Vier mögliche Szenarien So könnte die nahe Corona-Zukunft aussehen
16.02.2022, 11:28 Uhr (aktualisiert)
Der Einsatz von Schutzmasken wird voraussichtlich auch in kommenden Corona-Wellen notwendig sein.
(Foto: imago images/Westend61)
Britische Wissenschaftler blicken in die Zukunft und erstellen vier mögliche Szenarien von optimistisch bis pessimistisch, wie sich die Corona-Situation in den kommenden 18 Monaten entwickeln könnte. So oder so wird es ihrer Ansicht nach noch Jahre bis zu stabilen Verhältnissen dauern.
Die Omikron-Welle scheint deutschlandweit ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Im Süden und Osten steigen die Fallzahlen zwar noch an, im Norden und Westen fallen sie aber schon wieder. Der Frühling naht, Bund und Länder planen bereits weitgehende Lockerungen. War's das dann, sind Corona-Einschränkungen und -Impfungen damit Geschichte?
Leider nein, Wissenschaftler erwarten auch für die kommenden Jahre weitere Wellen. Die Frage ist nur, wie schwer sie ausfallen. Das international hoch angesehene Expertengremium Scientific Advisory Group for Emergencies (SAGE) der britischen Regierung hat vier mögliche Szenarien veröffentlicht, wie es in den kommenden 12 bis 18 Monaten weitergehen könnte.
Übergangsphase dauert zwei bis zehn Jahre
Das Gremium gibt nicht an, welches Szenario am wahrscheinlichsten ist. Es schreibt auch, es sei schwer, einen langfristigen Ausblick zu geben. Die Übergangsphase könne zwei bis zehn Jahre dauern und sei sehr dynamisch und unvorhersehbar.
Die Wissenschaftler erwarten keine Normalität wie vor der Pandemie, sondern "ein stabiles, sich wiederholendes Muster." Man könnte auch sagen, ein Leben mit dem Virus wird anders aussehen, als es sich heute viele vorstellen.
Die Experten stellen klar, dass es sich nicht um die einzig möglichen Entwicklungen handelt, sondern weitere Szenarien möglich sind, auch bessere oder schlimmere. Grundsätzlich gehen sie davon aus, dass das Virus in absehbarer Zukunft weiter zirkulieren wird und neue Varianten auftauchen werden.
Das Gremium erwartet, dass Sars-CoV-2 weiter in Wellen auftritt, wobei sich die Immunitäten weltweit stark unterscheiden werden. Dadurch könnten unter anderem mehrere Varianten gleichzeitig zirkulieren.
Gefährlichere Varianten als Omikron möglich
Hohe Fallzahlen begünstigten dabei die virale Evolution, wobei neue Varianten dann ihrerseits wieder die Prävalenz erhöhen könnten, so die Experten. Eine große Gefahr sehen sie darin, dass sich bedenkliche Varianten in immungeschwächten Wirten entwickeln, beispielsweise bei einer großen Zahl unbehandelter HIV-Infektionen.
Der These, das Virus entwickle sich auf jeden Fall hin zu harmloseren Varianten, erteilen die Verfasser eine Absage. Die Möglichkeit, Immunantworten zu entkommen, Übertragbarkeit, Schweregrad und Resistenz gegen antivirale Medikamente hingen nicht unbedingt voneinander ab, schreiben sie. Eine höhere Übertragbarkeit bedeute beispielsweise nicht zwingend einen geringeren Schweregrad oder umgekehrt.
Neben dem Grad der Saisonalität des Coronavirus halten die Wissenschaftler dessen mögliche Interaktionen mit anderen Atemwegserkrankungen wie Grippe und RSV für wichtig. Träten die Wellen gleichzeitig oder kurz hintereinander auf, bedeute dies eine höhere Belastung der Gesundheitssysteme, schreiben sie. Sollte ein Virus ein anderes in einer Saison unterdrücken, könnte die Immunität der Bevölkerung für den verdrängten Erreger schwinden, was das Risiko einer schwereren Welle im folgenden Jahr erhöhe.
Für sehr wichtig erachten die Experten die Möglichkeiten eines Landes, früh eine aufkommende Welle zu erkennen und mit einer breiten Verfügbarkeit von Tests, Impfungen und antiviralen Medikamenten zu reagieren. Grundsätzlich halten sie es für wahrscheinlich, "dass sich jede signifikante neue Variante schneller ausbreitet und einen Infektionsgipfel erreicht, als ein neuer Impfstoff produziert, getestet und verteilt werden kann." Auch dem Schutzverhalten der Bevölkerung messen die britischen Wissenschaftler eine hohe Bedeutung bei. Die Auswirkungen auf künftige Corona-Wellen ließen sich aber nicht zuverlässig vorhersagen, schreiben sie.
Das positivste Szenario
Im besten Fall kommen zwar neue Sars-CoV-2-Varianten, die Antigen-Evolution ist aber gering. Die Übertragbarkeit wird sich nicht erhöhen, und Ansteckungen werden nicht mehr so häufig zu schweren Erkrankungen führen, wie es bei Delta der Fall war.
