DIVI-Leiter im ntv-Interview "Meiste Sorgen bereitet nicht Sachsen, sondern Bayern"
19.11.2021, 12:17 Uhr
"Jetzt endlich handeln, mit hoher Geschwindigkeit", fordert der Leiter des Intensivregisters DIVI, Christian Karagiannidis. Er verweist darauf, dass Bayern heute oder morgen den Höchststand an Covid-19-Patienten erreichen wird und dann strukturiert Patienten verlegen muss.
ntv: Wie zufrieden sind Sie mit dem, was gestern beschlossen wurde?
Christian Karagiannidis: Ich glaube, das ist etwas, das wir schon vor mehreren Wochen hätten machen müssen. Der Maßnahmenkatalog, den wir haben, ist schon gut, insbesondere mit 2G und vor allen Dingen, dass jetzt alle geboostert werden können und wir die Booster mit hoher Geschwindigkeit ausdehnen. Man vergibt aber ein bisschen eine Chance, indem man die "epidemische Lage" nicht weiterlaufen lässt - wie es die CDU/CSU-Fraktion gefordert hat. Damit hätte man wirklich den ganzen Maßnahmenkatalog. Für mich ist es aber wichtiger, dass wir jetzt endlich handeln, und zwar mit hoher Geschwindigkeit, statt jetzt noch drei Tage zu diskutieren, ob wir die "epidemische Lage" weiterlaufen lassen oder nicht.
Drohen die Intensivstationen denn wirklich schon in den nächsten zwei bis drei Wochen vollzulaufen?
Wir haben in der vierten Welle die Besonderheit, im Gegensatz zu den ersten drei Wellen, dass wir einen unglaublichen Unterschied in Deutschland haben. Vom Nordwesten bis in den Südosten gibt es eine ganz große Differenz bei der Belegung der Covid-19-Patient*innen auf den Intensivstationen. Im Nordwesten liegen wir im Schnitt bei vielleicht 10 Prozent Covid-Patient*innen, im Südosten sind es mittlerweile 30 Prozent und die Kolleg*innen dort laufen in Richtung 50 Prozent.
Was sind die Gründe?
Das liegt einfach an den großen regionalen Unterschieden in den Impfquoten. Die meisten Sorgen bereitet mir ehrlich gesagt gar nicht mal Sachsen, sondern Bayern. Das Land wird heute oder morgen den Höchststand an Covid-19-Patient*innen erreichen. Obendrauf kommen noch die Infektionen der letzten sieben bis zehn Tage. Da kann Bayern sich nicht mehr gegen wehren, das ist alles schon passiert und wird in den nächsten sieben bis zehn Tagen auf das Bundesland zukommen. Ich glaube, dass die beiden Bundesländer, Bayern und auch Thüringen, im Laufe der nächsten und übernächsten Woche strukturiert Patient*innen in andere Bundesländer verlegen werden müssen, um es überhaupt noch einigermaßen bewältigen zu können.
Wer liegt denn aktuell auf den Intensivstationen?
Wir haben zwei Populationen: Die eine Population sind die jungen, ungeimpften Patient*innen. Das ist das, was sich schon im Sommer so angekündigt und auch fortgesetzt hat. Und in den vergangenen Wochen sind noch insbesondere ältere Patient*innen hinzugekommen, solche mit einer Dämpfung des Immunsystems zum Beispiel nach einer Transplantation. Da gibt es zunehmend Impfdurchbrüche.
Was macht das mit Ihnen - die vollen Stationen und die vielen Ungeimpften?
Wir nehmen es zähneknirschend hin. Ich betone immer wieder, wie wichtig es ist, dass wir in der medizinischen Behandlung keinen Unterschied machen zwischen Geimpften und Ungeimpften. Ich weiß, dass das vielen schwerfällt und ich weiß, dass viele die Zähne zusammenbeißen müssen. Aber ich glaube, dieser Gleichheitsgrundsatz ist enorm wichtig. Wir behandeln auch Patient*innen, die lebenslang geraucht haben und machen uns keine Gedanken darüber, ob man das nicht hätte verhindern können. Ich glaube, das ist auch für die kommenden Monate wichtig. Bis April wird uns das begleiten, dass wir Geimpfte und Ungeimpfte gleichermaßen behandeln. Nichtsdestotrotz müssen wir noch einmal sagen: Die einzige nachhaltige Lösung ist, dass sich mehr Menschen impfen lassen. Alle Maßnahmen - Kontaktbeschränkungen, 2G und 3G - helfen immer nur vorübergehend. Das Einzige, was nachhaltig hilft, ist das Impfen.
Mit Christian Karagiannidis sprach Marcel Wagner
Quelle: ntv.de