Fotos im Jüdischen Museum Berlin Wie Juden nach 1945 in Deutschland weiterleben


1961 fotografierte Freed in Frankfurt am Main eine Frau und ein Kind beim Kerzenanzünden an Schabbat.
(Foto: Leonard Freed/Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/7)
In der Nachkriegszeit reist der US-Fotograf Leonard Freed nach Westdeutschland und fotografiert Menschen jüdischen Glaubens. Seine Bilder dokumentieren, wie die Überlebenden im Land der Täter weiterleben. Derzeit sind seine Fotos erstmals im Jüdischen Museum Berlin zu sehen.
Wenige Jahre nachdem die deutschen Nationalsozialisten sechs Millionen Juden Europas ermordet hatten, reist der US-Amerikaner Leonard Freed nach Westdeutschland. Der Fotojournalist will mit seiner Kamera festhalten, wie Juden im Land der Täter Anfang der 1960er-Jahre leben. Auch Freed ist Jude.
Er richtet seine Kamera auf Menschen, die Jahre der Verfolgung durch die deutschen Nationalsozialisten erlebt hatten und trotzdem nach Deutschland zurückgekehrt waren. 52 Fotografien Freeds stellt das Jüdische Museum Berlin erstmals aus. Die Ausstellung "Deutsche Juden heute" können Besucherinnen und Besucher noch zum 27. April 2025 anschauen.
Ein jüdischer Fotograf im Nachkriegs-Europa
Fernab von den Fronten des Zweiten Weltkrieges wuchs Freed als Sohn jüdischer Einwanderer aus Osteuropa in der US-Millionenstadt New York auf. Er war nicht mal 16 Jahre alt, als der Krieg 1945 endete und die Bilder aus den Konzentrationslagern der Deutschen um die Welt gingen.
Während seiner Reisen durch Europa und Afrika in der Nachkriegszeit entdeckte der junge Freed seine Leidenschaft für das Fotografieren und machte diese schließlich zum Beruf. 1956 berichtete er für seinen ersten Auftrag als Fotojournalist aus Rom. Beim Knipsen auf dem Petersplatz lernte der 27-Jährige Brigitte Klück kennen, kurz darauf heiratete der Jude aus New York die Deutsche. Erst nach der Heirat erzählte er seiner Frau und ihrer Familie, dass er Jude ist.

Grundsteinlegung für die neue Synagoge in Mainz 1962.
(Foto: Leonard Freed/Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/13)
Wenige Jahre nach dem Krieg sprach die angeheiratete Familie über Hunger, Flucht und Vertreibung aus der schlesischen Heimat. Worüber die deutschen Verwandten damals nicht sprachen, war das Schicksal der Juden. Die Deutschen, die nichts gewusst haben (wollten) von den Vernichtungslagern und den Nazi-Verbrechen, faszinierten Freed. Um der Unwissenheit der Deutschen über die jüdische Minorität in ihrem Land entgegenzuwirken, begann er eine Fotoreise durch Westdeutschland. Mit seiner Kamera stellte sich Freed gegen das kollektive Vergessen und Verdrängen.
Gemeinsam mit seiner Ehefrau besuchte er die jüdischen Gemeinden in Frankfurt am Main, Worms, Köln oder auch Düsseldorf. Mit der Kamera hielt Freed fest, wie deutsche Juden nach dem Krieg und dem Holocaust in westdeutschen Städten lebten.
Jüdisches Leben in Deutschland

Der Viehhändler Hugo Spiegel war Schützenkönig in Warendorf.
(Foto: Leonard Freed/Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2006/198/3)
1933 - im Jahr der Machtergreifung - lebten rund eine halbe Million Juden in Deutschland. Von diesen 500.000 Menschen wurden mindestens 165.000 Menschen durch die Nationalsozialisten ermordet. Ein Teil der deutschen Juden konnte früh genug das Land verlassen und entging so der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Nur wenige Juden überlebten im Untergrund in Nazi-Deutschland. Und die wenigsten Überlebenden kamen nach 1945 zurück in ihre alte Heimat.
1950 lebten nur noch etwa 15.000 Juden in der Bundesrepublik Deutschland. Freed fotografiert einige von ihnen, unter anderem die Schauspielerin Ida Ehre, den Journalisten Willy Haas, die Schauspielerin Therese Giehse, den Filmproduzenten Arthur Brauner oder den Regisseur Fritz Kortner. 1962 porträtierte er Hugo Spiegel. Der Viehhändler aus Warendorf im Münsterland war damals wohl der erste Jude in Deutschland überhaupt, der zum Schützenkönig gekrönt wurde. Auch sein Porträt ist in der aktuellen Ausstellung im Jüdischen Museum zu sehen. Freeds Bilder dokumentieren, wie die Überlebenden im Land der Täter weiterlebten und wie sie versuchten, ihren Nachfahren jüdische Traditionen zu vermitteln.

