Panorama

Kenias Hungersekte Das Shakahola-Massaker im Wald des Grauens

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Inzwischen ist der Wald abgesperrt, die Behörden vermuten, dass dort noch weitere Opfer begraben liegen.

Inzwischen ist der Wald abgesperrt, die Behörden vermuten, dass dort noch weitere Opfer begraben liegen.

(Foto: picture alliance / AA)

In Kenia entdecken die Behörden im April vergangenen Jahres Massengräber mit Hunderten Toten. Es sind Anhänger von Paul Nthenge Mackenzie und seiner Kirche "Good News International Ministries". Was in den folgenden Wochen und Monaten ans Licht kommt, entpuppt sich als eines der tragischsten Ereignisse weltweit im Zusammenhang mit sogenannten Sekten.

Paul Nthenge Mackenzie, der Anführer der Kirche "Good News International Ministries", steht derzeit wegen Terrorismus vor Gericht. Der Vorwurf: Mackenzie, der im April letzten Jahres verhaftet wurde, soll seine Anhängerinnen und Anhänger angestiftet haben, sich durch Verhungern in den Himmel zu begeben, um Jesus zu treffen. Es ist eines der schlimmsten Verbrechen im Zusammenhang mit "Sekten", die die Welt je gesehen hat.

Der Fall sorgt weit über die Grenzen Kenias hinaus für Entsetzen. Aber auch vor Ort ist das Interesse an dem Prozess riesig. In der kenianischen Hafenstadt Mombasa drängen sich zu Prozessbeginn Menschenmengen, um einen Blick auf den selbst ernannten Pastor und seine 94 Mitangeklagten zu erhaschen.

Die Anklagen umfassen Mord, Totschlag sowie Kindesmisshandlung und -quälerei. Bislang sind die Überreste von über 440 Menschen in einem Wald nahe der kenianischen Küstenstadt Malindi entdeckt worden. Es ist der Ort, der nun als Schauplatz des "Shakahola-Wald-Massakers" bekannt ist. Bereits vor Prozessbeginn plädierten sowohl Mackenzie als auch seine Mitangeklagten auf "nicht schuldig".

Paul Mackenzie bereicherte sich vermutlich an seinen Anhängern.

Paul Mackenzie bereicherte sich vermutlich an seinen Anhängern.

(Foto: REUTERS)

Nach den Funden enthüllen die Autopsien der Leichen erst nach und nach das schreckliche Ausmaß der Verbrechen. Während Verhungern die Haupttodesursache war, wurden einige Opfer - darunter, soweit bislang bekannt, auch 191 Kinder - stranguliert, geschlagen oder erstickt. Mehreren Opfern sind offenbar Organe entnommen worden - ein deutlicher Hinweis darauf, dass MacKenzie und seine Führungsriege in illegalen Organhandel verstrickt war. Entsprechend heißt es in einer Erklärung der Staatsanwaltschaft: "Die Anklage wird darlegen, dass die Angeklagten nicht nur eine Randgruppe darstellen, sondern vielmehr eine gut organisierte kriminelle Organisation unter dem Deckmantel einer Kirche unter der Führung von Mackenzie."

Der unscheinbare Beginn einer tödlichen Tragödie

Wie häufig, wenn es um Verbrechen im Zusammenhang mit Sekten geht, beginnt auch in diesem Fall alles unscheinbar. Bereits im Jahr 2003 gründet der ehemalige Taxifahrer Mackenzie in Nairobi die Kirche "Good News International Ministries" (GNIM). Schon damals sorgt er für Aufsehen: Seine Predigten sind so aufrührerisch, dass er viermal angeklagt, jedoch mangels Beweisen immer wieder freigesprochen wird.

Mit seiner charismatischen Art und der Behauptung, direkt mit Gott zu kommunizieren, gewinnt er schnell eine große Anhängerschaft. Auch finanziell lohnt es sich für MacKenzie - immer wieder bekommt er von Menschen, die ihm folgten, große Geldsummen. Im Jahr 2016 etwa verkauft ein treuer Anhänger sein Anwesen für umgerechnet rund 135.000 Euro und übergibt das Geld Mackenzie und seiner Kirche. Der Pastor investiert es unter anderem in einen eigenen Fernsehsender zur Verbreitung seiner Botschaften.