Die Schutzwirkung von Impfungen und vorangegangener Infektionen bleibt weitgehend erhalten, saisonale und regionale Ausbrüche halten sich in überschaubaren Grenzen. Lediglich vulnerable Gruppen benötigen jährliche Auffrischimpfungen, antivirale Medikamente erweisen sich als hochwirksam. In Jahren mit höheren Corona-Wellen treten tendenziell weniger Grippefälle auf.
Für die nahe Zukunft würde dieses Szenario im kommenden Herbst/Winter nur kleine Wellen mit wenig schweren Erkrankungen bedeuten.
Das relativ optimistische Szenario
Zunehmende globale Immunität führt zu einem allgemein niedrigeren Schweregrad von Infektionen. Wellen werden durch Zyklen deutlich abnehmender Immunität und/oder das Auftreten neuer Varianten ausgelöst. Es gibt gute und schlechte Jahre, wobei letztere eine hohe Übertragbarkeit und einen ähnlichen Schweregrad wie Delta aufweisen.
Schwere Erkrankungen und Todesfälle beschränken sich weitgehend auf vorerkrankte oder ältere Menschen und Personen ohne vorherige Immunität. In schlechten Jahren bekommen neben vulnerablen Gruppen auch andere Menschen Auffrischimpfungen.
Das freiwillige Schutzverhalten ist hoch, einige Länder schreiben in schlechten Jahren Masken und andere nicht-pharmazeutische Interventionen (NPIs) vor. Antivirale Resistenzen treten auf und schränken die Anwendung von Medikamenten ein, bis Kombinationstherapien verfügbar sind.
In diesem Szenario haben saisonale Infektionswellen in Herbst und Winter ein vergleichbares Ausmaß mit ähnlichen Schweregraden von Erkrankungen wie die aktuelle Omikron-Welle.
Das eher pessimistische Szenario
Eine hohe globale Inzidenz zusammen mit zunehmender Immunität der Bevölkerung führt noch über viele Jahre hinweg zu einem unvorhersehbaren Auftreten von Varianten. Es gibt Virus-Kombinationen aus verstärkter Immunumgehung und größerer Übertragbarkeit. Mehrere Wellen im Jahr sind möglich, manchmal mit einem ähnlichen Schweregrad wie bei Delta.
Bestehende Immunität und aktualisierte Impfstoffe bieten weiterhin einen guten Schutz gegen die meisten schweren Verläufe. Bestimmte Gruppen, beispielsweise Schulkinder, können durch wiederholte Wellen stark belastet werden. Viele Menschen benötigen jährliche Auffrischimpfungen, die Resistenz gegen antivirale Medikamente ist hoch.
Es gibt Saisons mit Corona- und Grippewellen, und Covid-19-Wellen können sich überschneiden, was zu einer stärkeren Belastung des Gesundheitswesens führt. Das freiwillige Schutzverhalten ist begrenzt, einige Länder verhängen in schlechten Jahren strengere NPIs.
Für die nahe Zukunft sieht dieses Szenario starke Wellen durch neue Varianten, die auch kurzfristig und nicht nur in Herbst und Winter auftreten können. Schwere Erkrankungen und Todesfälle konzentrieren sich jedoch weiterhin auf bestimmte Gruppen, beispielsweise ungeimpfte, vorerkrankte und ältere Menschen.
Das schlechteste Szenario
Hohe globale Inzidenz, unvollständige globale Impfung und Virus-Zirkulation in Tieren führen zum wiederholten Auftreten von Varianten. Auch Rekombinationen zwischen verschiedenen Varianten sind möglich. Nicht alle sind problematisch, aber einige weisen eine erhebliche Immunflucht auf.
Unvorhersehbare Veränderungen in der Art und Weise, wie das Virus Krankheiten auslöst, verändern die Häufigkeit und das Altersprofil von schweren Erkrankungen und Sterblichkeit. Langfristige Folgen von Infektionen nehmen zu. Eine flächendeckende jährliche Impfung mit aktualisierten Impfstoffen ist erforderlich, es gibt hohe Resistenzen gegen antivirale Medikamente.
Freiwillige Schutzmaßnahmen sind weitgehend nicht vorhanden und/oder eine Quelle gesellschaftlicher Konflikte. Ein hohes Maß an NPIs ist erforderlich, insbesondere wenn Impfstoffe nicht schnell genug an neue Varianten angepasst werden können und/oder Testverfahren versagen.
Für dieses Szenario sind die Aussichten für die kommenden 12 bis 18 Monate düster: Es kommt zu sehr großen Wellen mit einer Zunahme schwerer Erkrankungen in weiten Teilen der Bevölkerung. Am schlimmsten werden aber nach wie vor diejenigen getroffen, die ungeimpft oder durch vorherige Infektionen nicht ausreichend immun sind.
(Dieser Artikel wurde am Montag, 14. Februar 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de