Der Arm einer Frau mit der eintätowierten Nummer des Konzentrationslagers Auschwitz.
(Foto: Leonard Freed/ Jüdisches Museum Berlin, Inv.-Nr. 2008/305/5)
"Diese Fotos sind weder aufrüttelnd noch belehrend. Sie stellen etwas dar, was auf andere Weise kaum ausgedrückt werden kann", schreibt Hans Hermann Köper, der Herausgeber des aus der Reise entstandenen Fotobandes. Freeds Bilder zeigen die Wiederöffnung einer Synagoge, einen verlassenen jüdischen Friedhof, Überreste eines Konzentrationslagers, Menschen im Gebet, Chanukka-Feiernde, Mutter und Kind, die Schabbat feiern, eine jüdische Hochzeit, eine Bar Mizwa oder auch die Nahaufnahme des Unterarms einer Frau, auf dem eine fünfstellige Nummer tätowiert ist. "Sie beschwören ohne laute Klagen die Vergangenheit, sie manifestieren die einfachen Realitäten jüdischen Lebens unter uns (…)", so Köper.
Der Jude, die Deutschen und die Frage der Identität
1965 wurden Freeds Fotografien in dem Fotoband "Deutsche Juden heute" veröffentlicht. Darin schreiben in kurzen Essays berühmte deutsche Juden über ihr Leben nach dem Holocaust. "In dieser Atmosphäre, seltsam gemischt aus schlechtem Gewissen und gutem Willen, leben die jüdischen Gemeinden dieses Landes", leitet Herausgeber Köper den Band ein. Danach erzählen jüdische Zeitzeugen von ihrem Überleben, erinnern an ihre ermordeten Geschwister, Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel und beschreiben ihr Leben unter Deutschen.
"Die Erinnerung an ein erlittenes Leid ist geblieben", bilanziert der Philosoph Ludwig Marcuse in seinem Text. Der Publizist Hermann Kesten nennt Deutschland sein Zuhause. "Das ganze Land sieht aus wie renoviert. Was so unwirklich scheint, ist so wahr, so überwirklich, dass ich unter Tränen lachen muss", schreibt Kesten. "Das Wiedergutmachungsgesetz konnte nicht Millionen Kinder wieder zum Leben bringen, die man umgebracht hatte, weil sie Kinder von Juden waren." In der Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin liegt der Fotoband aus.
Freeds Fotografien bezeugen ein nach 1945 wieder aufkommendes jüdisches Leben in Deutschland. Heute leben rund 95.000 Menschen jüdischen Glaubens im wiedervereinigten Deutschland. Und bis heute sind sie mit der Frage konfrontiert, was es bedeutet, deutsch und gleichzeitig jüdisch zu sein.
"Letztendlich geht es bei der Fotografie darum, wer man ist. Es ist die Suche nach der Wahrheit in Bezug auf sich selbst", sagte Freed laut der Fotoagentur Magnum, der er ab 1972 angehörte. In den 1960er- und 1970er-Jahren fotografierte Freed die Bürgerrechtsbewegung in den USA, die Arbeit der Polizei in New York, den Sechs-Tage-Krieg sowie den Jom-Kippur-Krieg und kehrte auch immer wieder nach Deutschland zurück. "Im Grunde genommen dienen alle Projekte, die ich ausgewählt habe, dazu, mich selbst zu analysieren - um herauszufinden, wer ich in Beziehung zu anderen Menschen bin."
Die Ausstellung "Deutsche Juden heute" ist bis zum 27. April 2025 im Jüdischen Museum Berlin zu sehen.
Quelle: ntv.de