiter zu kommentieren. Irgendwann denke ich gar nicht mehr großartig darüber nach. Und ich merke: Gendergerechte Sprache tut nicht weh."
Bei Unsicherheiten: einfach fragen
In starr definierten Geschlechterrollen festzustecken, kann laut Hornscheidt hingegen durchaus schmerzhaft sein: "Wie anstrengend Weiblichkeit ist, wissen wir ja. Aber was ist mit Männlichkeit? Stark sein müssen, keine Gefühle zeigen - das ist auch anstrengend. Wie viel cooler wäre es, ich könnte einfach Gefühle leben oder Gefühle nicht leben und körperlich stark sein oder nicht stark sein? Und das bin dann einfach nur ich."
Hornscheidt räumt aber auch ein: "Ich kann verstehen, dass das sehr verunsichernd sein kann, wenn das wegfällt oder infrage gestellt wird. Was für mich eine totale Befreiung ist, ist für andere Menschen eine große Herausforderung." Um ein besseres Verständnis füreinander zu bekommen, rät Hornscheidt zum Austausch: "Es kann helfen zu sagen 'Ich habe Angst, ich bin verunsichert. Können wir da nochmal drüber reden?'"
Und auch Ewert ermuntert dazu, Fragen zu stellen und Fehler zuzulassen: "Kein Mensch muss über Nacht die perfekte Antidiskriminierungsperson werden. Das ist utopisch und unrealistisch." Zunächst gehe es vor allem darum, erst einmal ins Handeln zu kommen, anstatt Sprachkonzepte ewig zu zerreden.
Längst im Alltag angekommen
Das im April vom Bundestag beschlossene Selbstbestimmungsgesetz zeigt, dass sich auf politischer Ebene ein Umdenken abzeichnet. Seit November können Menschen ihren Geschlechtseintrag beim Standesamt deutlich leichter ändern lassen als bisher.
Vor diesem Hintergrund gibt sich Hornscheidt optimistisch - auch im Hinblick auf die Gender-Debatte: "Diese Entwicklung, und wie schnell es überhaupt zu einer Diskussion um die Sternchen-Form gekommen ist, das ist nicht mehr umkehrbar."
Dass gendergerechtere Sprache bereits im Alltag angekommen ist, zeigt sich heute unter anderem beim Fernsehen. Seit Ende letzten Jahres lautet der bekannte Warntext in Pharma-Werbespots: "Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihre Ärztin, Ihren Arzt oder in Ihrer Apotheke". Der vorherige Hinweis "fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker" sei bereits "seit Jahren wegen der Verwendung des generischen Maskulinums Gegenstand von Diskussionen" gewesen, heißt es dazu aus dem Bundesgesundheitsministerium.
Quelle: ntv.de