Von dem Radar der Behörden verschwindet MacKenzie nie ganz. 2017 werden er und seine Ehefrau wegen "Förderung der Radikalisierung" angeklagt, jedoch freigesprochen. In diesem Zuge werden sie auch beschuldigt, Kindern den Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung zu verweigern. Schon damals sind die Folgen tragisch: Mehrere Kinder sterben aufgrund mangelnder Gesundheitsversorgung, 2017 retten die Behörden 93 Kinder aus seiner Kirche.

Im Jahr 2019 wird Mackenzie erneut kurzzeitig verhaftet, weil er die Öffentlichkeit gegen die Registrierung für die "Huduma Namba" aufhetzt, ein kenianisches Regierungsprogramm zur Vergabe einer persönlichen Identifikationsnummer. Er vergleicht das Programm mit dem "Malzeichen des Tieres", von dem im biblischen Buch der Offenbarung die Rede ist. Dies unterstreicht vor allem zwei Dinge: MacKenzie und seine Kirche vertraten sowohl eine stark endzeitlich-apokalyptische Botschaft, als auch eine deutliche Ablehnung des Staates und seiner Institutionen.

Radikalisierung bis in den Tod

Die Lehren der GNIM sind keineswegs aus dem Nichts entstanden. Sie basieren stark auf der Endzeitbotschaft des US-Amerikaners William Branham (1909-1965), einem charismatischen Geistheiler. Seine Lehren prägen ein weltweites Netzwerk unabhängiger Kirchen. Auch etwa die Colonia Dignidad, eine ehemalige deutsche Exil-Siedlung in Chile, die als Sekte unter der Führung von Paul Schäfer bekannt wurde.

MacKenzie verbindet diese Lehren mit einem deutlich antiwestlichen Kurs: Seine Predigten sind durchdrungen von Endzeit-Warnungen und antiwestlicher Rhetorik. Er verurteilt westliche Lebensweisen wie medizinische Versorgung, Bildung, Lebensmittel, Sport und Musik. Die katholische Kirche, die Vereinten Nationen und auch die USA sind für ihn Werkzeuge des Satans.

Die endgültige Tragödie bahnt sich an, als sich MacKenzie schließlich mit seinen Anhängerinnen und Anhängern in die weitgehende Isolation zurückzieht. Nach einer weiteren Verhaftung zieht die GNIM an einen abgelegenen Ort in den Shakahola-Wald. Am Ende sind viele von MacKenzies Anhängerinnen und Anhänger offenbar so radikalisiert, dass sie alles für ihn tun. Er soll ihnen immer wieder vermittelt haben, dass sie durch extremes Fasten und Hungern - auch in sengender Hitze - schneller Jesus treffen würden. Ohne Perspektive, vollkommen abhängig von einem Mann, der sie isoliert und ihnen alle Kontakte nach außerhalb nimmt, sind viele bereit, diesen Weg zu gehen.

Religion als Mittel zum Zweck

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Dieser Fall zeigt auf tragische Weise, wie religiöse Lehren eine immense Macht entfalten und sogar lebensgefährlich werden können. Insbesondere, wenn sie von Menschen mit bösen Absichten oder fanatischen Überzeugungen missbraucht werden. Das genaue Motiv von Mackenzie bleibt noch unklar. Vieles deutet darauf hin, dass er in kriminelle Geschäfte verwickelt war und es ihm zum Großteil um persönliche Bereicherung ging. Für ihn war die Religion nur Mittel zum Zweck.

Bei all dem bleibt ein weiterer fahler Beigeschmack. MacKenzie war kein Unbekannter, er war den Behörden schon lange bekannt. Einige Anhängerinnen und Anhänger flüchteten aus dem Wald und berichteten von den Vorgängen. Die Behörden müssen sich also fragen lassen, warum sie nicht früher härter durchgegriffen haben. Es gab mehrere Gelegenheiten, MacKenzies Aktivitäten zu stoppen. Passiert ist de facto nichts.

Quelle: ntv.de

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